Fußball ist ja seit Jahren ein Thema bei uns. Während mein Mann und ich uns jederzeit eine andere Sportart für den Junior hätten vorstellen können, haben wir doch alle gemeinsam viel Zeit auf dem Fußballplatz verbracht.
Von Anfang an hatte der Dicke ein besonderes Interesse an der Torwartposition gezeigt. Heute wissen wir, warum zahlreiche Jungs auf dieser Position nie spielen durften: Sie haben allesamt Fußballväter, die wissen, dass eine zu frühe Spezialisierung nicht gut ist. Dahinter steht die Angst, nicht mehr gut genug für´s Feld zu sein, wo es ja mehr Positionen zu besetzen gilt. Mit anderen Worten: Wenn du gut im Feld bist, hast du mehr Möglichkeiten.
Ein junger Co-Trainer hatte das Kind dann wieder aus dem Tor rausgenommen und der Junior hatte sich spielerisch weiterentwickelt, was sogar wir als Eltern gesehen haben. Das Interesse an der Torwartposition blieb. Irgendwann war er dann im Feld ganz gut. Er war nicht der Beste, aber er auch nicht der Schlechteste. In dieser Saison hat er fast nur noch im Feld gespielt, selten im Tor. Wenn man ihn fragt, findet er beides gut, und wir als Eltern halten uns raus.
Bei einem Hallenturnier Anfang des Jahres mit ca. 100 Spielern erhält er einen Pokal als "Bester Spieler des Turniers". "Ich sage auch nie wieder, dass der kein Fußball spielen kann", meine ich lachend zu meinem Mann. Wir fragen das Kind, was denn der Trainer gesagt habe. "Der hat gemeint", berichtet er sachlich, "dass ich jetzt nicht denken soll, dass ich der Beste bin und dass ich nicht abheben soll." Ich gucke irritiert und mein Mann ergänzt trocken: "Das hat der mir auch gleich als Erstes gesagt." Noch in der Halle bekomme ich mit, dass der Trainer das von der Turnierleitung über Lautsprecher angekündigte "Dein Bild kommt in die Zeitunng" direkt unterbunden hat. Der Facebook-Verantwortliche des Heimvereins wird mich ein paar Tage später zur Seite ziehen und mir sagen, dass er die "Wahl zum besten Spieler" des Tages nicht posten durfte. Ich wundere mich, wenn auch eher amüsiert als verärgert.
Die Fußballwelt ist klein, jeder redet mit jedem und das Ganze ist für uns eher unübersichtlich. Das Kind wird überraschend zu einem Probetraining als Torwart in ein Nachwuchsleistungszentrum eingeladen. Nach dem ersten Training entscheide ich, dass das nicht geht, weil es zu weit zu fahren ist. Der nette Trainer zeigt Verständnis, zumal ich ihm bereits im ersten Telefonat gesagt hatte, dass ich keine Ahnung habe, wie lange die Fahrt dauert. Und ja, ich darf dem Junior ruhig sagen, dass sie ihn genommen hätte. Das Kind nimmt es locker.
Als Nächstes wird das Kind als Feldspieler zu einem Probetraining in ein anderes Nachwuchsleistungszentrum eingeladen. Alles super nach dem zweiten Training, Scout und Trainer würden ihn haben wollen, aber ein Obermuckel muss draufgucken und der entscheidet. Am Ende spielt das Kind fünf Mal vor, beim letzten Mal im Tor. Ich wollte das bereits vorher beenden, aber der Junior will hin. Das letzte Training ist dann auch atmosphärisch interessant: Ich meine zu bemerken, dass das eine Alibiveranstaltung ist. Der Dicke berichtet später, dass ihn ein größerer Junge nach seinem Namen gefragt und ihm gesagt habe, er sei krass im Tor. Am nächsten Morgen kommt die Absage - kurz und knapp. Das Kind lacht und meint, das sei ja schon alles komisch. Auf Wunsch des Juniors fragen wir freundlich nach, ob der Obermuckel das Kind denn gesehen hat. Der Scout weiß das nicht. Wir sind um eine Erfahrung reicher und bekommen den Hauch einer Ahnung, wie das Fußballgeschäft läuft. Ich freue mich, dass das Kind das alles nicht so ernst nimmt. Irgendwie findet er ja auch beides cool: im Feld und im Tor zu spielen.
Zwischendurch habe ich Ärger mit den Trainern. Ich möchte die anfangs empfohlene und kurze Zeit als zwingend notwendig genannte Ausstattung nicht kaufen. Das Kind hat alles, was es braucht, ist mein Argument. Nein, ich glaube nicht, dass ein Bekleidungspaket im Wert von 280 Euro unser Kind zu einem besseren Fußballer macht. Die Streiterei wird absurd. Um guten Willen zu zeigen, bestelle ich einen Rucksack. Die Trainer stopfen die nicht bestellten Stücke dem Kind in den Rucksack und schenken sie ihm. Da die Jungs während der Turniere keine Pommes mehr essen dürfen, überlege ich, alle einfach mal einzuladen. Aber das sind natürlich Phantastereien.
Anfang März müssen sich alle entscheiden, ob sie bleiben oder gehen wollen. Zu dem Zeitpunkt laufen die Probetrainings in den NLZs auf Hochtouren, das weiß sogar ich. Wir sagen, dass das Kind bleibt, da wir etwas sagen "müssen". Es gibt noch ein paar Episoden zu anderen Themen, die ich mir jetzt spare. Es wird immer verbissener und an jeder Stelle wird Druck gemacht. Das geht aber nicht nur uns so, sondern auch anderen Eltern so. Am Ende bin ich das rote Tuch, so ist das leider.
Wochen später geht mittags das Telefon. Der Scout ruft noch mal an. Ihr Torwart hat wegen schlechter schulischer Leistungen aufgehört. Jetzt wollen sie den Dicken unbedingt und ganz schnell. Beim letzten Mal hätte der Trainer das Kind nicht haben wollen (ähm, war das nicht anders?), aber jetzt hätten sie einen anderen Trainer und der würde uns blind die Zusage geben, weil er dem Scout vertraut. Wer nun denkt, das ist abenteuerlich, sollte unbedingt weiterlesen:
"Ja, vielen Dank", sage ich, "das wird das Kind freuen, allerdings spielt es heute noch mal woanders vor." "Ohh," meint der Scout. Ich werde mich melden, verspreche ich. Der Dicke spielt wieder im Tor vor. Das ganze Probetraininggetingel schlägt an: Das Kind ist aufgeregt, hat sich aber gut im Griff. Er macht Koordinations- und Torwartübungen mit Körperspannung und ist konzentriert. Er versteht die Übungen schnell und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, wenn etwas nicht klappt. Es gibt auch ein Abschlussspiel mit Jungs, die ein Jahr älter sind. Er schlägt sich wacker. Die anderen beziehen ihn in ihr Spiel mit ein und ich höre oft, dass jemand seinen Namen ruft. Coole Socke, aber nicht arrogant, denke ich. Später fragt er mich: "Mama, hat man meinen Willen gesehen? Es ist so schwer als Torwart den Willen zu zeigen." "Ich finde, du hast das toll gemacht," antworte ich und drücke ihm einen Kuss auf den zerzausten Schopf.
Am Wochenende darauf findet ein Turnier statt. Der Trainer, der ihn nicht kennt, aber angeblich unbedingt haben will, ist vor Ort. Das Kind spielt seit langer Zeit mal wieder zwei Spiele im Tor und macht das gut. Der Trainer bekräftigt seinen Wunsch, ich erbitte uns Bedenkzeit. Am Abend kommt dann die zweite Zusage und der Termindruck steigt, weil Wechsel bis zum 30.06. abgeschlossen sein müssen. Vom Vereinstrainer bekomme ich eine lange Mail, warum ein Nachwuchsleistungszentrum für unser Kind nicht geeignet ist. Beim Lesen denke ich an ganz vielen Stellen, dass das nicht unser Kind ist, was er da beschreibt.
Natürlich ist es ein Risiko, in einen Verein zu wechseln, in dem grundsätzlich schon auf Positionen gespielt. Allerdings hatte man uns versichert, dass das Kind natürlich auch mal im Feld spielen dürfe. Der Torspieler der derzeitigen Altersklasse habe in dieser Saison 13 Tore gemacht, erzählt man uns. Im deutschen Fußball wollen jetzt ja sämtliche Vereine kleine Manuel Neuers haben und natürlich müssen sie ihre Spieler dann auch entsprechend ausbilden, überlegen wir.
Am Ende trifft der Dicke die Entscheidung und die kommt erstaunlich klar und eindeutig: Er geht zur Frankfurter Eintracht. Sehen wir das als ein großes Abenteuer für eine Saison und hoffen wir, dass er viel Spaß und Freude haben wird. Er ist einer von zwei Torleuten und ich hoffe, dass die Kinder sich gut verstehen werden, aber bisher hatte der Dicke immer viel Glück!
Wenn das komplett schief geht, wird das natürlich uns als Eltern vorgeworfen werden, das ist mir schon klar. Leider ist es auch schwierig, sich mal unabhängigen Rat einzuholen, da alle Parteien Eigeninteressen haben. Vielleicht hat das Kind nach einem Jahr auch einfach keine Lust mehr und will nur noch Schlagzeug spielen? Auch gut.
... und wenn am Ende sein kleines Herz am Triathlon hängen bliebe, hätten wir auch wirklich gar nichts dagegen