Zitat:
Zitat von Nobodyknows
Aber das was ihn ausmachte, ihn hervorhob aus der Masse, basierte lange Zeit auf Betrug.
|
Die Masse seiner Gegner war ebenfalls gedopt. Wir kommen der Wahrheit wohl recht nahe, wenn wir annehmen, dass zu seiner Zeit kein einziger Tour-Teilnehmer sauber war. Deshalb, meine ich, kann man das Dopingproblem nicht nur an einzelnen Fahrern festmachen. Das wäre vergleichbar damit, einem einzelnen Milchbauern die Massentierhaltung vorzuwerfen. Es ist ein ganzes System, das hier aus dem Ruder lief und läuft.
Hauptnutznießer der Epo-Zeit und der anschließenden Blutdoping-Zeit waren die Firmen Banesto, Mapei, Festina, Trek, Nike und vor allem die Deutsche Telekom. Außerdem natürlich die Fernsehanstalten. Wurde bei der Telekom jemals eine verantwortliche Person öffentlich gekreuzigt? Delektiert sich eine selbstgerechte Öffentlichkeit am privaten Unglück eines Managers bei Trek? Nein, das interessiert niemanden.
Jan Ullrich hat Mist gebaut. Vor allem seine Alkoholfahrt mit Unfall. Vor allem dies, aber auch seine Dopingvergehen gehören konsequent bestraft. Dass er aber den Kopf hinhält für ein ganzes System, für das er bei weitem nicht alleine verantwortlich ist, halte ich für unfair und falsch.
Als Ullrich in den Radsport kam, war das Doping in allen Profiteams längst da. Profiradsport ohne Doping hat es zu keiner Zeit gegeben. Der Radsport entstand nicht aus der olympischen Bewegung mit seinem ethischen Fairplay-Gedanken. Der Radsport war in seinen Anfängen und Wurzeln stets Broterwerb für Grubenarbeiter und harte Jungs aus der Unterschicht, die sich ein paar Groschen dazuverdienten. Es wurde von Anfang an mit allem gedopt, was verfügbar war. Es ging stets um den Sieg und den Scheck für den Sieger, und nicht um olympische Gedanken á la "Dabei sein ist alles".
Diese ethische Haltung aus dem Amateursport wurde dem Profi-Radsport im Zuge der olympischen Bewegung nachträglich übergestülpt – was ich natürlich begrüße. Eine ausgeprägte Dopingkultur war zu diesem Zeitpunkt jedoch längst ein integraler Bestandteil des Profi-Radsports.
Mit dem Aufkommen von Epo stiegt das Niveau im Peloton dann dermaßen an, dass praktisch kein Radprofi ohne dieses Hormon eine Chance hatte. 1989 ging es damit los. Ein Epo-Nachweis kam erst im Jahr 2001. In der Mitte dieser Epoche kam Ullrich in den Profizirkus.
Es ist in meinen Augen falsch, wenn man Jan Ullrich zum Sündenbock für diese gesamte Entwicklung macht. Er war ein Rädchen im System, und natürlich auch ein finanzieller Nutznießer des Systems. Hätte es Jan Ullrich nicht gegeben, dann wären all die Rennen, an denen er teilnahm, nicht die Spur sauberer gewesen. Andere Sportler hätten die Pokale in Empfang genommen, doch das ganze System mit seinen großen Gewinnern in Nadelstreifen wäre dasselbe gewesen.
Ich kann es nicht beweisen, aber mir scheint, Jan Ullrich wäre ganz froh gewesen, wenn man ihn vor den ganzen gedopten Gegnern hätte schützen können, wenn alle sauber hätten fahren müssen. Sein Talent hätte, nach allem, was man vermuten darf, für den ein oder anderen Sieg und ein gutes Leben als Radsportler gereicht. Es ist nicht allein seine Schuld, dass es letztlich anders kam.