Aloha!
Gestern waren wir mit dem Geländewagen unserer Nachbarn auf dem höchsten Berg von Big Island, dem Mauna Kea. Die letzten Kilometer geht es eine anspruchsvolle Schotterstraße hinauf. Jedes einzelne Fahrzeug, das dort hinauf möchte, wird von einem Ranger auf Geländetauglichkeit überprüft. Wenn man wieder hinunter kommt, prüft an gleicher Stelle ein Ranger die Temperatur der Bremsen und entscheidet dann, ob man weiter hinab fahren darf oder eine Zwangspause einlegen muss. Der Sonnenuntergang dort oben war toll. Wir hatten ein Teleskop dabei, durch das wir später den Saturn samt seiner Ringe sehen konnten. Das war echt cool für mich.
Wir waren heute morgen Schwimmen im Meer – jeden Tag kommen mehr Athleten. Das ist eine tolle Atmosphäre! Es macht wirklich Spaß. Die Strömungen im Wasser können beträchtlich sein: Man krault vorwärts, bewegt sich aber exakt seitlich über den Meeresgrund. Plötzlich ist der Spuk vorbei und es geht wieder vorwärts. Es gibt Wellen, aber damit komme ich gut klar. Allerdings habe ich den Eindruck, dass alle schneller schwimmen als ich. Mir egal!
Ich pausiere heute auf dem Rad, nachdem ich gestern auf meiner eigentlich harmlosen vierstündigen Runde echt gelitten habe. Ich verbrachte heute den halben Tag in unserem Haus, das inmitten großer Bäume und Büsche steht, und lauschte dem Geschrei der Vögel. In einer Stunde mache ich mich bereit für einen Lauf von 10-12 Kilometer. Ich werde mich dafür zum alten Flughafen begeben, eine schattenlose Einöde neben einem kleinen Industriegebiet. Dort ist es wirklich sehr heiß und genau deshalb möchte ich dorthin. Ich will mich so gut es geht an die Hitze gewöhnen.
Manche laufen oben auf dem Highway. "Oben" bedeutet, vielleicht 50 oder 100 Höhenmeter oberhalb der Küstenlinie. Dort sieht man sie das Stück Richtung Energy Lab und zurück laufen.
Ich bin mental noch nicht so weit, es ihnen gleich zu tun. Denn es ist aus meiner Sicht die beschissenste Laufstrecke, die man sich denken kann. Man läuft auf der Bike-Lane am Rand des hier sechsspurigen Highways, also auf der Straße entlang der Leitplanke. Der Asphalt ist heiß, die Luft ist heiß, die Sonne ist heiß. Es ist laut und dreckig. Hier zu laufen kann man nur aus dem Mythos dieses Rennens heraus verstehen. Außerhalb der Triathlonbubble muss es für jeden Menschen unerklärlich sein, ausgerechnet hier seine Laufstrecke entlang zu legen! Wer jedoch bereits vor dem Rennen etwas von der ultimativen Härte dieses Wettbewerbs spüren möchte, ist hier richtig und wird das womöglich genießen.
Oder sind wir einfach eine hochselektierte Gruppe der bescheuertsten Menschen der Welt, und merken das selber nicht? Vieles spricht dafür. Vor allem meine eigene Anwesenheit hier. Andererseits: Ein Leben lang auf einer 50m-Bahn hin und her zu schwimmen wie die Schwimmer oder auf ein kariertes Holzbrett zu schauen wie die Schachspieler, ist auch nicht schlauer. Dann kann man mit Fug und Recht auf einer viel befahrenen Autobahn Hitzetraining machen und sich "normal" fühlen. Oder etwa nicht? Eben.
Während ich das schreibe, sind vom Vulkan her, an dessen Westhang wir alle kleben, Wolken und Nebel den Hang hinunter gekrochen. Vor unserer Haustür wäre jetzt Schatten. Zwei Kilometer weiter, an der Küste, steht immer noch die gnadenlose Sonne am Himmel. Das ist eine typische Besonderheit hier: Von einem Kilometer zum nächsten kann es zwischen "ganz erträglich" zu "echt brutal" wechseln. Das betrifft die Sonne, aber auch den Wind. In Kona selbst kann es praktisch windstill sein, während es 20 Kilometer entfernt derart bläst, dass man das Rad kaum auf der Straße zu halten vermag.
Wie Ihr seht, ist vieles hier eine Frage der mentalen Einstellung. Ich möchte einen positiven Blick auf die vielen Herausforderungen, die dieser besondere Ort an mich stellt, gewinnen. Andererseits möchte ich nicht blind in Triathlon-Klischees schwelgen und Verhältnisse totalgeil finden, die es nicht sind. Das Rennen hier hat den Ruf, wirklich hart zu sein und seinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern viel abzuverlangen. Dafür gibt es einen Grund, für den ich ebenfalls einen Blick haben möchte. Neben all dem Schönen, das es hier ebenfalls gibt.