Oh mein Gott!
Das darf doch gar nicht wahr sein!
Wo sind all die Hunderte von Laufkilometern hin? In meinen Beinen sind sie zumindest nicht!
Jetzt habe ich mich auf dem Rad so zusammen gerissen und werde dafür auch noch bestraft.
Meine Schuhe klebten wie Kaugummi auf walisischen Teer, jeder Schritt schmerzte, die Choreographie zwischen Ober- und Unterkörper wäre im Jungen Theater als Ausdruckstanz des Kampfes des alten Mannes gegen den Tod bejubelt worden – aber als Hammerleistung für den Ironman war dieses Schleichwackeln völlig unbrauchbar.
Während mir diese Gedanken auf dem ersten Kilometer durch den Kopf schossen, verstaute ich 7 (SIEBEN!!!) Dextrogels ähnlich einer Kugelweste rund um meinen Körper.
Erstmals in meiner „Triathlonlaufbahn“ zog ich im Wechselzelt die Radhose komplett aus und eine bequeme Laufhose stattdessen drüber.
Diese hatte hinten als auch vorne Taschen, dazu noch das radtrikot gegen ein enger sitzendes Oberteil mit zwei Rückentaschen getauscht – Platz zum Verstauen diverser Kleinteile war somit ausreichend vorhanden.
Nur wie läuft es sich mit so vielen Kalorienbomben, platziert an den unmöglichsten Körperstellen?
Ich möchte da jetzt nicht zu sehr in’s Detail gehen, doch die beiden vorderen Taschen der Turnhose führen ja an einer gemeinsamen, zentral gelegenen Stell zusammen – dies umso energischer, je schwerer sie befüllt sind – somit ist dem geneigten Triathleten und mit einiger Vorstellungskraft über die männliche Anatomie auch der noch geneigteren Triathletin klar, welche Geltüten ich zuerst entleeren mußte.
Resultat war, dass ich nach 8km bereits drei Gels auf Ex intus hatte und jetzt wieder laufen konnte, ohne dass den unvermindert ausharrenden Zuschauermassen mein „vorbeiparadieren“ mit Erinnerungen an die Gehweise Burt Lancasters im Reiterwestern „40 Wagen westwärts“ verbanden.
Und ab da lief’s – berghoch entsprechend langsam aber stetig, bergab volle Lotte, keine Krämpfe, keine Blähungen – einfach immer nur einen Schritt vor den anderen gesetzt und nicht aufgehört, in meinen Körper hinein zu hören – aber da kamen keine Warnsignale. Die Energieversorgung klappte prima, ich nahm an jeder Verpflegungsstelle, die bergab gelegen war, mehrere Becher Cola und Red Bull, bergauf dafür nur Wasser, da ich dermaßen außer Puste war, dass ein Trinken physikalisch und anatomisch unmöglich war.
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Und irgendwann war die vierte Runde vorbei und ich lief geradewegs via Kurzstopp hinter der Finishline in unser Bed&Breakfast zum… „breaken“ sowie abduschen all des Schmodders.
Wenn man im „normalen“ Leben mit Anzug und all den Förmlichkeiten für sein Auskommen sorgen muß, dann ist so ein Tag „back to the basics“ wie eine Flucht aus all den bornierten Etiketten des Alltags unserer Zivilgesellschaft.
In einem Haufen von über 2.000 Gleichgesinnten alles zu geben, sich keinen Furz zu verkneifen, es beim Radeln in der Abfahrt einfach „laufen zu lassen“ oder für ein Rülpsen nicht zu entschuldigen, sich von oben mit unten mit klebriger Masse und braunen Flüssigkeiten zu beschütten und fair gegeneinander zu fighten – was kann es am Renntag schöneres geben?!
Das ist Klasse, solange es dauert, danach will ich jedoch sofort raus aus den verranzten Klamotten und mir den Dreck und die eigenen Ausdünstungen mit ordentlich Wasser&Seife vom Leib schaffen.
Sofort danach bin ich wieder runter in den Trubel und habe das Flair weiterhin in mich aufgesogen.
Das war er nun also, mein letzter Ironman!
Alles lief prima, ein toller Abschluß nach 24 Jahren Triathlon und 19 Jahren Ironman!
Dachte ich!
Dachte Tina!
Und dann traf ich die Herren Longhin und Funk am Pizzastand hinter der Ziellinie.
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Und ab da ist nun gar nix mehr im Lebensplan wie es vorher war…
Ich mach’s kurz – was ist seither geschehen:
Kurzanfrage an das TSF zur Lage der Nation gestellt => erstmals seit Jahren wieder an einer Siegerehrung am Folgetag teilgenommen => Mit dieser verschworenen TSF-Sekte einen Tisch geteilt => die ganze Zeit in disee verklärten Augen sehen müssen => aus dem Nebel in der Ferne die Worte gehört „I ask Stefan Flachowsky – do you accept your slot for Kona 2015?“ => wie ferngesteuert aufgestanden und „Nu kloar mei Gudsder“ gedacht und „Yes“ gerufen…
Um den Kopf frei zu bekommen, haben wir uns dann von den anderen Athleten verabschiedet und sind nach St. David weiter gedüst, um dort in der kleinsten Stadt der Welt mit uns und vor allem meinem jetzt sehr aufgewühlten Seelenleben klar zu kommen.
Ich saß eine Stunde auf der dortigen heftig frequentierten Hauptverkehrsinsel und dachte über mein leben nach...
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Danach ging es in dieser City in den lokalen Junk Food Store...
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Und ich reinblütiger Atheist mir final dann noch den Beistand von der fernen Madame Pele und meinem lokalen Sparkassenfilialleiter in der Kathedrale von St. David Downtown erbeten habe...
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Und in diesem Stadium befinde ich mich noch heute und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis ich begriffen habe, dass Tenby 2014 doch noch nicht der finale Akt meiner Ironmangeschichte war.
„25 Jahre Triathlon – Kona ich komme!“