So, ich bin nun auch wieder daheim und kann mich nur wie eine uralte Frau bewegen!
Glückwunsch erstmal an alle, die es geschafft haben!!!
Ich gehöre leider nicht dazu und mein Aldi-Shirt, Helm und Windweste durfte ich am Samstagabend entsorgen. Wie es dazu kam?
Nun ja, ich wusste eigentlich von vornherein, dass der Alpentraum eine halbe Nummer zu groß für mich ist, aber wenn man immer nur die "passenden" Sachen macht, stagniert die Leistung und das Leben bleibt langweilig.
So stehe ich also am Samstag im Morgengrauen im Startfeld. Noch nie bin ich in so einem Feld radgefahren und habe erstmal Bedenken, dass es um Startgetümmel zu Rempeleien und Stürzen kommt. Tut es aber nicht. Pünktlich zum Startschuss öffnet der Himmel seine Schleusen ganz leicht und es beginnt zu tröpfeln. Nach dem Start wird erstaunlich gesittet gefahren, das finde ich sehr angenehm und locker rolle ich im Windschatten. Das kenne ich so gar nicht, mental hatte ich mich ja auf 252 km Einzelzeitfahren eingestellt.
Das Oberjoch ist schnell erreicht und es geht unerwartet gut dahin. Bei der Abfahrt vom Oberjoch fahren alle extrem langsam. Ja sind wir denn hier auf einer Kaffeefahrt?? Dieser übermütige Gedanke wird sich bald rächen...
Das Regengeplätschere hört nicht auf und gemeinsam mit anderen Mitfahrern freue ich mich, endlich beim Anstieg zum Hahntennjoch warm zu werden! An der ersten Verpflegungsstelle ziehe ich mir meine Überschuhe an, die ich zum Glück am Abend vorher doch noch eingepackt hatte. Dummerweise komme ich damit mit einem Fuß nicht so einfach in die Klickpedale. Also nochmal angehalten, irgendwann macht es endlich "klick".
Oben am Hahntennjoch ist die Landschaft winterlich und unwirtlich, auf der Straße liegt jedoch kein Schnee. Sie ist nur naß. Und an einer Stelle besonders schmierig! Öl? Schlammschicht?
Der Abfahrtsspaß endet abrupt, vor einer Rechtskurve auf einem geraden (!) Stück bremse ich ab. Nur ist der Untergrund besonders rutschig und ich fahre dummerweise weit rechts auf der Straße. Und rutsche immer weiter nach rechts. Es kommt, was kommen musste: ich fliege! Mein Kopf kommt mit einem dumpfen Knall (danke, Helm!!!!!) auf dem Untergrund auf und ich lande auf dem Rücken. Es schmerzt höllisch und ich brülle so laut, dass man es bestimmt noch bis zum Joch hinaufhören kann. Besorgte Mitradler halten an. Ich denke nur: kann ich meine Beine noch bewegen? Ja! Und: das kann es doch nicht schon gewesen sein, nach gerade mal einem Viertel der Strecke?? Die Schmerzen lassen zum Glück irgendwann nach. Eine besorgte Zuschauerin steht neben mir und ruft gerade die Nummer der Medical Crew an. Sie will einen Krankenwagen rufen. Halt, nein! Es geht schon wieder, ich stehe auf. Zwei freundliche Mitradler testen, ob meine Laufräder noch rund laufen (sie tun es) und biegen meinen Bremshebel ein wenig zurecht (er bleibt schief, aber das ist egal). Man sagt: Du bist am Rücken ganz offen. Ich gucke meinen Rucksack an, den ich zum Glück dabeihatte. Nein, da ist kein Blut dran. Man sagt: Du zitterst. Ich hebe meine Hand und gucke drauf. Nicht wirklich, und die Beine sind stabil. Ich bedanke mich vielmals bei allen für ihre Sorge und mache mich vorsichtig an die Abfahrt.
Mal sehen, wie weit ich komme. Radfahren geht. An der Verpflegungsstelle in Imst fahre ich vorbei und komme gar nicht in den Genuss der zünftigen Musi. Bloß weiterfahren, durch den Sturz habe ich schon Zeit verloren und der Biß fehlt mir nun. Wenn mich eine Gruppe überholt, hänge ich mich nicht dran. Ich fahre einfach vor mich hin. In Landeck schaue ich mal in ein Schaufenster beim Vorbeifahren. Tatsächlich, ein riesiges Loch klafft in meinem Shirt und meiner Windweste. Ich will gar nicht wissen, wie es darunter aussieht, bestimmt fette Hämatome. Ob ein Wirbel gebrochen ist? Wenn ja, könnte ich dann noch so einfach weiterfahren?
Zu Beginn des Pillerhöhen-Anstiegs ziehe ich mir meine Überschuhe wieder aus und trinke die Dose Red Bull, die den Sturz seltsamerweise unbeschadet überstanden hat. An mir vorbei fahren eine Menge Leute, die mich grüßen und nach meinem Befinden fragen. Waren an der Unfallstelle wirklich so viele?? Die Pillerhöhe ist gefühlt recht schnell erreicht und nach einem kurzen Verpflegungsstop kommt die Abfahrt, die ich nun natürlich viel defensiver fahre. Die Ortsdurchfahrten im Tal sind gut markiert und gesichert. Es geht mal in die Schweiz und wieder nach Österreich, ich weiß nicht, wieviele Grenzüberschreitungen auf der ganzen Tour kommen.
Der Anstieg zum Reschenpaß ist angenehm flach und oben in Nauders heißt es dann: Essen einpacken, denn bis zur nächsten Verpflegungsstelle ist es noch ein Stück hin. Dafür scheint nun die Sonne und der Reschensee ist bald in Sicht. Das Zeitlimit von 16:45 in Laatsch werde ich wohl schaffen, denn nun geht es flott dahin, relativ eben und bis nach Laatsch herunter auf einer schönen Abfahrt mit weiten Kurven.
Dann geht es wieder in die Schweiz. Bis zum Stilfser Joch sind es ca. 1800 Höhenmeter, das ist quasi 3,5 mal soviel wie auf den Reschenpaß. Und das ging doch recht locker!? Die Strecke durch das Tal von Müstair geht merklich bergauf und bald geht es nach links weg auf eine schmale Straße, die ziemlich steil ist! Dann kommt die Straße zum Umbrailpass, die immer noch sehr steil ist. Ich fahre ständig bergauf und der Höhenmesser am Tacho zeigt nur einen sehr langsamen Höhenzuwachs. Ob der Luftdruck schwankt? Naja, ich sitze nun schon über 200 km im Sattel, mit echt vielen Höhenmetern. An mir vorbei ziehen immer wieder andere, die nach meinem Befinden fragen und großen Respekt äußern. Naja, was mich nicht umbringt... Ich wußte, dass es hart werden wird, ob mit oder ohne lädiertem Rücken.
Anhand der Baumgrenze sehe ich, dass ich noch nicht wirklich weit oben bin. Dass ich das Zeitlimit um 19:00 Uhr am Stilfser Joch schaffen werde, wird immer unwahrscheinlicher. Irgendwann taucht neben mir ein schwarzer VW-Bus auf und der Fahrer fragt mich, wie es mir geht. Gut, sage ich, paßt scho, ich fahre, soweit ich kann! Dann kommt ein Stück nicht asphaltierter Straßenabschnitt, der ist ganz schön lang. Ich fahre nun gemeinsam mit dem Rasta-Man, der ein Rad in Rastafarben fährt mit grünen Reifen. Und Rastalocken bis zum Po. Ich traue mich nicht zu fragen, wie lange sie gewachsen sind, denn eigentlich habe ich eine andere Sorge. Der Besenwagen fährt immer wieder an mir vorbei und der Fahrer fragt. Der Rasta-Man verabschiedet sich und steigt ein. Ich bin nun wohl die letzte. Es zieht sich noch ganz schön hin bis zum Umbrailpass. Bis dorthin sind es bestimmt mehr als 218 km vom Start. Da es nun schon viertel vor sieben ist und der Besenwagenfahrerblick sagt: 'steig endlich ein' gebe ich mich geschlagen

Es hätte nicht sein sollen. Ich setze mich in das wohlig warme Auto, noch gibt es hier viel Platz. Das war nun einer der Vorteile, ganz hinten unterwegs zu sein. Denn diejenigen, die weiter vorne aufgegeben haben, mussten leider länger warten. Ja, das Thema Zeitlimit. Man kann die Ø Geschwindigkeit beim Alpentraum nicht mit dem Ötztaler Radmarathon vergleichen. Die Anstiege sind steiler und bei den Abfahrten kann man es nicht sooo gut laufen lassen. In Summe fährt man mehr bergauf. Dass das Zeitlimit nun aber nicht so eng gesehen wurde, wird mir klar, als ich bei Dunkelheit etliche Radfahrer in der engen Abfahrt vom Stilfser Joch sehe! Nein, nach der Strapaze ist mir das definitiv zu gefährlich. Die Straße hinauf nach Sulden ist auch nicht ohne und hier überholen wir mit dem Bus einige, die schieben. Der Zieleinlauf scheint jedenfalls noch sehr lange offen zu sein!
Na gut, Transponder abgeben, kein Finishershirt holen und dann noch kurz zur Pastaparty rollen. Zum Glück finde ich den Fußweg dorthin, sonst müsste ich 3 km zurücklegen. Da die Fahrradabgabe für den morgigen Transport noch heute stattfinden soll, muss ich dann mit Radschuhen zum Hotel zurück. Davor wärme ich mich aber erst noch bein einem Teller warmen Essens auf, die Siegerehrung läuft gerade. Gleich danach mache ich mich auf den Weg zum Hotel. In Radschuhen.
Was für ein Tag! Erst jetzt sehe ich die Blessuren, es sieht eigentlich gar nicht so schlimm aus. Es tut nur fürchterlich weg, bei jeder Bewegung, beim Hinsetzen und Aufstehen, beim Husten....
Ich werde gleich am Montag mal zum Arzt gehen. Hoffentlich ist es nix schlimmes. Aber wenn ich nach dem Unfall noch dreienhalbtausend Höhenmeter und fast 150 km radfahren konnte, dann kann es doch nicht schlimm sein!?!?