Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ›Sie haben sich gar nicht verändert.‹ ›Oh!‹ sagte Herr K. und erbleichte.
Ich beginne meinen Beitrag mit Brecht, weil ich nirgends jemals so präzise herausgearbeitet fand, wie elementar doch die Veränderungen und das Wachstum des Lebens sind.
Leben ist Entwicklung, Leben ist Wandlung und die Entdeckung von Neuem nicht nur auf Reisen durch die Welt, sondern auch im Inneren eines jeden.
Dass eine Beziehung über mehrere Lebensphasen hinweg mit solchen Entwicklungen schritthält, ist eine immense Herausforderung.
Sich in essentieller Weise nicht weiterzuentwickeln als Individuum aus Rücksichtnahme auf den Beziehungspartner führt am Ende vermutlich zu mehr Frust und Entfremdung, als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema.
Aus von Dir in Deinem Beitrag nicht genannten Gründen hast Du ja einige relevante Stellschrauben in Deinem Leben betätigt.
Du hast an Gewicht verloren, hast begonnen, regelmäßig Sport zu treiben und bist darin offensichtlich ambitioniert und erfolgreich genug, direkt eine Langdistanz zu finishen. Du hast Deine Ernährung und Deine Trinkgewohnheiten verändert, verbrings wahrscheinlich weniger gemeinsame Zeit auf der Couch und hast wahrscheinlich auch zuweilen weniger Interesse an oder Kapazität für die Dinge, die Euch in den letzten 16 Jahren verbunden haben.
Damit hast Du in gewisser Weise ja Eure gewohnte Beziehungs-Routine verlassen. Ich behaupte nicht, dass das Deine Motivation ist, Deine Intension. Aber das Ergebnis ist genau das: angesichts limitierter zeitlicher und finanzieller Ressourcen hast Du im letzten Jahr Entscheidungen getroffen, die die gewohnte Beziehungsroutine verletzen (bitte lies weiter, das hier ist, wie Du sehen wirst, keine Tirade an Anschuldigungen, sondern nur eine sachliche Analyse des Status quo, wie ich ihn wahrnehme).
Weiter gehts.
Sicher ist der Faktor Zeit ein durchaus wichtiger; die Vorbereitung einer LD fordert eben Zeit, Commitment und dedication. Diese Pragmatika sind allesamt lösbar; man trifft feste Vereinbarungen, verhandelt über den Samstag und den Sonntag dergestalt, dass klare Regeln bestehen und das Thema nicht jedes verdammte Wochenende neu diskutiert werden muss.
Meistens steckt aber zusätzlich zu den sächlichen, den pragmatischen Aspekten ein weitaus schwerwiegendes Problem dahinter. Wenn wir uns über Zahnpastatubendeckel streiten, geht es ja einfach mal NIE um die Zahnpasta. Auch nicht um die Tube. Wenn es mal nicht einfach nur darum geht, wer recht hat und sich durchsetzt, geht es doch häufig um das Wahrnehmen der miteinander kollidierenden Bedürfnisse - namentlich dem Bedürfnis nach Autonomie einerseits und und dem Bedürfnis nach Nähe andererseits.
Hier ein paar Vorschläge bzw Anregungen zum Nachdenken und Nachspüren (pragmatische Tips gab es schon super viele super gute von meinen Vorredner*innen).
Möglicherweise hat Deine Frau angesichts Deiner Passion für Triathlon Angst, Dich zu verlieren, Angst, nicht mehr wichtig zu sein und assoziiert mit jeder einzelnen Einheit eine emotionale Entfremdung. Möglicherweise bräuchte sie von Dir ein Zeichen, ein Signal, irgendetwas, wodurch sie spürt und versteht, dass sie Dir ebenso wichtig ist, wie sie das früher war.
Vielleicht muss sie von Dir hören und fühlen, dass Deine Motivation mitnichten die ist, Distanz zu schaffen zwischen Euch.
Solange sie das nicht sicher weiss, wird sie mit jeder einzelnen Trainingseinheit konkurrieren.
Und jetzt wird es eigentlich erst wirklich interessant. Voranstehend schrieb ich, dass Deine Frau möglicherweise Deine Leidenschaft für Triathlon als einen bedrohlichen Move weg von ihr empfindet. Ist es auszuschließen, dass nicht doch in Wahrheit genau das der Fall ist?
Mit oder ohne Triathlon: ist die Beziehung, die Du führst, zumindest überwiegend auch die, die Du führen möchtest?
Don‘t get me wrong: ich habe keine verklärt-romantische Vorstellung einer perfekten Ehe. Nur steckt eben nicht selten hinter einer so essentiellen äußeren Veränderung doch auch ein tiefes Bedürfnis nach Entwicklung im Inneren der Beziehung.
Wie Brecht schreibt, verändern wir uns, entwickeln uns und ich zumindest halte das für extrem wichtig. (Ich muss mich immer zusammenreißen, wenn ich den Spruch an die Ohren bekomme: „bleib, wie Du bist“ oder jemand mir sagt, ich hätte mich „gar nicht verändert“, und dabei nicht ausschließlich meine faltenfreie Stirne meint.)
Leider geschehen solche Entwicklungen meistens nicht synchron. Und wenn Du Dir die beiden oben genannten Fragen mit einem klaren Ja beantworten kannst, wenn also diese Frau an der Mehrzahl der Tage in Deinem aktuellen Leben genau die Frau ist, mit der Du zusammenleben möchtest, dann go for it. Wenn sie weiss und spürt, dass Deine Bewegung hin zum Sport keine innerliche Bewegung weg von ihr ist, wird sich die pragmatische Ebene lösen lassen.