Rennsteig non-stop 30.08
So. Es ist vollbracht. Oder auch nicht. Auf alle Fälle vorbei. Hier der Bericht:
Das Zeitlimit von 28 Stunden für 168 km ist für Läufer meiner Leistungsklasse sehr sportlich, egal auf welcher Topografie. Ich habe es mir von vorneherein nicht zugetraut, die Strecke mit einem Zusatzgewicht von 3-4 kg im Rucksack zu bewältigen. Radbegleitung war also essentiell. Auch in Sachen Navigation. Mit Jürgen hatte ich da erste Wahl. Er kann Mountainbike fahren, ist ein sehr angenehmer Zeitgenosse und kennt den gesamten Rennsteig fast wie seine Westentasche. Wir haben uns auf der gesamten Strecke nur einmal unwesentlich verlaufen und er konnte mir alle Steigungen und wegpunkte vorher ankündigen.

Anbei erst mal die letzten Infos an meinen Betreuer:
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Startnummern holen wir direkt in Blankenstein ab. Treffpunkt zur Abfahrt ist um 14.30 in Gumpelstadt. Fahrtzeit ist maximal 2,5 Stunden, d. h. Abfahrt um 14.30, Ankunft dort um 17.00 Uhr. Karin fährt uns hin und dann wiederallein zurück, den Platz im Bus werde ich freigegeben, wenn wir das telefonisch abgestimmt haben.
Packliste
• 1 Karton Sponser-Gel
• Regenjacke
• Ersatzbatterien
• Feuchtes Tuch/Reinigungstücher (um die vom Gel klebrigen Finger etwas sauber zu bekommen)
• 2x Stirnlampe
• Diverse Salztütchen, bitte max 1 Gramm pro Liter
• Chaskee Schirmstirnband für nachts, damit mir der Lichtkegel der Lampe nachts nicht in die Brillengläser strahlt
• Einige Leckereien für unterwegs
• Dünner Pulli
• Pflaster, Mullbinde und Compeed
• Buffy
• Handy
• Rote-Beete-Saft, Johnissbeersaft zum Verdünnen wegen des Geschmacks
• Getränke. Für mich 2 Liter. Nachtetappe VP3 zu VP4 sind 28 km.
• Iskiate
Deine Aufgaben:
• Den Weg finden. Bitte nicht auf die Vorausfahrenden verlassen, sondern immer mitdenken.
• Ich brauche ca. 1 Liter Flüssigkeit pro Stunde, nachts etwas weniger, bei Sonne etwas mehr. Bitte 1 Gramm Salz alle 1-2 Liter zufügen
• Verpflegung ½ Gel alle 30 Minuten, nach den Verpflegen etwas weniger. Ab und an ein Stück kalte Bratwurst
• Bitte keine Kilometerangaben, sondern nur Uhrzeiten oder allgemeine Infos wie „wir liegen gut in der Zeit“ oder „quäl dich die Sau, sonst schaffen wir den Cut nicht“.
Ganz grober Zeitplan
Start 18.00 Uhr
VP1 km 20 Brennersgrün 20 km 2:30 20.30 Uhr
VP2 km 38 Kalte Küche 18 km 2:30 23.00 Uhr
VP3 km 57 Limbach 19 km 2:30 01.30 Uhr
VP 4 km 83 Dreiherrenstein 26 km 4:00 05:30 Uhr
VP 5 km 105 Grenzadler 22 km 3:00 08.30 Uhr
VP 6 km 119 Neue Ausspanne 14 km 2:00 10.30 Uhr
VP 7 km 134 Inselsberg 15 km 2:30 13:00 Uhr (Einstiegspunkt Karin, hier kannst Du raus, wenn Du willst)
VP 8 km 153 Hohe Sonne 19 km 4:00 17.00 Uhr
Ziel km 168 Hörschel 15 km 3:00 20.00 Uhr
Zielschluss 22.00 Uhr
Wichtig ist ein sehr moderates Anfangstempo. Ich bin hinten raus immer recht stabil wenn ich unterwegs genug esse und trinke und die Anstiege nicht renne. Kannst ja immer mal ansagen , wenn ein längerer Anstieg droht. Ab km 120 habe ich mit Wandertempo 5 km/h gerechnet, jeder Laufkilometer ist dann aber viel wert. Wandern dauert ewig. Karin bringt die NW Stöcke und Wechselsachen mit, falls es mich nach bequemer Bekleidung gelüstet. Ina Heyer wird auch noch anrufen (meine Nummer xxxxxxx) und irgendwo vor der hohen Sonne dazu stoßen. Besser ist es, wenn Du sie vormittags mal anrufst, um die ungefähre Zeit nach Zeitplan durchzugeben und dann noch mal eine Stunde vorher.
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So viel zur Theorie. Praktisch ist mir erst mal Donnerstag Abend eingefallen, dass mir noch das Sportgesundheitsattest fehlt. Ich also Freitag früh telefonisch beim Arzt auf die Tränendrüse gedrückt und dann glücklich nach nur einer Stunde Wartezeit den Stempel bekommen. Der kennt mich kaum. Kein Wunder. Ich bin ja fast nie krank.
Dann erst mal Frühstück mit Karin und die letzten Dinge einpacken. Beim Anheben der Tasche merke ich schon, dass es so nicht gehen wird. Einfach zu viel Gewicht. Aber er gibt die Möglichkeit, an drei Stellen Drop-Bags zu deponieren. Die werde ich nutzen für den Rote-Beete-Saft, ein paar Trailschuhe, die Schokokekse und das Iskiate. Jedenfalls fühle ich mich fit, das Wetter ist bestens und die Fahrt entspannt und stressfrei. Unterwegs überholen wir den Bus, welcher die Teilnehmer ohne eigene Transportmöglichkeit von Hörschel nach Blankenstein fährt. Also alles im tiefgrünen Bereich.
Dann umziehen, Rad bepacken, einen Stein aus der Selbitz fischen damit ich den bei Gelingen des Vorhabens in die Werra schmeißen kann. Letztes Briefing um 17.45, dann pünktlicher Start um 18.00 Uhr. Gleich geht es die ersten Rampen hoch, die gesamte Gruppe der 130 Starter verläuft sich schon in Blankenstein ein erstes Mal. Das Tempo ist moderat, auf den ersten 20 km viel Asphalt, aber auch hier schon die Möglichkeit etwas offroad zu laufen. Jürgen gewöhnt sich langsam an das Tempo, das Feld ist noch dicht zusammen.
Erster VP in Brennersgrün im Zeitplan. Es ist schon dunkel, wir legen die Stirnlampen an. Und erster Schock: Die Lampe von Jürgen funktioniert nicht. Wahrscheinlich hat er bei der Montage am Helm das Kabel zum Batteriefach zu stark belastet und jetzt kein Strom auf den LEDs.
Da muss er wohl umbauen auf die Reservelampe. Eine feste Leuchte hat er zusätzlich am Lenker. Also keine Panik. Ich laufe schon mal weiter, werde aber etwas panisch, als Jürgen auf sich warten lässt. Ich habe das Handy nicht am Mann und so keinen Kontakt. Wenn größere Probleme auftauchen sollten bin ich auf mich allein gestellt. Also fällt mir ein großer Stein vom Herzen, als er nach einiger Zeit wieder auftaucht. Ein Helfer am Kontrollpunkt hat ihm seine Stirnlampe geliehen, weil unsere Reservelampe älteren Datums ist und noch nicht mit LEDs arbeitet. Jürgen hat somit zwei Lampen und allerbeste Sicht. Dies ist auch extrem sinnvoll, denn auch für die Radfahrer wird die erste Hälfte der Strecke ein richtiges Brett. So war auch der überwiegende Teil der Teilnehmer alleine und ohne Radbegleitung unterwegs. Ein kleiner Teil ist aus dem Auto raus versorgt worden.
Die Strecken wurden jetzt Rennsteigmäßig. Und ich habe meine ersten Leichtsinnsfehler zu spüren bekommen. Erstens war die Helligkeit meiner Stirnlampe ungenügend für den für mich nicht so geplanten sehr hohen Trailanteil. Vernünftig zu laufende Wege waren ab sofort die Ausnahme. Uneben, extrem ausgetreten und verwurzelt, steinig, stufig, steil. Und das bei Nacht. So gab es viele Stürze, die bei dem steinigen Untergrund auch schnell mal böser ausgehen können. Ich habe mich nur einmal harmlos flach gelegt, konnte aber bergab nur mühsam und langsam wandern. Da fehlt mir einfach die Athletik und Trittsicherheit. Und bergauf kann ich zwar recht mühelos traben, andere aber in demselben Tempo wandern. Hinzu kam die falsche Schuhwahl. Ich hatte mit schmalen, aber noch gut laufbaren Wanderwegen gerechnet und auf die leichten Lunarracer gesetzt. Auf den Irrsinnstrails bei Nacht aber eine ganz schlechte Wahl.
Immerhin war ich bis VP 2 Kalte Küche noch im und in Limbach bei VP3 wohl noch halbwegs im Zeitplan. Dort hatte ich im Dropbag wohlweislich die Trailschuhe deponiert, welche mir das Leben ab sofort erleichterten. Laut Auskunft eines Helfers waren wohl noch gut 30 Starter hinter uns, aber schon unglaubliche 26 ausgestiegen. Frisch gestärkt, mit rote Beete-Saft gedopt und immer noch recht munter und motiviert ging es dann auf die 26 km lange Nachtetappe zu VP4. Das Iskiate blieb unberührt, ebenso die Schokokekse. Auch auf die kalten Bratwürste hatte ich während der gesamten Zeit irgendwie keinen Appetit.
Die Nacht war sehr lang. Einige Teile konnten wir Straße oder Radweg laufen, aber sehr oft ging es über Stock und Stein. Der Hohlweg runter bei Masserberg ist schon Tagsüber nicht einfach. Bei Nachts schlicht eine Prüfung, zumindest für mich. Auch Jürgen hat fahrerisches Talent zeigen müssen. Am Ortseingang Masserberg ein Läufer mit Radbegleitung bei einer Krisensitzung. Noch schien im benachbarten Hotel etwas los zu sein und die beiden bestellen erst mal ein Weißbier. Ich lief noch, aber verlor Minute auf Minute. Am Dreiherrensteig bei Halbzeit war ich schon 1:45 hinter dem Zeitplan. Die 8 Läufer im kleinen Zelt dort waren auch in 2 Gruppen gespalten: 4 Aufgeber und 4, welche nur ein wenig länger Rast machten, um Kopf und Beine wieder etwas frisch zu bekommen. Immerhin war es jetzt schon hell und auch mein Schritt war Richtung VP5 anfangs wieder noch erstaunlich flott. Und zwei der Herren aus dem Zelt in VP4 saßen kurze Zeit später ebenfalls am Wegesrand und berieten sich wie es denn weitergehen soll. Denn zwischen VP4 und VP5 liegen nicht nur die Schmücke als höchster Punkt, sondern auch noch andere Anstiege, so dass auch bei mir die Kraft zusehends schwand. Immerhin wurde der Trailanteil wesentlich geringer und mein Schritt durch das Tageslicht sicherer. Berghoch ging immer noch langsamer Laufschritt, aber das Tempo in der Ebene und bergab war nur unwesentlich schneller als Wandertempo. Ab km 120 hatte ich ja eh mit Wandern gerechnet, aber so war ein Finish im Zeitlimit schon recht illusionär. Nachdem ich um 8 Uhr noch recht euphorisch war und das Ding unbedingt wuppen wollte, hatte ich so bei km 100 dann doch ernste Bedenken. Denn schon bei Halbzeit hatte ich nur noch 14 Stunden für 83 km, was bei Wandertempo nicht machbar ist. Um bei km 100 war ich knapp 16 Stunden unterwegs. Mir war klar, dass ich allerspätestens bei km 110 komplett würde wandern müssen und nie und nimmer im Zeitlimit angekommen wäre. Am VP Grenzadler bei km 105 bin ich dann ausgestiegen. Das gesamte Feld war schon gute 2 Stunden hinter dem Zeitplan zurück. Von den hinter uns kommenden wollte ein Großteil noch weiter. Jürgen und ich haben uns dann erst mal ein Bier gegönnt und doch noch die Bratwürstel gefuttert. Meine Frau hat uns dann abgeholt.
Als ich dann abends frisch geföhnt auf der Couch lag und überlegte, jetzt noch torkelnd die letzten 10 km bei Dunkelheit machen zu müssen war ich dann doch sehr glücklich über die Entscheidung
Fazit: Ich hätte mich sehr geärgert, nicht am Start gewesen zu sein. Ich freue mich, meine Grenzen aufgezeigt bekommen zu haben. Ich bin immer mehr begeistert von Ultra-Trails, sollte mir aber nicht einbilden, dass man so war „einfach so“ mal mitmacht und bei denen, welche seit vielen Jahren trainieren, mitmischen kann. Das ist (vielleicht noch) eine andere Liga. Vor allem beim Rennsteig non-stop.