Szenekenner
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Rennbericht - beckenrandschwimmer aka kanalrandschwimmer
Sonntagmorgen um 3 reisst mich der erste von 3 Weckern aus dem Schlaf. Eigentlich habe ich seit 2 uhr nicht mehr tief geschlafen, eher gedöst. Von 21h bis 2h habe ich aber geschlafen wie ein Engel. Es sollte ein guter Tag werden...
Nach dem Anmischen von Maltokonzentrat für 4 Liter und dem befüllen der Trinkflaschen gibts Kaffe, 2 Brötchen mit Konfitüre und eine Menge Fruchtsaft. Wir treffen unsere erfahrenen Zimmernachbarn, die schon seit 2001 hierherkommen, beim Frühstück. Sie werden auf uns warten, damit wir hinterherfahren können.
6:20 Neo ist an, das Dixi hat die reste von meiner Vorwettkampfernährung geschluckt, die Reifen sind auf 11bar, der Zusatztank am Lenker ist befülllt. Ab in den Startbereich. Noch ein DIxi fürs kleine Geschäft und schon kommt die Spitze aus dem Wasser. Kaum sind die ersten 3 vorbei können wir in die Startzone. Einschwimmen bis zur Startlinie, das muss reichen. Gut habe ich schon 10 Minuten Armkreisen hinter mir. Der Kanal ist wärmer als ich dachte. Im Neo total angenehm.
Ich erkundige mich bei den Leuten hinter mir, welche Zeit sie denn so schwimmen wollen. 1h 05 - 1h 08 sind die Antworten. Dann bleibe ich in der 2. Reihe. Startsignal. Noch schnell die Stoppuhr betätigen, und los gehts. Auf den ersten 100m überholen mich 100 Leute. Hart anschwimmen ist nicht mein Ding, jedenfalls nicht bei einer Langdistanz. Mehr als 2km am Stück bin ich im Training nur einmal geschwommen. Also den Ball flachhalten und soviel wie möglich draften, jetzt, wo es noch erlaubt ist. Die Sicht ist weniger toll. Ich frage mich, wieviel % Diesel das braune Gemisch wohl hat. Beim ersten unfreiwilligen Schluck zeigt sich aber, dass das Wasser nicht allzu schlecht ist. Ich versuche trotzdem nicht zuviel zu trinken. Der Rhythmus ist schnell gefunden und ich verzichte auf jeglichen Beinschlag. Bis zum Wendepunkt denke ich nichts und schwimme einfach. Nachher versuche ich mich nahe beim Ufer zu halten, wo die Strömung schwächer ist. Da zieht ein Motorboot an mir vorbei. Nein, das ist gar kein Motorboot. Das muss der Beinschlagweltmeister sein! "Wie will der noch Radfahren später?" denke ich mir, und hänge mich hintendran. In seiner Wirbelschleppe bleibe ich bis zur Brücke. manchmal lasse ich lässig einen Zug aus und gleite nur. Der Sog ist gewaltig. Ich teste, ob er nicht einfach extrem ineffizient schwimmt, doch als ich ausschere muss ich mich anstrengen, um das Tempo zu halten. Nach der Brücke orientiere ich mich dann etwas mehr zur Mitte. Ein Fehler, wie ich merke. Erstens ist es noch weit und zweitens sind dort die schlechtesten Schwimmer der vorherigen Startgruppe versammelt. Nach dem Wendepunkt ist das Schwimmen in meinem Kopf beendet. T1 steht an, möglichst schnell auf den Göppel kommen ist alles was zählt.
Schwimmausstieg - Beutel aufnehmen - Wechselzelt - ... Beim Neoausziehen verliere ich eine Minute auf alle Anderen. Beim Socken anziehen noch eine halbe und dann noch die Radschuhe. Warum kannst du nicht mal lernen, die Schuhe auf dem Rad anzuziehen? Wenigstens ziehe ich mir nicht noch Radkleidung an, was einige zu allem Überfluss auch noch tun. Ein paar dünne Armstulpen und los geht's. Fahrrad finden geht gut, habe ich doch den Weg vom Zelt zum Rad etwa 5mal abgeschritten. So ein Stress dieses Wechseln. Später werde ich feststellen, dass T1 der Streckenabschnitt mit dem höchsten Durchschnittspuls war. Ist das normal?
Auf dem Rad an der Schleuse rutscht mir das Herz in die Hose. Nach dem leichten Schlag - denn ich habe gut gebremst vorher - das Geräusch einer schleifenden Bremse. Habe ich hinten einen Speichenbruch? Scheisse scheisse scheisse scheisse. Nach 50m wird es still. Was war das bloss? 10km Später fliegt mir eine Powergelverpackung entgegen, derer sich gerade jemand entledigt hat. Das wäre eine plausible Erklärung. Ein solches Ding hat sich in der Bremse verfangen und ist dann von selber wieder raus. Ich Fühle mich gut, versuche, mich etwas zu bremsen. Abwarten und Malto trinken. Die ersten Steigungen kommen. Gut, dass ich heute nicht den Übersetzungsprotz gebe. so ein 25er-ritzel ist was feines.
Verpflegungsstellen fahre ich keine an, schliesslich muss ich erstmal die 3kg Nahrungsmittel an meinem Fahrrad verputzen. Oben am nächsten Hügel angekommen trete ich an. 15km flach bis Greding und Rückenwind. Der Tacho zeigt ständig Werte zwischen 40 und 50 an. So ist es schön. Ich bin mehrheitlich auf der Überholspur und geniesse die Landschaft...
Dann kommt der Gredingerberg. Runterschalten was geht. Ein paar Kraftprotze würgen mit Trittfrequenz 35 an mir vorbei. Gegen mitte der Rampe sehe ich sie wieder. Die Wellen kommen. Dazwischen grosse Scheibe und 35km/h. Die Beine sind gut, ich fliege an einer ganzen Menge Mitstreiter vorbei. Dann die Abfahrt. Ein Rennradfahrer überholt mich. Francesco aus italien. Das muss Francesco Casagrande sein, denke ich mir und muss lachen. Der Typ kann Kurvenfahren. Herrliche Linie. Hart am Limit ziehen wir durch die Kurven. Ob wir dabei auch immer auf der rechten Strassenseite waren, möchte ich hier nicht kommentieren - ich hab's wohl vergessen. Weiter durch die Hügel und bei der Entwässerungsrinne einmal mehr gut gebremst - ich mag meine Zipps, ausserdem ist mir die Anreise zu mühsam für ein dnf wegen Felgenbruches....
Der Solarerberg hält, was er verspricht. Das ganze Dorf ist fast leer, dann gehts um die Kurve und da stehen sie alle. Es wirkt fast surreal. Der Fahrer vor mir bestimmt die Pace, an ein überholen ist nicht zu denken. Ein Blick auf den Pulser zeigt, dass es auch nicht notwendig ist.
Der rest der ersten Runde geht schnell vorbei, endlich wieder ist nach dem vielen Gegenwind seit Greding etwas Highspeed angesagt. Alles läuft gut, aber nach 80km bin ich etwas müde. Weniger in den Beinen als im Kopf. Ich werfe ein Gel ein, da ich denke, dass das Malto vielleicht etwas zu langsam verdaut wird bei der ganzen Anstrengung. In Hilpolstein geht's mir wieder gut. Im ersten Aufstieg der 2. Runde pfeift ein Kampfrichter, der mich schon mindestens 50mal überholt hat. (an der Stelle mein ausdrückliches Lob an die Karis - ich kann mir nicht vorstellen, wie man bei absichtlichem Draften hätte straffrei bleiben können). Er ruft was von Abstand. Klar, ok, war zu knapp, aber ich überhole ja reihenweise. Die Kette fällt mir runter, und der Kari lässt es gut sein. Ich muss allerdings anhalten, weil sich die Kette verklemmt hat. Soviel dazu, dass sich die Kette an diesem Rad nicht verklemmen kann weil die Bremse im Weg ist. Ein paar schöne Kratzer bleiben mir als Andenken. Etwas genervt steige ich wieder auf und nehme mir vor, alle, die ich eben überholt hatte, bis zur Verpflegungsstelle wieder zu kriegen. Nach der Verpflegung scheint das gelungen. Das Fahrer- und vor allem Fahrerinnenfeld wird jetzt dünner. Schade, jetzt brauche ich eine andere Motivation um schneller zu fahren. Ich beschliesse, von jetzt an einfach wie eine Sau zu fahren.
Der Gredingerberg geht noch gut, da kommt einer und überholt mich. Jemand sagt, das ist Faris. Ok. das geht in Ordnung. Ich denke einen Moment lang: "So schnell ist der nicht, dem könnte ich jetzt nachfahren" tue es aber glücklicherweise nicht. Ich möchte gar nicht wissen, wie er nach der steilen Rampe angetreten hat.
Wieder pfeift es, als ich 2 quatschende Konkurrenten überhole. Überholen in der 3. Reihe sei verboten. Die Labern nur anstatt zu fahren ist meine bestimmte Antwort. Mein gelbbewamster Freund auf dem Motorrad beweist Augenmass und Sportsgeist und bleibt auf meiner Seite, was mich freut. Ich bleibe vorsichtig und bremse auch ein paarmal, um nirgends in den Windschatten zu kommen. In der Abfahrt halte ich mich sogar ans Rechtsfahrgebot, obwohl das zu einer enormen Schräglage führt. Langsam werden die Beine schwerer. Ich zwinge mich, den letzten von 4 litern Malto anzumischen und zu trinken, und esse auch noch den 2. Powerbar. Noch ne Flasche Iso am Solarerberg und natürlich das Publikum geniessen. Das letzte Stück geht wieder etwas besser, jedenfalls bis zur Abzweigung nach Roth. Auf der leichten Steigung vor dem Ziel stehe ich fast. 25km/h und Puls 150. Gut dass es fertig ist. Der Magen ist voll, aber jetzt einen Marathon laufen? Auweia!
Noch schnell die Tic-Tac dose mit den Salztabletten ins Hosenbein und dann kommt die Abzweigung zur Wechselzone. Ich gebe mein Rad ab und nach 10 sekunden kommt mir mein Beutel entgegen. Echt geil! Ins Zelt, hinsetzen, Radschuhe loswerden (ich kannte die zufahrt zur Wechselzone nicht und kam nicht mehr aus den Schuhen raus. Laufschuhe schnüren (da ist noch Optimierungspotential) und die Helferin setzt mir schon die kappe auf und verstaut alles andere im Beutel. Ich stecke noch die 2 Gels ein und sage danke. Etwas über 2 Minuten Wechselzeit, so sollte es immer sein. Ich gehe über die Zeitmessmatte und schaue auf die Uhr (6h 21min), drücke noch den roten Knopf und fange ganz bewusst erst dann langsam an zu joggen. Die Beine sind wie Brei. Eigentlich habe ich gar keine Beine. Das wird hart heute. Ich schleppe mich wie ein Sack über den Asphalt.
Für sub 10 muss ich 3:39 laufen. Nicht schlecht in der Zeit, aber mit diesen Beinen?
3:45 wäre mir im Moment sympathischer. Aber nix da. Ich habe für 3:30 trainiert. Oder genauer: Aus dem Training weiss ich, dass ich 30km in 2h30 laufen kann. Und dass es nachher schwerer werden wird. Also 9minuten Reserve. Und einen Teil davon lasse ich gleich am Anfang liegen.
km 1: ich schaue wieder auf die Uhr 6:26 - was ist denn das für eine Scheisse? Ach - das ist ja die gesamtzeit in Stunden. Schnell auf Rundenzeit umstellen. 5:15, ok.
km 2: ich fange an, mich mit meinem nebenmann zu unterhalten. Frage ihn nach seinen Zielen. Durchkommen, zu wenig laufen trainiert, aber er werde jetzt mal mit 5:00/km anlaufen. Ok, ich auch.
km3: "kann es sein, dass wir schneller werden" - "ja" - "das sollten wir besser lassen", wir laufen bewusst etwas langsamer. Mein Bauch ist gebläht, irgendetwas sticht in der seite auf Magenhöhe. An der ersten Verpflegung nehme ich deshalb instinkriv nur Cola.
km4: Magen wird besser, Pace steht irgendwo bei 5:15 und fühlt sich sehr locker an.
km8: alles ganz locker, aber wenn die km-marken stimmen, dann habe ich schon 3min von meiner Reserve aufgebraucht. Ich weiss, dass ich die 5:00/km jetzt laufen kann. Ausserdem weiss ich, dass ich irgendwann nach km 30 etwas nachlassen werde. Ich gebe nun ganz verhalten etwas gas, so bis Puls 147.
km 9: Tempo gefunden. 5:00. Fühlt sich immer noch locker an.
km 12: Schwanstetten. Nach dem Wendepunkt geht es mir noch besser. Ich fasse den Halbmarathon ins Auge. Wenn es mir bis da gut geht, dann könnte ich es wirklich unter 10h schaffen. Meine Reserve will ich erst nach km 30 anbeissen.
km 14: die Rampe an der Schleuse: Ich krieche da hoch. Trotzdem geht der km unter 5min weg. Puls konstant. Weiter so. Der Rollstuhlfahrer, den ich schon zweimal gesehen habe, zieht wieder an mir vorbei. Geradeaus ist er deutlich unter 4min/km unterwegs. An der Rampe stand er fast.
km 21: Lände in Sicht, alles läuft rund. Ich schütte mir an jeder Verpflegungsstelle 2 Becher ins Gesicht. Abwechselnd Iso/Cola und Iso/Wasser ergänzt durch ein Gel. Ausserdeem eine Salztablette alle 45 Minuten.
km 22-30: es geht immer noch, das Tempo wird langsam etwas anstrengender. Wann kommt endlich die Schleife? Da ist die Abbiegung über die Wiese. Ich gehe 5m, weil ich mich an den Krampf erinnere, den ich auf der Mitteldistanz in der Vorbereitung an einer solchen Stelle bekam und nicht mehr los wurde. Ich muss pinkeln. Vielleicht in dem Waldstück, das jetzt kommt. Ich Laufe weiter. Nach dem Wendepunkt vielleicht. Die Reserve ist noch immer bei 6 Minuten, aber ich traue mir die 5:00 / km nicht mehr dauerhaft zu. Eher 5:15. Dann wird es schon knapp.
km 31.5: Wendepunkt. Nur noch nach hause laufen. Die beine sind jetzt müde, beschleunigen kein thema. Energiehaushalt optimal aber ich habe angst, dass die Beine nicht mitspielen. Von jetzt an ist Salami-Taktik. Möglichst wenig Zeit verlieren auf jedem einzelnen km. Pinkeln ist in diesem Rennen nicht drin. Das würde mich midestens ein Jahr lang anpissen, also pisse ich mich besser selber an und schaukle das Ding nach hause. Bei km 32 lerne ich, wie man im Laufen pinkelt. Nicht zuviel auf einmal, damit es nicht bis in die Schuhe reicht. Immer wieder ein bisschen. Der Druck lässt etwas nach.
km 33: Der hat sich lang angefühlt. Ich beginne, auf die Uhr zu schauen. Es scheint zu reichen, aber mehr als 5:15 /km darf ich nicht brauchen. Nicht schon jetzt.
km 34: Ich bin überrascht, als mir km 34 entgegenkommt, hatte ich doch km 35 erwartet. Das zieht sich ja elends in die Länge.
km 35: noch 7. Es bleiben mir noch fast 40 Minuten. Aber ich traue meinen Rechnungen nicht mehr. Ich werde alles geben, bis mir für jeden km 6 Minuten bleiben. Dieser Zustand stellt sich irgendwann nach der Lände ein. Leider kommt da noch die Steigung.
km 38: Der linke Quadrizeps beginnt langsam zu krampfen. So bin ich schon mal 15km viel schneller gerannt, aber angenehm ist es trotzdem nicht. Und dann kommt noch das Kopfsteinpflaster.
km 40: Das Publikum im Stadtzentrum ist toll. Ich Beginne, zu realisieren, dass es dicke reicht, die Uhr zeigt noch nicht 9:47. Jetzt bloss keinen richtigen Krampf bekommen!
km 41: Echt nur noch 1km? Ok, 1.2, aber die letzten 200m, das ist eine Minute, das reicht ja noch zum feiern.
km 42: Bahnübergang. Der Krampf macht gleich zu. Jetzt schön langsam machen. Puls sinkt unter 145.
Zielkanal: Der Krampf ist weg, ist wohl die Erleichterung. Ich schaue nochmal auf die Uhr, 9:56 irgendwas. Jetzt laufe ich ganz langsam, klatsche alle Hände ab, Arme in die Höhe, um die 2 Ecken, es ist überwältigend. Es ist getan. Es tat weh, es war hart, aber es hat sich gelohnt. 9:57:24. ich bekomme die Medallie, werde gefragt, ob ich ok bin. Ich es geht mir viel besser als nach meiner ersten Langdistanz. Habe auch keinen Hunger. Ich nehme mir ein Erdinger und gehe mich duschen.
Nach 11:34 komt Giovanni ins Ziel. Sein Rennen war weniger optimal. Verdauungsprobleme gefolgt von einer Esspause und deshalb ein 4:20 Jogging beim Marathon. Ich mache ihm sofort klar, dass wir nicht nachhause gehen. Nach einer Stunde im Zielbereich ist er wieder glücklich und zufrieden. Wir gönnen uns eine Massage und bleiben bis zum letzten Finisher / Feuerwerk. Ein Wettkampf, bei dem der Letzte am meinsten Applaus bekommt. Das ist einzigartig. Wir beschliessen am Montagmorgen, wiederzukommen. Giovanni engagiert mich als Trainer, schliesslich habe ich mich um mehr als 50 Minuten gesteigert in einem Jahr, und das ohne mehr Zeitaufwand. Dicke unter 11 Stunden will er machen, sonst ist es seine letzte Langdistanz. Wers glaubt....
Gelassen nehmen wir alle Verkehrsstaus auf dem weg nach Zagreb auf uns. Essen Sushi, Bigmacs, und zuhause eine Monsterportion Čevapi.
Geändert von beckenrandschwimmer (24.07.2010 um 17:48 Uhr).
Grund: Orthografie (schreibt man das so?)
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