Oft wird gesagt, Naturwissenschaft und Religion seien in gleicher Weise Glaubensfragen. Das ist weitesten Teilen nicht richtig, auch wenn man diesem Argument sehr oft begegnet. Denn naturwissenschaftliche Aussagen sind überprüfbar. Dafür gleich ein Beispiel aus dem Bereich der Entstehung des Universums, der Urknall-Theorie.
Zu dieser Theorie kam man durch die Beobachtung, dass alle Galaxien sich voneinander entfernen. Entscheidend war die Tatsache, dass die Galaxien sich um so schneller von uns entfernen, je weiter sie von uns entfernt sind.
Diese Beobachtung wurde tausendfach bestätigt. Sie führt zu der erstaunlichen Konsequenz, dass die Galaxien nicht wirklich durch den Weltraum fliegen wie Raumschiffe, sondern dass der Raum zwischen den Galaxien sich ausdehnt. Die scheinbare Fluchtbewegung der Galaxien entpuppte sich als die Vermehrung des Raums.
Also muss der Raum (das Universum) früher kleiner gewesen sein. So erfanden Mathematiker und Physiker die Theorie von einem Urknall, bei dem das Universum sich von Stecknadelgröße aufblähte bis zur heutigen Größe. Es wuchs nicht in einen bereits bestehenden Raum hinein, sondern der Raum selbst wurde dabei erzeugt.
Wie kann man diese kühne Idee beweisen? Muss man sie glauben wie eine religiöse Aussage?
Zunächst berechnete man die unvorstellbare Temperatur, die ein Universum haben muss, wenn es seine gesamte Energie auf die Größe einer Stecknadel konzentriert. Von diesem Startwert ausgehend verfolgte man rein rechnerisch die Ausdehnung des Universums und damit seine Abkühlung. Wohlgemerkt: Man verfolgte nicht das echte Universum, denn zum Zeitpunkt des Urknalls war niemand mit einem Thermometer anwesend. Sondern man beobachtete ein Universum, dass aus Formeln und Regeln bestand und auf Rechenpapier und Festlatten existierte, also einem mathematischen Modell.
In diesem Modell durcheilte das Universum ein Temperaturstadium, in dem sich Deuterium, eine Variante des Wasserstoffs, bilden konnte. Allerdings kann nicht sehr viel Deuterium gebildet worden sein, denn nur drei Minuten später müsste sich das Universum bereits zu weit abgekühlt haben, als dass dieser Stoff hätte weiter gebildet werden können. Das bedeutet: Alles Deuterium, das in diesem Universum existiert, stammt aus jener nur drei Minuten währenden Ära des jungen Universums. Das behaupten zumindest die Formeln der Urknall-Theorie.
Man kann leicht berechnen, wie viel von dem seltenen Material gebildet worden sein muss, da man den Mechanismus seiner Bildung gut versteht. Die Formeln liefern dafür sehr exakte Werte. Nun richtete man die Teleskope zum Himmel und fand exakt die vorausberechnete Menge Deuterium im Universum. Bingo! Das ist eine großartige Bestätigung dafür, dass die Urknall-Theorie die tatsächlichen Verhältnisse korrekt beschreibt.
Wegen des hier exemplarisch erläuterten Wechselspiels von theoretischer Überlegung und praktischer Beobachtung, sowie durch die Forderung der Widerspruchsfreiheit haben naturwissenschaftliche Erkenntnisse eine hohe Überzeugungskraft. Das geht so weit, dass wir heute Amerikaner für plemplem halten, die allen Ernstes an der Evolution der Arten zweifeln und den Grand Canyon auf wenige tausend Jahre datieren – kurz: die den Wahrheitsgehalt der Bibel über den der Wissenschaft stellen.
Die Amerikaner lachen freilich auch über uns: Denn mit welchem Kriterium wollen wir eigentlich bestimmen, welche Aussagen der Bibel wir ernst zu nehmen haben und welche nicht? Welche sind für Christen verbindlich und welche nicht?
Diese Frage hat es wirklich in sich. Denn das Kriterium, mit dem wir darüber urteilen, was an der Bibel (oder allgemeiner: an unseren Glaubensgrundsätzen) verbindlich ist und was nicht, muss logischerweise über der Bibel und über dem Glauben stehen.
Wir haben demnach einen inneren Kompass der Moral und der Vernunft, dem wir größeres Gewicht beimessen als unseren religiösen Glaubensgrundsätzen. Das bedeutet, dass unsere Moral nicht aus dem Glauben kommt, sondern ihm übergeordnet ist. Unsere Gesellschaft sagt der Kirche, was Moral ist und nicht umgekehrt. Ein Beweis dieser Tatsache ist zum Beispiel unser Grundgesetz als Manifest der Vernunft, das allen Glaubensfragen übergeordnet ist. Die Vernunft steht über dem Glauben.
Grüße,
Arne
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