Zitat:
Zitat von Klugschnacker
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Jedenfalls war die Ukraine bisher keine Demokratie, in der die Machtelite vor dem Bürger als Souverän zittern müsste. Die Opposition wird unterdrückt, Politik, Verwaltung und Justiz sind korrupt, die Medien zu großen Teilen in der Hand von Oligarchen.
Solche hybriden Demokratien sind eben nur teilweise zur Kontrolle der Macht fähig. Teilweise sind sie einfach das Werkzeug der Machtelite.
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Ich würde hier klar widersprechen und halte den Wikipedia-Eintrag auf den du dich beziehst für nicht mehr zeitgemäß angesichts der 2019er-Wahl in der
Ukraine.
Funktionierende Demokratien zeichnen sich insbesondere durch faire Wahlen, bei denen auch die Opposition Chancen hat zu Wort zu kommen und eigene Kandidaten aufzustellen und auch durch reibungslose gewaltfreie Machtwechsel.
Wir erinnern uns, wie sehr wir vor zwei Jahren noch um die USA gebangt haben, ob und ab wann Trump seine Wahlniederlage anerkennt und ob er termingerecht das Weiße Haus räumen wird. Und die USA gilt nicht als "hybride Demokratie". Trotzdem gab es damals begründete Zweifel, dass der Machtwechsel reibungslos funktionieren wird.
Beide demokratischen Kernmerkmale haben bei den letzten Wahlen in der
Ukraine (durchaus zur Überraschung vieler Kenner) funktioniert.
Die 2019er-Wahl war nach Einschätzung der OSZE-Beobachter fair und ordnungsgerecht (ganz im Gegensatz zur letzten "Wahl" in Weißrussland) und endete mit einem überraschenden Sieg des Herausforderers, obwohl die Mehrzahl der ukrainischen Oligarchen auf den Amtsinhaber Poroschenko gesetzt und diesen unterstützt hatten.
Der Amtsinhaber Poroschenko, der in seiner Amtszeit durchaus autokratische Tendenzen mit Wesenszügen von Erdogan offenbarte und damit maßgeblich zu der schlechten Wikipediabewertung der demokratischen Situation in der
Ukraine beigetragen hat,
räumte nach der Wahlniederlage seinen Amtssitz und es gelang ein relativ normaler kompletter Machtwechsel.
Ich glaube durchaus, dass Putin Angst hat vor der Entwicklung einer neuen funktionierenden Demokratie in unmittelbarer Nachbarschaft. Nicht nur wegen der Demokratie an sich, sondern weil eine stabile Demokratie und ein stabiler Rechtsstaat die Grundvoraussetzung für einen EU-Beitritt der
Ukraine sind und ein solcher weitaus wahrscheinlicher war und ist, als ein NATO-Beitritt. Die Ausdehnung der wirtschaftlich starken EU bis an die russische Grenze, möglicherweise dann auch mit dem Euro als Währung hätte auf die russische Bevölkerung auch eine starke Anziehungskraft ausgeübt.
Immerhin hat Putin auch Weißrussland (bzw. seinem Diktator-Kollegen Lukaschenko) kurz nach dem Machtwechsel in der
Ukraine sehr ostentativ und mit großer Geste geholfen.