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Szenekenner
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Venedig!
Tag 28
12. August 2012
Lido di Jesolo – Punta Sabbioni – Venedig
Lido di Jesolo schläft noch, als wir um 6 Uhr aufbrechen. Vielleicht hätte ich im Hotel erwähnen sollen, dass ich Vegetarierin bin, denn so sind die vier Brötchen im Frühstückspaket alle mit Wurst oder Schinken belegt. Egal, ich habe noch von den Keksen und der Schokolade von gestern, außerdem sollte ich auf der heutigen, letzten Etappe auch unterwegs was zu Essen kriegen, wenn nötig.
Jetzt nur weg hier, solange es noch ruhig ist! Gleich hinter’m Hotel links herunter zum Strand, wo die Sonne gerade aufgeht.
Perverserweise haben sie auf dem Weg dorthin alte Fotos von Lido di Jesolo aufgehängt, aus der Zeit als es erst noch ein Fischerdörfchen und dann ein idyllischer Urlaubsort war. Das mutet an wie Bilder des Paradieses, die der Teufel in der Hölle aufgehängt hat.
Einige Menschen spazieren schon am Strand, joggen, führen Hunde aus, andere arbeiten, machen sauber, ordnen Liegestühle, die in schier endlosen Reihen dicht an dicht unter Sonnenschirmen stehen.
Barfuß laufen wir an der Wasserkante entlang, da, wo wir nicht im Sand einsinken. Es geht entlang der immer gleichen Sonnenschirme und Liegen, dahinter Hotels, hier in Lido di Jesolo aber immerhin, das muss man ihnen lassen, in der Regel nicht allzu groß und hoch. Was die Bebauung angeht, sind anderswo größere Sünden begangen worden.
Unser Zwischenziel ist der Leuchtturm in ein paar Kilometern. Dass wir voran kommen, merken wir zunächst nur an niedriger werdenden Zahlen auf den durchnummerierten Holzstegen, die ins Meer reichen und denen der Rettungsschwimmertürme. Ich bin wortkarg, während wir am Meer entlang laufen, wäre lieber ohne Marcos Gesellschaft, würde diese letzten Kilometer der Wanderung alleine machen. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich mich nicht schon hier von ihm getrennt habe.
Ich passiere einen Holzsteg nach dem anderen und während dessen steigt die Sonne auf. Die ersten Strandgäste erscheinen an den Liegen und Schirmen. Kinder schleppen ihre Spielsachen zum Wasser und beginnen mit dem, was am Strand die Mission von Kindern ist, seit Anbeginn des Badeurlaubes vermutlich: dem Sandburgenbau. Und auch wie schon immer, sind da viele Väter, die nicht nur begeistert mitbauen, sondern ihren Sprösslingen die Sache gleich ganz aus der Hand nehmen, sie zu Statisten machen, während sie selbst mit großer Begeisterung ans Werk gehen. Manche Kinder lassen sich nicht davon beeindrucken und bauen weiter mit, andere wenden sich bald gelangweilt ab, um eine eigene Burg zu bauen.
Während ich gehe, schaue ich dem immer munterer werdenden Strandleben zu, Kinder springen im Wasser der kleinen Brandung, Teenies stolzieren in knappen Bikinis am Strand entlang, ein Mann schaut gierig seine Freundin an, die ihren hübschen Hintern im knappen Höschen präsentiert und er legt seine Hand darauf, was ihr gefällt und mir auch.
Am Leuchtturm angekommen ist es soweit: Wir wollen eine Frühstückspause machen, aber zuerst werde ich natürlich ins Meer gehen. Endlich! Nach vier Wochen wandern lege ich den Rucksack ab, ziehe die hässlichen Wandersachen aus und gehe ins Meer. Ich schwimme weit raus, das Meer ist sanft und freundlich. Ich lege mich auf den Rücken, das Salzwasser trägt mich und ich blinzele zufrieden in die Sonne. Wie schön das hier ist und wie lächerlich Lido di Jesolo von hier aus wirkt!
Nach dem Frühstück müssen wir am Leuchtturm den Strand verlassen und es ist ein ganzes Stück an Straßen zu gehen, bis wir wieder an den Strand kommen, der hier nun von den Gästen der zahlreichen Campingplätze besucht wird. Hier ist das Strandleben weniger in Reih und Glied, weil die Reihen mit Schirmen und Liegen fehlen, sondern sich die Leute ihre Sachen selbst mitbringen und hinstellen, wo und wie sie mögen.
Strandverkäufer, ausnahmslos afrikanischer Herkunft, verkaufen allerlei Zeug, was für eine schwere Arbeit, den ganzen Tag in der Hitze durch den tiefen Sand zu laufen. Frauen flechten kleinen Mädchen Zöpfe ins Haar. Ich kann mich nicht sattsehen am Strandtreiben und schlendere dahin, mache Fotos, schaue, bleibe stehen, kaufe eine Cola und lasse die verwunderten Blicke der Badegäste auf mir ruhen, die sich fragen, was das soll, mit einem großen Rucksack am Strand entlang zu laufen.
Bevor wir den Strand dann endgültig verlassen müssen, gehe ich noch einmal im Meer schwimmen, lasse mich in der Sonne trocknen und dann nehmen wir die letzten ca. 5 Kilometer bis zur Fähre in Angriff. Die sind nicht schön, aber sie sind ein Witz, noch 5 Kilometer von weit mehr als 500!
Dann kommen wir nach Punta Sabbioni, Schilder weisen den Weg zu den Schiffen nach Venedig.
Am Anleger erfüllt mich tiefe Zufriedenheit. Ich esse ein Wassereis und während ich auf das Schiff warte denke ich, dass ich alles richtig gemacht habe.
Das Schiff kommt, die Fahrt dauert etwas mehr als eine halbe Stunde. Es ist so schön, sich Venedig vom Wasser her zu nähern, eine große Freude überkommt mich.
Marco ist bei mir, aber ich bin weit weg und will auch gleich körperlich weg von ihm, wenn wir ankommen, will die Ankunft alleine genießen.
Am Markusplatz ist es genauso wie ich es mir in all den Jahren, seit ich von dieser Wanderung träume und vor allem in den letzten Monaten, in denen es konkret wurde, vorgestellt habe: Ich stehe da, inmitten der ganzen anderen Touristen und denke: „Ich bin aber über die Berge hierher gelaufen!“ Es ist großartig und obwohl es eine eigentlich sinnlose Sache ist, von München nach Venedig zu laufen und dabei auf jegliche Benutzung von Bus, Bahn, Seilbahn oder sonstigen Beförderungsmitteln zu verzichten, stellt sich mir die Sinnfrage gar nicht, sondern es stellt sich nur eine große Befriedigung ein und eine gelassene Heiterkeit.
Marco hat kein Hotel gebucht und am Ende werde ich regelrecht unhöflich, weil sich abzeichnete, dass er sich wieder an mich dran hängen will, als er sagt, er könne ja erst mal mit zu meinem Hotel kommen. Ich will jetzt aber alleine sein und auch in den nächsten zwei Tagen hier in Venedig, sage ihm das, verabschiede mich unhöflich knapp und mache mich auf den Weg, um mein Hotel zu suchen.
Das liegt in der Nähe des Bahnhofes, also am anderen Ende der Stadt. Ich schlendere durch die Straßen und Gassen, es ist rappelvoll, in Venedig ist Hochsaison. Ich freue mich jetzt schon auf die beiden Tage hier, überquere den Canale Grande über den Rialto und finde mein Hotel. Ein Zimmer ganz für mich allein, eine schöne Dusche, ein Fernseher, ein bequemes Bett, super!
Nach dem Duschen esse ich Chips und Schokolade, trinke Cola dazu und schaue mir das olympische Basketballendspiel an. Es geht mir gut!
Am Abend werde ich noch mal losgehen und den ersten Streifzug durch Venedig machen. Übermorgen Abend geht mein Nachtzug zurück nach München.
Die Bilder:
- Früh um 6 Uhr ist es noch ruhig am Strand in Lido di Jesolo
- Endlich am Meer! Und zu Fuß hergekommen!
- Wenn man den Ort im Rücken vergisst, ist es sogar hier schön.
- Heute fast nur mit den Füßen im Wasser... ein 12 Kilometer langer Strandspaziergang.
- Der Blick in die Gehrichtung
Geändert von bellamartha (17.09.2012 um 08:13 Uhr).
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