Hamburg! Fischmarkt, Hafen, Speicherstadt, Rathaus, Reeperbahn, Landungsbrücken. Tor zur Welt.
Pioto und ich sehen natürlich mal wieder nichts von diesen bedeutenden Kulturgütern, sondern rollen freitag abends nur stur vom Bahnhof zur Unterkunft in Geesthacht. Es schifft genug, um nass zu werden und die Navistrecke verschafft uns überflüssigerweise noch die Gelegenheit, unsere Cross-Fähigkeiten zu verbessern. Die Stimmung ist etwas lädiert.
Samstag morgens um kurz nach fünf ist der Himmel dann wider der Erwartungen sternklar. Um die 6°C, frischer Wind weht von Südwest, die Luft könnte kaum erquickender sein. Herrlich. Wir rollen einige Kilometer entlang der Elbe zum Start. Aus Seitenstraßen biegen andere Gruppen auf die Strecke mit ein und entfachen sofort den magischen Flair nächtlicher Fahrten. Am Start selbst ein hübsches Gewusel von knapp 300 Startern, tolles Frühstücksbuffet. Leider haben wir nicht grad viel Zeit. Oder ich stell mich doof an. Dachte ich zwar noch, ich habe nicht mehr viel zu tun, so komme ich doch plötzlich in Zeitnot mit meiner Packerei. Noch kurze Begrüßung mit Tacis und BigWilly, Rucksack abgeben und genau eine Minute vor unserem Startschuss bin ich dann auch mal soweit.
Abgesehen von einem kurzen ersten Verfahrer nach der ersten Brücke kommen wir gut auf die Strecke. Pioto und Tacis lümmeln sich gleich auf ihre Aerolenker und machen erstes Tempo. Der Tacho steht oft bei 34-35 km/h. Wie üblich passt das nicht zum bei mir noch stattfindenden Verdauungsvorgang. Ich hab fast ein bisserl Mühe dranzubleiben. Trotz Wind von rechts hinten. Nach gut 45min dann auch mal in die Führung und siehe da – es läuft. Ob wir das Tempo über die ganze Strecke halten können? Pioto hat auch ein bisserl Zweifel. Wir werden sehen, für den Moment gilt: Genuß jetzt! Es wird hell, wunderschöne Morgenstimmung entlang der Elbe.
Es folgen einige Hügelchen mit ominösen Aufstiegszeiten von bis zu fünf Minuten. Sapperlot. Sogar nen Aussichtspunkt auf die Elbe gibt es. Nach Hitzacker wird’s dann brutal ländlich. Kleine Straßen, viel Dreck. Wir sehen einige Gruppen mit Platten am Straßenrand. Als wir eigentlich schon durch sind, erwischt es uns dann doch noch. BigWilly ist platt, reifentechnisch (

). Tacis zieht gleich, wenn auch zeitversetzt. Während wir flicken, fliegen Gruppen vorbei. Kurz darauf ist Kontrolle nach 90 km. Anders als bei den normalen Brevets ist hier eine Verpflegung organisiert. Fettbemme und Müsliriegel. Die Pause fällt reparaturbedingt etwas länger aus. Also noch ne Fettbemme. 22min stehen wir insgesamt, dann nehmen wir wieder Fahrt auf. Der Wind kommt immer mehr von der Seite. Bei einer windgeschützten Passage hinterm Deich fällt es erst so richtig auf. Nach Wittenberge (übrigens ohne großes Verkehrsaufkommen) folgen wir anders als die meisten Teams der Waldstrecke nach
Beschreibung von Hawkmarcus Richtung Bad Wilsnack. Für mich das landschaftliche Highlight der Tour. Vielen Dank nochmal für diesen Tip.
Der Spaß geht genau bis Kilometer 160, dann zieht es BigWilly den Stecker. Wir müssen rausnehmen, was anfangs nicht immer optimal klappt. Nach Abzweigen und bei Gegenwindpassagen ziehen Tacis und Pioto gern mal an. Als dritter Mann hab ich dann die Wahl zwischen dranbleiben oder BigWilly Windschutz zu geben. Letzteres erscheint mir fair. Folglich arbeiten immer wieder zwei Mann im Wind. Auf Dauer suboptimal. Der Wind kommt mittlerweile auch vermehrt von vorn. Wir beschließen in Havelberg nach ca. 180 km einen Tankstellenstop einzulegen. Nur dumm, dass wir bei der Ortsdurchfahrt weder Tanke noch Supermarkt entdecken. Die Route zu verlassen kommt uns irgendwie gar nicht in den Sinn. Die nächste Einkaufsgelegenheit ist dann „strukturschwache“ 20 km entfernt, welche mit drei leicht angezogenen Handbremsen und einem starken Willen überbrückt werden. Es folgt maximal verträgliche KH-Zufuhr.
Essen ist immer gut, entsprechend geht es wieder aufwärts. Zumal sich ein Zweckbündnis mit drei Vertretern des FC St. Pauli in Tateinheit mit einer schönen 2er-Reihe ergibt. BigWilly scheint es besser zu gehen, er fährt auch die Führung mit.
In Nauen lassen wir uns durch lautes „Rechts, rechts“ von unserer Route abbringen und finden uns auf der Ausfallstraße Richtung B5 wieder. Da wollten wir aber eigentlich nicht fahren. Umkehrwünsche werden vom Rufer, einem sich an die Gruppe angehängtem Einzelstarter, verbal abgewürgt, denn er sei schließlich von hier und kenne sich aus und das wäre der kürzeste Weg nach Berlin und überhaupt. Wenn ich mich so umsehe, muss ich sagen: Ich hätte damit nicht geprahlt. Aber sei’s drum. Fahren wir halt eine vierspurige Bundesstraße lang. Wie hübsch. Pioto ist mächtig angewidert. Mir geht’s ähnlich. BigWilly begrüßt die Aussicht auf ein paar Kilometer weniger, Tacis enthält sich. Entscheidungswille ist irgendwie nicht vorrätig, also folgen wir dem Ortskundigen um viele enge Radwegecken nach Berlin hinein. Auf den letzten Kilometern sammeln sich noch andere Gruppen an den Ampeln, was uns eine autofreie rechte Fahrspur verschafft. Angenehm. Dann nochmal Schlusssprint bergauf und wir sind angekommen.
Als Zielverpflegung wird Kuchen und leckere Kartoffelsuppe angedient, dazu das Freibier von BigWilly. Merci dafür.
Dicken Respekt auch an ihn, dass er das Tempo mitgegangen ist. Auch wenn er manchmal nimmer ganz so entspannt aussah.
Insgesamt ein wunderbarer Saisonabschluss mit überraschend gutem Wetter. Top organisiert und absolut empfehlenswert. Das nächste Mal steh ich dann nur etwas früher auf, um mich auch durch das ganze Frühstücksbuffet zu mampfen.
P.S.: Das Brandenburger Tor und den Alexanderplatz haben wir übrigens auch noch gesehen (vom Auto aus), vielleicht sind wir doch keine so argen Kulturbanausen…
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Strecke:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=bnjvvwqztfheehjb
276km, 8:49 netto, 10:09 brutto, 195W (NP)
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Bild: Pioto lässt sie alle beißen...