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Zitat von DragAttack
Schön eine Fachfrau an Bodr zu haben
Gerade zum Thema Heroin würde ich gerne meinen Kenntnisstand zur Gefährlichkeit Veri- bzw. Falsifizieren lassen.
Unstrittig ist Heroin eine Droge mit hohem Suchtpotential.
Andererseits, soweit ich mitbekommen hab (ohne hierfür Quellen nennen zu können), sollen bei kontrolliertem Konsum die körperlichen Schäden überschaubar sein und die tatsächlich auftretenden Schäden überwiegend durch Streckmittel, mangelnde Hygiene bei der Injektion sowie versehentliche Überdosierung bei unbekanntem Reinheitsgrad verursacht sein.
Gruß Torsten
P.s.: Bevor jetzt das Gewitter über mich hereinbricht, ich würde Heroin legalisieren wollen - ich denke eher in Richtung Kontrollierter Abgabe an Abhängige. Entsprechende Versuche in der Schweiz sollen erfolgreich gewesen sein.
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Ich habe ja - wie heute Morgen schon geschrieben - eine bewegte Geschichte in Sachen Eintstellung zu Sucht und Drogen hinter mir. So habe ich in meiner Jugend und noch in meinem Studium der Sozialklemptnerei lange recht radikale Haltungen vertreten, die ihren Urspung in der akzeptierenden Drogenhilfe haben. Da ging es mir um sehr niedrigschwellige Hilfen, um die Akzeptanz von Suchtmittelkonsum als EIN mögliches Lebensmodell, da ging es um Entstigmatisierung, um Entkriminalisierung und teilweise auch um Legalisierung und wenn man solche Gedanken zu Ende denkt, kommen Modelle wie die von Henning Schmidt-Semisch ("Drogen als Genussmittel- Ein Modell zur Freigabe illegaler Drogen" 1992), Christian Bauer ("Heroin Freigabe - Möglichkeiten und Grenzen einer anderen Drogenpolitik" 1992), von Heiner Gatzmeier ("Heroin vom Staat - Für eine kontrollierte Freigabe harter Drogen" 1993) und anderen (Heino Stöver, Ingo Ilja Michels u.a.) dabei heraus.
Ich stand damals noch sehr unter dem Eindruck des Todes meines älteren Bruders, der mit 21 Jahren an einer Überdosis Heroin starb als ich knapp 16 Jahre alt war. Dieser frühe Tod machte mich vor allem wütend und ich schob allen, nur nicht ihm selbst, die Schuld in die Schuhe. Da liegen Gedanken an radikal andere Sichtweisen von Sucht und Drogen schnell auf der Hand.
Als ich dann aber begann, selbst mit Drogenabhängigen (und am Rande auch mit Alkoholabhängigen) zu arbeiten, hat sich bei mir schnell viel verändert.
Heute glaube ich, dass ich nie eine sichere, endgültige Haltung finden kann. Jeden Tag erlebe ich neue Menschen mit ganz eigenen Geschichten, Hintergründen und Facetten der Sucht und das führt dazu, dass ich immer wieder Dinge relativiere oder anders sehe als sie mir zuvor so sicher zu sein schienen.
Vor allem aber ändere auch ich mich ja. Früher war ich jung und wütend und radikal (nicht nur in Bezug auf Drogen). Heute bin ich viel kompromissbereiter, diplomatischer und habe viel mehr erlebt. Zuletzt bemerkte ich wieder eine deutliche Veränderung in meiner Wahrnehmung, seit ich selbst chronisch krank bin. Das ist eine neue Erfahrung und ich staune über die Parallelen, auch wenn meine Krankheit ganz anders ist, als die der Suchtkranken.
Nur eines hat sich in all den Jahren nicht verändert: Mein eigenes Konsumverhalten. Schon immer lebe ich komplett abstinent, habe nie einen einzigen Zug an einer Zigarette oder einem Joint gemacht, nie LSD, Ecstasy oder andere "Partydrogen" genommen und auch niemals Alkohol getrunken. Das ist MEIN Weg, aber eben auch nur EIN Weg. Für mich ist er gut und richtig, wenn er auch nicht immer leicht war und mindestens so jenseits der Norm ist wie der meines Bruders.
Bei all den Diskussionen hier und den unterschiedlichen Meinungen, könnten sich vermutlich die meisten hier auf einen ziemlich großen gemeinsamen Nenner verständigen:
* Viele Suchtmittel sind potentiell gefährlich, weil sie abängig machen können.
* Alkohol (und auch Nikotin) zählen auch zu den Suchtmitteln, die sehr gefährlich sein können.
* Suchtmittel können aber auch Spaß machen.
* Kontrollierter Suchtmittelkonsum ist für viele ein erstrebenswerter Zustand, gegen den wenig spricht.
* Es macht wenig Sinn, Äpfel nicht mit Birnen zu verlgeichen, beides ist Obst und doch sehr verschieden, bei allen Ähnlichkeiten, die auch existieren. Und es gibt Menschen, die mögen halt lieber Birnen als Äpfel. Und manche Menschen vertragen Äpfel, aber keine Birnen. Und manche Menschen sollten die Finger von beidem lassen, weil sie's nicht vertragen.
* Sucht ist eine Krankheit.
* Dass Sucht eine Krankheit ist, bedeutet aber nicht, dass das eine Generalentschuldigung für den Suchtkranken ist.
* Sucht ist eine systemische Erkrankung, unter der immer auch das Umfeld leidet, weshalb es eben nicht egal ist, was jemand tut und was er konsumiert.
* Sucht ist eine Erkrankung, die unsere Gesellschaft viel kostet: viel Geld, viel Elend, viel Schmerz und Leid.
Und, und, und...
Vermutlich verbindet uns viel mehr als uns trennt.
Noch kurz zum Heroin, weil's den einen oder anderen interessiert hat und zur Frage des Abhängigkeitspotentiales von verschiedenen Suchtmitteln.
Erst 2007 haben Forscher um David Nutt eine Studie veröffentlicht, in der (ich glaube erstmals) versucht wurde, eine Klassifizierung von Suchtmitteln nach Schadenspotential vorzunehmen. Drei Hauptfaktoren wurden definiert:
1. der (körperliche und gesundheitliche) physische Schaden für das Individuum, den die Droge verursachen kann;
2. das potenzielle Ausmaß der Abhängigkeit des Individuums von der Droge und
3. die möglichen Auswirkungen des Drogengebrauchs auf die Familie, die Gemeinde und die Gesellschaft, in welcher der Drogennutzer lebt, also der soziale Schaden.
Es gab noch Unterkategorien und es wurden von Experten Punkte vergeben. Daraus wurde dann ein Wert errechnet, der das Schadenspotential benennt. Alkohol und Tabak mischten unter den ersten 10 Rängen der schädlichsten Drogen mit und nachdem David Nutt, damals Drogenbeauftragter der bristischen Regierung, die Drogenpolitik aufgrund der in der Studie gewonnenen Erkenntnisse kritisierte, verlor er seinen Job.
2010 gab es eine Folgestudie mit verbesserter Methodik.
War in der ersten Studie Heroin als gefährlicheste Droge benannt worden, gefolgt von Kokain, Barbituraten, Methadon und dann erst Alkohol, landete Alkohol in der Folgestudie in der Poleposition, gefolgt von Heroin, Crack (das in Deutschland übrigens nach wie vor fast keine Rolle spielt), Methamphetamin und Kokain. Tabak hier an Platz 6, in der Originalstudie an Platz 9. Während Alkohol eher im Bereich der Fremdschädigung punktet und problematisch aufgrund seiner leichten Verfügbarkeit und dem verbreiteten und akzeptierten Konsum ist, sind die illegalen Drogen meist mit einem höherem Selbstschädigungspotential verbunden, was auch mit der - vor allem beim Heroin - rasanten Abhängigkeitsetnwicklung zu tung hat.
Ja, reines Heroin ist nicht so sehr schädlich für den Körper. Dumm nur, dass der übliche Konsument weit vom reinen Heroin entfernt ist, sondern oft Stoff konsumiert, der nur wenige Prozent Heroin enthält, statt dessen aber jede Menge Streckmittel, die mehr oder weniger schädlich für den Körper sind. Die größte Gefahr vom Heroin an sich geht - neben der Abhängigkeitsentwicklung - von dem sehr geringen Spielraum zwischen Verträglichkeit und toxischer Wirkung aus. Die meisten Todesfälle sind auf Überdosierungen und damit auf eine Lämung des Atemzentrums zurückzuführen.
Heute bin ich nicht mehr der Meinung, dass eine prinzipielle, kontrollierte Abgabe von Heroin an die Konsumenten sinnvoll ist. Ganz sicher aber gibt es viele Abhängige, für die es sehr sinnvoll ist. Leider kann ich es nicht aus erster Hand berichten, weil unsere Klinik damals gegen das UKE in Hamburg verloren hatte, als es um einen weiteren Standort für Originalstoffvergabe ging. Ich habe aber mal in Bonn hospitiert, wo das schon jahrelang lief und es war spannend und aufschlussreich und ich hatte einen positiven Eindruck.
Puh, genug geschrieben, kann ja kein Mensch mehr lesen.
Sorry, aber es ist halt ein spannendes Thema. Nicht ganz so spannend und kontrovers wie das Paleo-Thema natürlich, aber da dort so eine Grabesstille herrscht, ist es ja schön, dass es hier recht munter ist...
