Moin,
zunächst mal auch von mir alles Gute für Hafu und Jens! Ich hatte in der vergangene Woche meine dreijährige Tochter rund um die Uhr "an der Backe", da hat mir doch etwas die Zeit zum Schreiben gefehlt. Speziell Hafus Beiträge und Einschätzungen in diesem Thread habe ich immer sehr geschätzt. Und ich finde, dass er seine Argumente auch immer mit großer Geduld vorgebracht hat.
Zitat:
Zitat von DocTom
7Mrd Menschen auf diesem Planeten, bisher 34000 SARS-CoV2 Tote, wer ist da realitätsfremd?
Oder kannst Du tatsächlich in die Zukunft sehen?
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nein, auch ich kann nicht in die Zukunft sehen. Ich kann nur ein wenig mit "Excel" herumspielen.
Aber es gibt keinen Grund zur Annahme, dass sich ohne Gegenmaßnahmen etwas an der Ausbreitungsgeschwindigkeit ändert. Ich zitiere daher noch einmal eine kleine Überschlagsrechnung, die ich hier vor ein paar Tagen gemacht habe:
Zitat:
Zitat von chris.fall
Moin,
viele Menschen haben ja eine Aversion gegen Mathe und wollen / können selbst einfache Zusammenhänge nicht verstehen. In diesem Fall das exponentielle Wachstum.
Zur Zeit haben wir
~15.000 bestätigte Infektionen
46 Tote
eine Verdopplung alle 2,5 Tage, ich machs mal etwas einfacher / optimistischer: 3 Tage
Man braucht da nicht so genau zu sein, denn der Trend ist ohne Gegenmaßnahmen in jedem Fall eine Katastrophe, mit den obigen Zahlen ergibt sich folgendes:
Tage Infektionen Tote
0 15.000 46
3 30.000 92
6 60.000 184
9 120.000 368
12 240.000 736
15 480.000 1472
18 960.000 2944
21 1.920.000 5888
24 3.840.000 11776
27 7.680.000 23552
30 15.360.000 47104
Da ist aber schon längst mindestens das Gesundheitssystem zusammengebrochen, siehe Italien.
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In dieser Hochrechnung kommt die Mortalitätsrate nicht vor, es ist dafür völlig irrelevant, ob sie nun 0,1% oder 10% beträgt. Eine Verdoppelung der Fallzahlen alle drei Tage führt in eine Katastrophe.
Weiterhin ist die Zeitkonstante, also die Zeit, die für eine Verdoppelung nötig ist, nicht von praktischer Bedeutung: Man beschriftet die linke Achse neu, beispielsweise 0, 4, 8, 12, 16... und gewinnt dann eventuell eine Woche Zeit bis zum Desaster.
Statt über die vom akademischen Standpunkt her eventuell noch interessanten fünf Fragen zu diskutieren, stelle ich nur eine einzige Gegenfrage: Was stoppt ohne Gegenmaßnahmen das bisher immer beobachtetet exponentielle Wachstum?
Zitat:
Zitat von DocTom
7Mrd Menschen auf diesem Planeten, bisher 34000 SARS-CoV2 Tote, wer ist da realitätsfremd?
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Das Problem ist schon hier bei uns angekommen, es gibt auch bei uns schon Hotspots und entsprechend Kliniken an der Belastungsgrenze.
Nur ein Beispiel: Klinikum Wolfsburg verhängt Aufnahmestopp. Und es gibt keinen Grund zur Annahmen, dass es dabei bleiben wird.
Zitat:
Zitat von DocTom
Lt WHO ist es wahrscheinlich, dass mehr als 80% der Infizierten einen milden Verlauf haben! Quelle: WHO fact sheets, wirst Du finden, wenn Du willst.
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20% schwere Verläufe wären ein Desaster bei den oben hochgerechneten Fallzahlen. Aber auch dieser Prozentsatz spielt bei einem ungebremsten exponetiellen Wachstum eigentlich keine Rolle: Bei "nur" 5% braucht es dann eben nur zwei Verdoppelungen - also sechs Tage - länger, um die Grenze der Belastbarkeit zu erreichen.
Wobei es auch gleichgültig ist, was denn genau die Grenze der Belastbarkeit sein wird. Hier wird ja immer nur die Kapazität der Intensivmedizin genannt. Aber auch den Zusammenbruch der normalen medizinischen Versorgung oder der Versorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs kann ich mir bei hundertausenden Kranken vorstellen.
Ich will hier aber nicht schwarzmalen. Ich halte diese Krise für lösbar und gehe sogar so weit, dass sich daraus auch Chancen ergeben werden. Die momentanen Maßnahmen sind für uns alle sehr belastend aber meiner Meinung nach alternativlos, um das exponentielle Wachstum erst mal zu stoppen. Die Zeit, die man so gewonnen hat, kann/wird man nutzen, um weniger einschneidende Maßnahmen umzusetzen. Ich denke da beispielsweise an eine flächendeckende Verorgung mit Atemschutzmasken oder an eine Erhöhung der Testkapazitäten.
Viele Grüße,
Christian