Szenekenner
Registriert seit: 24.03.2008
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Eindrücke vom Schwimmen
Ich schildere mal so meine Eindrücke vom Schwimmen am Sonntag morgen. Sorry, sehr lang geworden, aber die Fakten stehen ja in der Ergebnisliste. :-)
Der Aufenthalt in der Wechselzone vor dem Rennen beginnt entspannt. Es gibt Zeit im Überfluss bis zum Start der letzten Gruppe, 1 1/2 Stunden, und somit Gelegenheit, mit den anderen Teilnehmern am Radständer zu plaudern, den wettkämpfenden Profis zuzuschauen und selbst ein wenig herumzutraben, um sich warm zu halten.
Eigentlich ginge ich bei diesen Wasser- und Lufttemperaturen niemals ins Wasser, zu kühl, aber die Sonne ist immerhin schon zu sehen. Ausserdem: auf der Innenseite meines Unterarmes steht, mit rotem, wasserfestem Filzstift gestern abend aufgemalt, auf der Höhe der sichtbaren Schlagader die Zahl: 740. Darunter folgt eine kleine Zahlenreihe, die ich jetzt nicht im einzelnen anschaue. Sie endet mit 2200 in der Ellenbeuge.
Mein Rad hingegen scheint nackt am Ständer zu hängen. Bei den anderen Rädern kleben Gel-, Riegelpackungen am Gestänge. Es gibt keinen Rahmenort, der nicht für ein Täschchen Platz hat. Man sieht Wasserflaschen auf und zwischen den Lenkern, hinter den Sätteln und an den Rahmen. Die Velos erwecken den Eindruck, die Menschen brechen in die Wildnis auf. Und fast überall findet sich ein Monitor am Steuerpult. Heute will ich mich um das Essen und Trinken
mal nicht selbst kümmern. Es reichen mir das Reifenpannen-Set und die Papiertaschentücher am und unter dem Sattel, einen "Not-Schein" im Schuh sowie die Salztabletten und den Asthmaspray in der Rückentasche des Radtrikots.
Das Anziehen der Gummipelle verläuft routiniert und schnell. Sie schützte mich oft in diesem Jahr beim Schwimmen im Berliner Schlachtensee oder im Atlantik an der Küste von Lanzarote vor dem kalten Wasser. Nach dem Passieren des Einlassgatters gehe ich, eingeschlossen in einer Herde von "Gummimenschen", vorsichtig die Treppenstufen in der Kanalböschung hinab - nur nicht ausrutschen jetzt - und prüfe mit dem Fuss die Temperatur des leicht bräunlichen, mit Sedimenten durchmischten dunklen (Regen)Kanalwassers, als ob ich mir noch die Wahl gäbe, ja oder nein zum Schwimmen zu sagen. Die Bedenken schnell auf die Seite wischend, vertraue ich mich dem Wasser an und lass die kühle Brühe kurz am Hals in die Gummihaut über den Körper fliessen. Brrrh.
Tja, wo gefällt es mir jetzt am besten? Mein Blick schweift mit einer Kopfdrehung über das Wasser des Kanals von rechts nach links. Rechts am Kanalrand befinden sich die blauen Badekappen eng zusammen im Wasser - es stehen mehrere Schwimmer wartend und in Reihe am Böschungsrand - und auch auf der linken Aussenbahn paddeln, am Ort verharrend, eine ganze Menge Badekappen, während in der Mitte eine leerere, braune Wasserfläche zu erkennen ist. Also schwimme ich in "das Loch" im hinteren Drittel der Badekappenreihen, um dort ein wenig wasserzutreten, bis der Knall ertönt und sich die ca. 10m vor mir über das Wasser gespannte Leine hebt. Als die erste Schwimmreihe beginnt, sich Wasser spritzend in Bewegung zu setzen, pflüge ich im Wasserballerstil die ersten 10-20 Meter mit dem Kopf über dem Wasser im Schwarm der Mützen vorwärts und warte erst ab, bis mir der Platz ausreichend
scheint, um dann mit ins Wasser gelegtem Kopf einen ruhigen Dreier-Atemrhythmus kraulend aufzunehmen. Jetzt die Armzüge mit einer möglichst langen Gleitphase nach vorne ausführen, dachte ich, so macht es Spass und hilft dir, die Kraft zu sparen, die du heute noch brauchst.
In einem Fischschwarm halten die Mitglieder wie von unsichtbaren Kräften gesteuert meistens die gleichen Abstände zueinander ein, ob er sich geradeaus, in einem Bogen oder engen Kurven bewegt. Weshalb ist das heute bloss nicht so? Plötzlich schwimmen links und rechts von mir zwei Gummianzüge, die mir gleichzeitig mit jedem Armzug seitlich immer näher rücken. Noch ein paar weitere Schwimmbewegungen von ihnen, und sie werden zusammenstossen und ich bin dann der Sandwich-Belag. Was tun? Reserven einsetzen oder einen Moment anhalten? Ich entscheide mich für ersteres und beschleunige die nächsten 50 Meter, um mich der Umklammerung zu entziehen. Sobald meine Seiten wieder frei sind und keine fremden Ellbogen und Hände an meinen Kopf stossen, nehme ich den alten Rhythmus auf, bewusst etwas tiefer atmend als vor dem Manöver, um mich schnell zu erholen. Hat mich das kleine Intervall vielleicht geweckt? Irgendwie fällt das Schwimmen leichter als davor.
Ob die Sonne noch scheint? Doch ja, auf der Wasseroberfläche schimmert weiss-glänzendes Licht. Seitlich in meinem engen Gesichtsfeld vermag ich die am Rand gehenden Zuschauer zu sehen. Ein Mann läuft eine lange Strecke immer in meinem Schwimmtempo und schaut auf den Kanal, was mich etwas verunsichert. Wen begleitet er? Ich kenne ihn nicht. Ach so, ganz eng an der Kanalböschung erscheinen noch Schwimmer in meinem Blickfeld.
Die rote Boje vor der hohen Brücke über den Kanal taucht zum ersten Mal in den Augenwinkeln auf und vergrössert sich ganz allmählich. Schön. Auf der linken "Aussenbahn" erkenne ich eine Schwimmgruppe, also bleibe ich in der mittleren Bahn auf dem etwas längeren Weg und ziehe erst kurz vor der Boje nach innen, um diese mit ein paar Wasserballkraulzügen zu umschwimmen und um gleich wieder die mittlere "Bahn" für den Rückweg zu wählen. Ich fange an, zu kontrollieren, ob die Abstände zwischen den Bojen in der Kanalmitte, der Kanalböschung und mir annähernd gleich bleiben, um die Zeit zu vertreiben und zu vermeiden, dass ich zu stark nach rechts "ziehe" und irgendwann in der Böschung anlande. Auf den Aussenbahnen tauchen mittlerweile die ersten andersfarbigen Bademützen der früheren Starter auf. Man spürt förmlich die Erschöpfung und Anstrengung einzelner und die Mühe, Meter für Meter vorwärtszukommen. Ich erinnere mich an einen meiner ersten Triathlons im Briesensee bei Lübben, als ich Hustenanfälle bekam, rosarot gefärbten Schleim ausspuckte und das Schwimmen auf dem Rücken paddelnd im sogenannten altdeutschen Stil beendete, mit rasselnden Geräuschen beim Atmen. Eine kleine Gruppe vor mir beendet meine Erinnerungen abrupt, ich muss mich vorübergehend wieder auf das Schwarmschwimmen konzentrieren.
Nun, allmählich werden die Konturen der hohen Kanalbrücke schärfer und man erkennt aus der Ferne die Zuschauerreihen hinter dem Brückengeländer. Prima. Auf dem Rad kann ich mich hoffentlich wieder aufwärmen. An Händen und Füssen ist mir in der Zwischenzeit nämlich etwas kühl geworden. Sie sehen bestimmt weiss aus. Plötzlich fällt mir auf, dass ich die Luft nicht mehr aus der Nase und dem Mund blase, sondern nur durch den Mund ausatme. Der Versuch, alle Luft durch die Nase zu pusten, scheitert. Sie hat sich in der Zwischenzeit mit Schleim gefüllt, der den Ausgang blockiert. Mist! Auch die Lunge fängt schon ganz leicht an wie ein Sägewerk zu klingen und ich müsste eigentlich husten und Schleim ausspucken. Mist! Pause machen? Auf den Rücken legen? Ignorieren und weiterschwimmen? Nein, Weiterschwimmen verschlimmert es, dann müsste ich das Restprogramm heute streichen. Also: Eine kurze Kraulpause scheint mir angesagt. Ich stoppe, schneuze die Nase links und rechts kräftig, huste ein paar Mal und spucke den Schleim, der sich gebildet aus. Okay, jetzt halt deutlich langsamer weiterschwimmen mit Kraul, umstellen auf 1-Armzug und zwischendurch Zeit nehmen zum "Abhusten", weil die Luft knapp wird, nehme ich mir vor. Der Gedanke, dass der Aufenthalt im Wasser nicht mehr lang sein wird und in der Bike-Tüte vorsorglich der Asthma- und Nasenspray deponiert sind, "tröstet" mich. Du brauchst den Tria noch nicht abzuschreiben, sage ich mir, und du kannst Dich bei dem warmen Wetter auf dem Rad wieder erholen.
Ich warte jetzt sehnlichst auf den oberen Wendepunkt und die verbleibende kurze Strecke bis zum Ausstieg erscheint mir viel länger wie das, was hinter mir liegt.Ich beginne, öfters meine Richtung zu kontrollieren und leicht zu korrigieren. Ich halte bewusst mehr nach links, weil ich mit der 1-Atmung dazu tendiere, etwas stärker nach rechts zu ziehen. Nun kraule ich fast automatisch, wissend, der Ausstieg kommt bald. Wenn bloss das leicht kratzende Geräusch aus der Lunge nicht wäre. Die letzte Wendenboje umschwimme ich in grösserem Bogen - vielleicht kommen schon die Staffelschwimmer, denke ich - und gelange bald darauf direkt zu den sehnlichst erwarteten entgegengestreckten Händen an der Böschung, die mir aus dem Wasser helfen. Ich habe jetzt genug Zeit, da an ein Rennen zu den Kleiderbeuteln im Moment noch nicht zu denken ist, und bedanke mich für die freundliche Ausstiegshilfe. Nach den ersten Schritten an Land möchte ich am liebsten gleich "Abhusten", aber da links und rechts Zuschauer stehen, scheue ich mich, hier auszuspucken und gehe mit gefüllten Backen an den Fotografen vorbei, innerlich lachend, ob der komischen Situation.
Bevor ich meinen Beutel greife, stelle ich mich an den Rand der Laufzone und huste endlich kräftig ab, um Nase und Bronchien "freier" zu bekommen. Die Zeiger auf meiner Uhr überraschen und freuen mich: knapp 9:10. "Schön, du hast Zeit beim Wechseln", sage ich mir, damit sich die Bronchien etwas erholen können. Radschuhe, Hose und Trikot sind schnell übergezogen. Anschliessend nehme ich, gemütlich eine Weile auf der Bank sitzend, 2-3 Stösse aus dem Aerosol-Spray und tropfe mir Meerwasser in die Nase. Nachdem sich das Atmen wieder leicht verbessert hat und der Hustenreiz abgeklungen ist, hole ich mir einen Becher Wasser und gehe gemächlichen Schrittes mit dem Becher in der Hand zu meinem Rad. Ein Blick auf die 2. rote Zahl, noch lesbar auf dem Unterarm, aber schon leicht verwaschen, zeigt: 9:25 und ein weiterer auf die Armbanduhr: 9:17. Das beruhigt und gibt mir Zuversicht.
-qbz
Geändert von qbz (16.07.2011 um 00:27 Uhr).
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