Ich gebe seit 1997 Nachhilfe in Mathe hauptsächlich und habe ein paarmal als Vertretungslehrer an zwei Schulen (Gesamtschule mit Klassen mit Vollzeitunterricht, Gymnasium ohne Vollzeitunterricht) gearbeitet.
In meinen Augen haben viele Kinder und Jugendliche von heute keine richtige Kindheit bzw. Jugend mehr.
Zeitlich sind nämlich viele fast so eingebunden, als hätten sie einen 8-Stunden-Job.
Ich hatte schon Ganztagsschüler in der Nachhilfe, die waren von 8: 00 bis 16:15 Uhr an der Schule und dann war von 17 bis 18:30 Uhr noch Nachhilfe angesagt.
Nicht einmal die Hausaufgaben waren oft gemacht, weil das an der Schule in den dafür eigens vorgesehenen Nachmittagsstunden nicht möglich war oder kaum (zu laut).
Mit 16 Jahren habe ich mit dem Ausdauersport angefangen.
Dem konnte ich nachgehen, weil ich eben kein Vollzeitschüler war (und auch nie Nachhilfe o.ä. bekam).
2011 war ich für zwei Monate an einer Gesamtschule und habe da erlebt, was diese Schule anbieten konnte.
Das war nicht viel mehr als Mittagessen (in normalen Klassenräumen), ein bisschen unbetreute "Freizeit", wo die Schüler sich aber auf dem Schulgeläde aufhalten mussten und Hausaufgabenbetreuung.
Inzwischen dürfte es sich gebessert haben.
Eine Schule muss was anzubieten haben, wenn sie Ganztagsunterricht anbietet.
Dann muss es wenigstens die Möglichkeit geben, dass man sich seinen Hobbys an der Schule widmen kann.
Man kann schlecht für jeden das richtige anbieten, aber es muss zumindest ein Mindestangebot geben finde ich, so dass jeder Schüler die Chance hat sich an seiner Ganztagsschule nicht nur dauernd mit Schulstoff zu beschäftigen.
Wenn das wenigstens der Fall wäre.
Viele Schüler haben damals oft Schultag für Schultag einfach viel Zeit irgendwie totgeschlagen.
Für meinen Geschmack sind heutzutage recht viele der Schüler, die zu mir kommen zur Nachhilfe, ziemlich unterwürfig.
Da gibt es nicht den Hauch von Widerstand dagegen, dass sie zeitlich fast so eingebunden sind wie ihre Eltern, die arbeiten.
Das erreicht die Ganztagsschule:
Die Schüler sind es praktisch schon viele Jahre gewohnt, dass sie unter der Woche dermaßen eingebunden sind, bevor sie überhaupt eine Ausbildung anfangen.
Für die Eltern ist es oft praktisch.
Das herrschende Famileinmodell relativ gut betuchter Eltern ist, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten.
Meine große Tochter macht gerade Abitur (G8) und ist nach ihrer Aussage froh darüber, dass es nicht noch ein Jahr länger geht.
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Es geht auch um anderen Dinge. In Mathe z.B. wurde wegen G8 in den letzten Jahren Unterrichtssftoff gestrichen. Hinzu kam, dass man im verzweifelten Versuch, Mathe doch bitte praxisnah darzustellen ("Für was braucht man das überhaupt?"), z.B. den graphischen Taschenrechner und an den Haaren herbeigezogene Anwendungsaufgaben (oder Modelierungsaufgaben) eingeführt hat, die vom Mathematischen her i.d.R. äusserst dünn sind. Der geplagte Lehrer verliert durch Erklärungen dieser Aufgaben ebenso viel unnötige Zeit wie bei dem Arbeiten mit den überfrachteten Taschenrechnern. Unterrichtsstoff wurde wegen G8 bis zur Mittelstuffe herunter vorgezogen, oftmals zum Nachteil der Jungs, die einfach später entwickelt sind als gleichaltrige Mädchen.
Heraus kommen halbfertige junge Menschen. Betriebe reagieren längst und stellen zum großen Teil nur noch Masterabschlüsse ein. Unis jammern über das gesunkene Niveau der Abiturienten. Selbst Brückenkurse in Mathe bringen kaum mehr den erhofften Erfolg.
Was mich bei der G8/G9 Diskussion immer wieder wundert: warum ist es so schwierig, G8 vernünftig umzusetzen? Immerhin schaffen es viele Länder in Europa traditionell ein Abitur nach 12 Jahren Schule zu ermöglichen (und sogar einige der neuen Bundesländer, wenn ich nicht irre), das dem traditionellen G9-Abitur in nichts nachsteht (ich weiß, diese Behauptung wird auch Kontroversen auslösen).
Was hindert die Schulreformer daran, sich an erfolgreichen Vorbildern aus anderen Ländern zu orienterien, statt etwas hinzuwürgen, was Schüler und Lehrer frustriert? Oder ist es die menschliche Trägheit, die die Umstellung so schwer macht ("wir haben es schon immer so gemacht"-Syndrom)?
Ich persönlich war übrigens heilfroh, daß ich nach der 12. Klasse mein Abitur hinter mir hatte, und mich einem "gezielteren" Lernen für meinen Wunschberuf widmen konnte. Jedes weitere Schuljahr hätte ich als vergeudete Zeit empfunden.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
Was mich bei der G8/G9 Diskussion immer wieder wundert: warum ist es so schwierig, G8 vernünftig umzusetzen? Immerhin schaffen es viele Länder in Europa traditionell ein Abitur nach 12 Jahren Schule zu ermöglichen (und sogar einige der neuen Bundesländer, wenn ich nicht irre), das dem traditionellen G9-Abitur in nichts nachsteht (ich weiß, diese Behauptung wird auch Kontroversen auslösen).
Was hindert die Schulreformer daran, sich an erfolgreichen Vorbildern aus anderen Ländern zu orienterien, statt etwas hinzuwürgen, was Schüler und Lehrer frustriert? Oder ist es die menschliche Trägheit, die die Umstellung so schwer macht ("wir haben es schon immer so gemacht"-Syndrom)?
Ich persönlich war übrigens heilfroh, daß ich nach der 12. Klasse mein Abitur hinter mir hatte, und mich einem "gezielteren" Lernen für meinen Wunschberuf widmen konnte. Jedes weitere Schuljahr hätte ich als vergeudete Zeit empfunden.
In den EU-Ländern mit G8 gehen die Kinder mit fünf Jahren in eine Art Vorschule, die allerdings oft als Kindergarten bezeichnet wird.Das ist ein vorbereitenes Jahr auf die Schule. So was hält man bei uns immer noch nicht für nötig, obwohl es für die Kinder gut wäre.
Ach ja, zu den östlichen Bundesländern( neu sind sie ja nicht mehr). Das wäre ja was ganz Neues gewesen, wenn man mal geschaut hätte, wie die Lehrpläne dadrüben aussehen, obwohl sie im Landervergleich gut abschneiden. Auch die Kinderbetreuung ist in den östlichen Bundesländern immer noch besser organisiert.Da haben wir nicht aufgeschlossen.
In den EU-Ländern mit G8 gehen die Kinder mit fünf Jahren in eine Art Vorschule, die allerdings oft als Kindergarten bezeichnet wird.Das ist ein vorbereitenes Jahr auf die Schule. So was hält man bei uns immer noch nicht für nötig, obwohl es für die Kinder gut wäre.
Gut? Ich halte das für genau den falschen Weg.
Aus der Neurobiologie wissen wir, dass die frühe Festlegung auf konvergentes Denken, die frühe Festlegung auf Leistungs- und Pflichterbringung genau kontraproduktiv für die Neuroplastizität der Kinderhirne (bis etwa 12, 13 Jahren) ist.
Und Effekte (z.B. Konformismus etc.) erzeugt, die wir genau nicht haben wollen.
Sehe ich auch so, allerdings ist meine Erfahrung dass die beste Lebenschule ausserhalb der Schule stattfindet, egal ob G8 oder G9. Dazu gehören zB Auslandsaufenthalt, Praktikum, Mithilfe bei der Tafel, Besuch bei der Tante im Altenheim, usw.
Dann also lieber G8, dann ist man eher da raus und hat Zeit für was anderes.
Dann lieber G9, dann hat man auch während der Schulzeit Zeit für so etwas!
Aus der Neurobiologie wissen wir, dass die frühe Festlegung auf konvergentes Denken, die frühe Festlegung auf Leistungs- und Pflichterbringung genau kontraproduktiv für die Neuroplastizität der Kinderhirne (bis etwa 12, 13 Jahren) ist.