Mich stört, dass er sich mit diesem Dreh gegen berechtigte Kritik verwahrt.
Özil hat eine Art „Verhör“ beim DFB mitgemacht und sich somit beweisbar der Kritik gestellt. Er hat sich Gesprächen innerhalb der Nationalmannschaft gestellt, die laut Manager Bierhoff intensiv waren. Auch hier hat er sich der Kritik gestellt.
Dann gab es ein Gespräch mit Bundespräsident Steinmeier, und ehrlich gesagt wäre mir das zu dumm gewesen. Aber Özil hat auch das mitgemacht.
Es gab also jede Menge Kritik; für meine Begriffe in einem grotesken Ausmaß. Özil hat das brav mitgemacht.
Aber was machen wir, wenn Özil trotzdem bei seiner Meinung bleibt? Wer hat dann Recht? Was sollen wir tun? Immerhin hat Özil gegen keine Gesetze verstoßen, und hier enden dann eben unsere Möglichkeiten. Ein Rechtsstaat hat das zu akzeptieren.
Man hätte die Sache auf sich beruhen lassen sollen. Vielleicht hätte Özil seine Meinung irgendwann geändert, wer weiß. Falls nicht, muss man trotzdem miteinander auskommen, und Özil ist doch kein Wüterich, mit dem man nicht auskommen könnte.
Wenn wir mit Leuten wie Özil nicht zurechtkommen, der im Grunde ein schüchterner Mensch ist, dann ist da was faul.
Oder macht das dann doch was aus, wenn alle den gleichen Berater und die gleichen Sponsoren haben?
Ja, wer käme denn auf so abwegige Ideen?
Unabhängig davon meine ich allerdings schon, dass es etwas für sich hat, wenn nicht irgendwelche SJWs oder der Mob auf den Straßen darüber bestimmen, welcher Spieler nun zur Weltmeisterschaft darf und welcher nicht.
PS: Also, das mal davon abgesehen, dass es mir im Normalfall total wumpe ist, wer da dem Ball hinterhergurkt.
Wenn Özil vollwertiger Deutscher ist, hier geboren ist, und das alles so selbstverständlich ist, dass man gar nicht mehr von Integration etc. sprechen muss, warum bezeichnet er dann eigentlich Erdogan als "mein Präsident"? Ein Foto kann man immer machen, manchmal macht man ja auch ungeschickterweise mit dubiosen Leuten Fotos, aber seine Aussage geht ja in eine ziemlich eindeutige Richtung. Als Spieler der Nationalelf muss man da sensibler sein, als irgendwelche Jungs auf der Straße. Ich muss auch mehr auf meine Wortwahl achten als irgendwelche Bauarbeiter.
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OUTING: Ich trage Finisher-Shirts beim Training, auf der Arbeit, in der Disco, auf Pasta-Partys, im Urlaub und beim Einkaufen
Wenn Özil vollwertiger Deutscher ist, hier geboren ist, und das alles so selbstverständlich ist, dass man gar nicht mehr von Integration etc. sprechen muss, warum bezeichnet er dann eigentlich Erdogan als "mein Präsident"?
Ich habe öfters mit Türken in Frankfurt (ich wohne hier) gesprochen, die starke Befürworter von Erdogan waren. Es hieß, ja, er greift hart durch, aber endlich macht's mal jemand und bringt den ganzen Laden auf Vordermann. Und dann folgen Geschichten von Alltags-Kriminalität, Korruption und finsteren Banden.
Ich entgegne darauf immer, dass man all diese Probleme nicht löst, indem man den Rechtsstaat abschafft, sondern indem man ihn stärkt. Aber soweit denken die Leute, mit denen ich gesprochen habe, in der Regel nicht. Denen ist nicht klar, warum ein Präsident keine Macht über die Justiz oder über die Medien haben sollte. Sie durchschauen das Spiel von Erdogan nicht, der diese Gewaltenteilung beseitigt. Sie sehen nicht, dass es sich gegen sie selbst richtet.
Wie bringt man nun diese Leute, die nichts Böses wollen, von ihrem Erdogan-Kurs wieder ab? Indem man sie anschreit? Mit dem Finger auf sie zeigt? Ausgrenzt?
Das Gegenteil ist angebracht. Man muss die Sache erstmal beruhigen, damit man ins Gespräch kommt. Danach muss man ihnen deutlich machen, wie schön es sich in Deutschland leben lässt, weil der Staat rechtsstaatlich organisiert ist, und weil die Freiheit als hohes Gut betrachtet wird. Wer das selber erlebt, der wird irgendwann auch skeptisch, wenn es jemand wie Erdogan abschaffen will.
Aber wer in Deutschland Ausgrenzung, Streit und Mobbing erfährt, der hat auch keinen Grund, den deutschen Staat sonderlich zu schätzen, oder ihn gar als Vorbild für die Türkei anzusehen. Deswegen war die hysterische Reaktion auf das läppische Foto genau die falsche Strategie. Man überzeugt die Leute nicht, indem man sie mobbt oder ausgrenzt.
Erdogan nutzt diese Situation natürlich aus. Seine Botschaft in den letzten Stunden war: "Seht her, die Deutschen haben etwas gegen die Türken! Aber ich, Erdogan, setze mich für Euch ein, auf mich könnt Ihr Euch verlassen!" Natürlich werden viele "deutsche Türken" darauf hereinfallen, denn welcher deutsche Politiker hat sowas zu ihnen gesagt?
Es müsste genau anders herum sein. Der deutsche Rechtsstaat müsste sich hinter Mesut Özil stellen, und auch die Stammtische müssten sich hinter Mesut Özil stellen. Das ist wichtiger als das Foto. Mesut Özil ist einer von uns, und das steht an erster Stelle, und das ist nicht verhandelbar. Den Rest klärt man dann irgendwann, und Fehler machen wir alle mal.