Glauben hat mehrere Bedeutungen. Hier zwei, die ich im aktuellen Kontext für relevant halte:
1. Eine Sache für wahr halten. Etwa, Jesus sei nach seinem Tode tatsächlich wieder lebendig geworden. Oder tatsächlich über Wasser gelaufen. Hier hat Glauben etwas mit Wissen zu tun: Was nach unserem Wissen nicht wahr sein kann, kann man auch nicht glauben. Beispiel: Die Erde ist eine Scheibe.
2. "So tun, als ob eine Sache wahr sei". Wir bauen unsere Gesellschaft unter dem Leitgedanken auf, dass alle Menschen gleich geschaffen werden und daher gleiche Rechte ("Menschenrechte") hätten. De facto sind die Menschen aber keineswegs alle gleich, sondern sehr verschieden. Wir leben in der Übereinkunft, so zu tun, als seien sie gleich. Ein Christ kann sein Leben unter dem Leitgedanken führen, es gäbe einen gerechten Gott, der dies und jenes von uns verlangt, anderes hingegen bestraft. Ob dieser Gott tatsächlich existiert, ist nicht die Hauptsache, ebensowenig wie die tatsächliche Gleichheit der Menschen für die Idee der Menschenrechte die Hauptsache wäre.
Allzu weit darf sich diese zweite Bedeutung des Glaubens aber nicht von den Tatsachen entfernen. Grundschüler dürfen nicht wählen gehen und keinen Führerschein machen, da hier die Ungleichheit gegenüber Erwachsenen offensichtlich ist. In diesem Fall können wir nicht so tun, als seien alle Menschen gleich. Umgekehrt erhielten die Frauen das Wahlrecht, weil sich die vermeintlichen Ungleichheiten, an die man tausende Jahre glaubte, als nicht stichhaltig erwiesen. Weil die Sonne älter ist als die Erde, kann man nicht mehr wörtlich an die Schöpfungsgeschichte der Bibel glauben (dort ist die Erde älter als die Sonne).
Glauben wird daher vom Wissen beeinflusst, andernfalls handelt es sich um Aberglauben. Indem die Kirchen, vor allem die katholische Kirche, sich vom Fortschritt unseres Wissens abkoppeln, verkommt ihre Botschaft immer mehr zum Aberglauben.
Mich hat seit meiner Jugend sehr interessiert, warum es eine Welt gibt, wie sie ins Sein kam, warum es Naturgesetze gibt und so weiter. Daher kam mein Interesse an Kosmologie, an der Evolution und an der Erkenntnistheorie. Die Kirchen tragen zu diesen Daseinsfragen so gut wie nichts bei. Müsste nicht ein Papst wie Ratzinger, dessen Intelligenz gerühmt wird, brennend an der Erforschung des Urknalls und den Details der Evolution interessiert sein? Stattdessen verfasst er intellektuell kühne Abhandlungen über die Transsubstantiationslehre, welche beschreibt, auf welche Weise der Leib Jesu in eine Weizenmehloblate gelangt. Ist das nicht schade?