Lang hatte ich mich auf das Brevet
„Le 1000 du Sud“ in Südfrankreich, Start/Ziel in der kleinen Ortschaft Carcès in der Provence, d.h. ca. 80 km östlich von Marseille oder 100 km westlich von Nizza und 50 km von der Mittelmeerküste ins Landesinnere hinein, gefreut. Die einschlägigen Randonneursseiten sind voll mit Berichten deutscher Teilnehmer, die über die Veranstaltung seitenweise schwärmen und schimpfen:
- über die tolle Atmosphäre, fast so familiäre wie in Roth (ca. 45 Teilnehmer)
- über die atemberaubenden Landschaften, gespickt mit Gorges (Schluchten) und Cols (Pässen)
- über die Härte der Tour mit ihren dieses Mal 16.000 Höhenmetern auf 1000 km Strecke
- über das unverschämte Startgeld von 5 Euro
- über die üppige Versorgung durch den Veranstalter
- über die besondere Kameradschaft auf diesem Brevet
- über die kulinarischen Genüsse der Provence
- über den Duft der Lavendelfelder
- über ….
Was soll ich sagen, alles hat gestimmt. Und doch habe ich aufgeben. Warum? Auch dafür wieder eine Strichaufzählung der vier Hauptfehler:
- zu spät und nachts angereist -> die beiden Nächte vor der Fahrt nicht so gut geschlafen - MÜDE -> HAUPTPROBLEM
- den ganzen Juli kaum und von Anfang bis Mitte August wenig gefahren (und insgesamt seit Jahresanfang 6500 km -> etwas knapp).
- zu viel Ernährung (7 kg) dabei gehabt -> dieses Problem ist schwerer zu lösen, weil ich unheimlich viel essen muss -> Rad war für Anstiege ziemlich schwer (normal habe ich fast nichts dabei)
- 34/27 reicht mir bei einer so langen, bergigen Strecke nicht als Übersetzung -> 34/32 nächstes Mal oder 3-fach
Ein großes mentales Problem war für mich außerdem, dass ich keine Lust auf übertriebene Quälerei hatte. Hallo!?! Ich befinde mich im Urlaub bei meinem Hobby Rennradeln. Nix gegen etwas Schinderei, aber tagelange Selbstkasteiung – nee danke. Ich wollte vielmehr eine Genusstour fahren, die unglaublich schönen Berglandschaften aufsaugen, nach Bedarf Pausen machen und natürlich auch genügend schlafen. Im Juni war ich einen 1000er in Schottland gefahren (bin damit schon weiter vorne im Fred hausieren gegangen) und hatte dabei insgesamt 15h geschlafen, trotz anspruchsvoller Windverhältnisse und 12700 Hm. Ich dachte mir also, dass 3500 Hm extra nicht so schlimm sein können. Aber, Pustekuchen, es gibt definitiv so’ne und so’ne Höhenmeter. Die zahlreichen kurzen giftigen Anstiege und etlichen Wellen in Schottland sind Pipifax gegen die über 10 Pässe mit jeweils 500 bis über 1200 Höhenmetern am Stück, auch wenn diese meist nur 6-8% Steigung hatten und ich die Schwersten letztendlich nicht einmal fuhr.
Nach 530 km gaben zwei andere Deutsche und ich spontan auf, obwohl wir eigentlich noch einigermaßen im Zeitlimit waren und uns noch nicht einmal etwas weh tat. Der Spaß litt unter der Hetzerei, und die Aussicht auf zwei weitere Nächte mit nur je einer Stunde Schlaf sowie weiteren harten Pässen und nächtlichen Abfahrten unter Schlafentzug bewogen uns zur Aufgabe. Vielleicht hätte ich nicht in der Gruppe mitfahren sollen, denn dort entwickeln Gedankenspiele rasch eine gewaltige Dynamik. Aber andererseits: was soll’s? Ich bedaure die Entscheidung, bereuen tue ich sie nicht. Besonders bedauere ich, dass ich auf der 1100 km langen Anfahrt mit Nordexpress nichts Konkretes zur Rückfahrt ausmachte, z.B.: „wir fahren am Samstag Abend um 22 Uhr zurück nach Deutschland“. Wenn wir das fest ausgemacht hätten, wäre ich evtl. mit 5 h Verspätung über dem Zeitlimit von 75h, aber ohne sicherheitsrelevanten Schlafentzug ins Ziel gekommen (oder auch nicht

) Wenn, aber, hätte: es hilft nichts. Bei einer so schweren Strecke muss man finishen wollen, und wenn der Wille auch nur etwas wackelt, ist die Luft raus und man wird es nicht schaffen. Andererseits möchte ich das Brevet nicht durchziehen wie ein Kollege, der sich in der Nähe unserer Abbruchstelle gerade auf Powernapping de luxe vorbereitete: „Man kann das Gehirn mal zwei bis drei Tage überlisten, indem man zwei fünfminütige Nickerchen aneinanderreiht“, teilte er mir resolut mit. Also Wecker auf 5 Minuten stellen, einschlafen, nach 5 Minuten aufwachen und dann da capo! Ja geht’s denn noch? Dann lasse ich mich vielleicht doch lieber in einem Domina-Studio auspeitschen oder boxe eine Runde gegen einen der Klitschkos oder ziehe mir selbst einen Backenzahn mit der Kombizange. Für mich nicht nachvollziehbar, und nach einem Sturz 2011 in den Graben, aufgrund von Übermüdung gepaart mit Halluzinationen, ist dieses Thema für mich auch endgültig erledigt. Rückwärtseinparker, Unten-in-der-Sauna-Sitzer, Warmduscher – von mir aus.
Noch ein paar Worte zum Studium von Höhenprofilen, namentlich diesem hier:
Ich hatte mir die einzelnen Abschnitte der Tour vorher angesehen und „ziemlich konservativ“ geschätzt, dass ich etwa 55 h netto Fahrzeit benötigen würde. Dazu 3x3h Schlafen und 3x2h Essen, macht 70h. Ankunft also um 6 Uhr Samstag Morgen. Ganz schön arrogant, hätte ich im Leben nicht gepackt! Nach 400 km fährt man die Berge nicht mehr sonderlich rasant nach oben und alle vermeintlich konservativen Rechenspielchen werden Schall und Rauch.
Dennoch: I’ll be back. Richtig ausgeruht, mit ein paar Kilometern mehr in den Beinen und mit etwas optimierter Strategie kann ich es in 75 h schaffen und wenn nicht, dann brauche ich eben 85 h, so what?
Mein Dank gilt Sophie Matter und ihrem Team, die mit ihrer unglaublichen Liebe zum Detail dem perfekten Brevet verdammt nahe kam. Sie wollte ein Brevet kreieren, bei dem alle Teilnehmer ans Limit gehen, und das ist ihr wahrlich gelungen. Anders denkt hierzu vielleicht nur Manuel aus Frankreich, der nach 59h als Erster im Ziel stempelte. Manuel ist allerdings normalerweise 59 kg schwer (nach dem Brevet lt. eigener Aussage 55 kg) und kann - vermutlich aufrecht - unter einem typischen deutschen Esstisch hindurch laufen.
@Fitschi: wenn du glaubst, dass du nächstes Jahr nochmals kneifen kannst…vergiss es, wir holen dich zur Not in TÜ ab! Folgende Aussage von dir kann ich allerdings nur unterstreichen: Mann, ist Triathlon ein langweiliger Ringelpietz gegenüber richtigem Sport.
Die Chefin bei der Arbeit. Am ersten Pass hatte sie perfiderweise eine Geheimkontrolle eingerichtet. Sie hat die Tour einige Wochen vor dem Brevet innerhalb des Zeitlimits abgefahren, den Streckenplan gemacht und alles tipptopp vorbereitet.
Im französischen Randonneursforum gelte ich als „immense“. Wahrscheinlich als immense Flasche

Die Brustbehaarung wird zum nächsten Brevet auch wieder sauber hoch frisiert.
Die Paella der „Pasta“party war nicht jedermanns Sache. Ich vermute mal, triduma hätte lieber ein paar Powerbar-Riegel verdrückt.
Weitere Bilder, vor allem Landschaftsfotos, hoffentlich im Bericht von Nordexpress
Neueste Info: Termin 1000 du sud 2013 ist vom 4.9.-7.9.