Die Welt steht still, doch der Planet dreht sich weiter. Dem will ich nicht im Wege stehen und kümmere mich mal etwas ums Tagesgeschäft.
Durch Wettkampfabsagen und die Ungewissheit darüber, wann denn überhaupt irgendwas stattfinden kann, hat Lionel Sanders Zeit, sich um andere Dinge zu kümmern. Zum Beispiel, sich den KOM für das
"M0 To Summerhaven" Segment am Mount Lemmon zu holen, und sich danach an dem
"offiziellen" Segment zu versuchen.
Attempting the Fastest Time Up Mt. Lemmon
Erin hat dieses Video gefilmt und Talbot hat es geschnitten.
Sadie Holmes ist zu Besuch, und muss am nächsten Tag wieder heim (Sanders: "Get out of Dodge") bevor die Grenze schließt. Lionel meint, dass er aus seiner Sicht den Mt.-Lemmon-KOM noch hält, weil für ihn der "echte" Anstieg
bis Ski Valley geht. Aber Phil Gaimon hält den Rekord nach Palisades; danach kommt eine kurze Abfahrt. Sanders' finales Ziel ist, sich diesen zu holen.
Zuerst will er sich aber den KOM nach Summer Haven schnappen, wo
The Cookie Cabin liegt. Die Bestzeit ist 1 Stunde 31 Minuten. Es folgen Aufnahmen vom Anstieg. Lionel meldet hörbar angestrengt, dass er im Schnitt 374 Watt tritt. Mir fällt spontan auf, dass Lionel
ziemlich auf der rechten Seite überzuhängen scheint. Fährt der immer so?
Nach dem Aufstieg erzählt Lionel, dass er mehr Gas gegeben hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass er in Schlagdistanz zu Phils Rekord war. Leider hat er es erst bei Windy Point gemerkt. Aber egal, er hat den KOM geholt, den er haben wollte. Er hat ihn drei Minuten verbessert und seine eigene Bestzeit um sechs Minuten. Er meint aber, er hätte noch 10 Watt oder so mehr drauf gehabt, wenn er geahnt hätte wie nah er am "offiziellen" KOM dran ist.
Sanders schaut sich die Daten an und meint, dass Phil Gaimond leichter ist, aber mehr Watt getreten hat. Lionel spekuliert, dass er selbst zwischen 385 und 390 W schaffen muss, um Gaimonds Vorsprung von 1:58 einzuholen. Er will zwei Wochen abwarten und es dann krachen lassen. Lionel philosophiert dann nochmal darüber, warum er meint, dass er den "echten" Rekord hält. Aber das spielt keine Rolle, er holt sich alle KOMs: "I'm coming for you, Phil. I'm coming for you!"
Erins Kameraführung ist noch ziemlich zappelig, aber es bleibt zu hoffen, dass sie im Lauf der Zeit mit Tipps von Talbot ordentliche Aufnahmen hinbekommt. Übung macht den Meister und viel hilft viel.
A Perfect Day on Mount Lemmon
Nur drei Tage später. Auch dieses Video hat Erin gefilmt und Talbot hat den Schnitt gemacht. Lionel fährt diesmal etwas früher los. Es ist windstill, was von Vorteil sein könnte. Er hat am Rad den Flaschenhalter entfernt und fährt im Einteiler, einem neuen nahtlosen von Garneau. Diese Optimierungen hat er sich von Phil Gaimons Videos abgeschaut. Und die wichtigste Änderung: Er wird mehr Watt drücken.
Lionel erzählt bei der Fahrt zu
Mile Zero, warum ihm der Mt.-Lemmon-KOM überhaupt irgendwas bedeutet. Im Jahr 2011 kam er als
Newbie nach Tucson, mit
Barrie Shepley und seinem C3 High Performance Camp. Dabei war eine ganze Reihe von Athleten, die er respektierte und von denen er sich wünschte als guter Sportler anerkannt zu werden. Um sich zu beweisen wollte er
Sean Bechtels Zeit schlagen, weil dieser ein guter Radfahrer ist. Lionel hat reingehauen und brauchte 1 Stunde 52 oder so. Es wurde dann gewitzelt, dass Lionel auf dem von Sean geliehenen Rad schneller gefahren war als dieser selbst. Das war sein erster Ausflug in die Domäne des Hochleistungssports. Seither ist der Berg eine ganz persönliche Angelegenheit. Und so war jedes Jahr seit 2011 wenn er nach Tucscon gekommen ist, das Erklimmen des Berges der Höhepunkt. Einmal kam sein Flieger nachmittags um drei an und Barrie fuhr ihn direkt zum Anstieg, und während ihnen das Tageslicht allmählich ausging, versuchten sie, vor Sonnenuntergang den Berg zu bezwingen.
Erin erwähnt, dass viele Leute sich Sorgen über die Riemen an Lionels Helm gemacht haben, im ersten Video. (Die Riemen waren verdreht und zu lose.) Lionel antwortet, wenn er die Zeit um eine Sekunde verpassen sollte, wird er wissen, dass das der Grund war und wird den Helm wutentbrannt zur Seite werfen.
Lionel erklärt: Er ist im Segment zu Ski Valley bereits mit 1 Stunde 39 Minuten in Führung. Im letzten Video hat er sich Cookie Cabin/Summer Haven geschnappt, mit 1 Stunde 28 Minuten. Und jetzt arbeitet er den Berg nach unten ab. Hier zählt es, denn hier haben sich Mike Woods, Tom Danielson, Phil Gaimon – alles großartige Radprofis – versucht. Und Phil Gaimon führt die Liste an.
Lionel sinniert darüber, dass es irgendwie dämlich ist, die Strava-Segmente zu attackieren, von denen es vermutlich 9 Millionen gibt, den Berg hoch. Aber die beherrschenden zwei Segmente, "Mt. Lemmon Official" (1:15 bei 379 W) und "Mt. Lemmon" (eine Meile länger, ca. 1:18:30, 355 W, vermutlich ein lockerer Tag), werden beide von Phil Gaimon gehalten.
Es folgen drei Minuten Aufnahmen vom Anstieg. Lionel fährt dann auf die Kamera zu, bereits ein virtuelles Krönchen auf dem Kopf. Er meint, dass er genügend Vorsprung herausgefahren hat, um sicher sein zu können, dass auch bei eventuellen Korrekturen nach dem Strava-Upload der KOM ihm gehört.
Später am Laptop ist er dann doch etwas nervös, aber dann ist es klar: Er hat die Mt.-Lemmon-Official-Zeit um zwei Minuten verbessert. Es hört sich verrückt an, aber das war einer der Träume seines Lebens, diesen KOM zu holen. Was hat er dieses Mal anders gemacht? Er ist viel länger tiefer, also Untergriff, gefahren; das war der Hauptunterschied, während die Leistung mit 381 W nur unwesentlich höher war. Außerdem hatte er das Strava-Segment
auf den BOLT geladen und wusst so immer, ob er Vorsprung hat oder zurückliegt. Er wusste nicht, wie genau die Angabe sein würde, aber er konnte sehen, dass er die ganze Zeit über Vorsprung hatte. Das war das erste Mal, dass er
Strava Live Segments verwendet hat und soweit er es beurteilen kann, war die Anzeige "bang on", lag komplett richtig. Außerdem ist er so lange wie möglich auf dem weißen Begrenzungsstreifen gefahren, weil er vermutet, dass die Oberfläche schneller ist.
Er ist sehr glücklich. Er befürchtet, dass Phil sich jetzt schon auf den Weg gemacht hat, um die Zeit zu unterbieten. Das hat er in Palm Springs schon mal getan,
auf dem Tramway-Segment. Seinerzeit, 2018, war das Lionels härtester Ausritt überhaupt. Er holte den KOM, aber zwei Wochen später tauchte Phil auf und pulverisierte seine Zeit. Lionel bettelt mit gefalteten Händen Phil an, ihm wenigstens einen Monat zu geben.
Flashback, zurück zum Ende der Strecke: Lionels Spezi
Corey Bellemore zaubert
eine Sektflasche aus dem Auto. Lionel ist unwillig, aber Corey hat extra einen Regelmantel angezogen. Lionel wendet sich an die Kamera, während er sich daran macht, die Sektflasche zu öffnen und adressiert Phil: "Du bist eine echte Inspiration. Und das sage ich in vollem Ernst. Wenn ihr dies hier unterhaltsam und motivierend findet, Phil war eine riesige Inspiration für mich. Ich weiß, dass vor der Corona-Krise Pläne hatte, für eine Spendenaktion eine große Radtour im Osten zu fahren und Geld zu sammeln. Leider musste er dieses Vorhaben abbrechen. Ich hoffe,
ihr unterstützt seine Organisation." Lionel schüttelt die Flasche. "Danke für die Inspiration, Phil." Schüttelt weiter. "Ich weiß nicht, warum ich das tue, es ist lächerlich." «Plopp» Der Schampus sprüht. "Yaaahhh!"
"Noch etwas: Die Organisation, die Phil unterstützt, ist No Kid Hungry. Ich hoffe, ihr spendet. Es gibt viele, die weniger Glück hatten. Wir sind wirklich privilegiert; wir sind gesund, können Rad fahren. Wir gehen durch harte Zeiten und lasst uns dies als Gelegenheit nutzen, Menschen zu helfen, die unsere Hilfe brauchen. Wir wollen, dass alle sicher und gesund bleiben. Ich werde meinen Worten Taten folgen lassen und spenden, ich hoffe, ihr tut das auch. Cheers!"
Videobotschaft von Phil: "Ich habe eine Nachricht für Lionel." Läuft an einem Trikot vorbei. "Das war eben mein Jersey für die nationale Berg-Meisterschaft." Ernster Blick. "Wir werden keinen Triathleten diesen KOM behalten lassen. Diese Aggression wird nicht geduldet werden. Ich werde nicht auf den Versuch, diese Gräueltat durch scheinheilige Spendenaufrufe reinzuwaschen, hereinfallen. Niemand wird sich davon täuschen lassen. Momentan geht diese Virusgeschichte um, also weiß ich nicht wann, aber das hier ist nicht vorbei." Er hebt mahnend den Zeigefinger. Verachtung, Enttäuschung, Trauer, tiefe Entschlossenheit: "Es ist nicht vorbei."