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Alt 17.08.2025, 23:34   #408
Nepumuk
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Rennbericht Northcape 4000 - 2025 / Teil 3

Ich beschließe, dem gepeinigten Hintern etwas mehr Regenerationszeit zu gönnen und starte erst um 6 Uhr in den wieder regnerischen Tag 6. Was anfangs nur leichter Nieselregen ist, wächst sich im Laufe des Vormittags zu einem kräftigen Dauerregen aus. Mittlerweile bin ich schon deutlich im Norden, was man nicht nur an der Vegetation sieht, sondern auch an den langen Distanzen zwischen den Ortschaften. Da fährst du gerne mal 50km zwischen zwei Versorgungspunkte, wie auch an diesem Morgen. Ich ergebe mich in mein Schicksal und fahre in vollen Regenmontur weiter. Die wenigen Nordkap-Fahrer, die ich hier treffe, sind auch eher schweigsam und strampeln vor sich hier. Ich schleppe mich die 120km in den nächsten Ort, dessen Namen ich längst vergessen habe und stürme klatschnass in die Pizzeria am Ort. Wie immer sind die Menschen sehr freundlich und ich bekomme Pizza, Limo und Kaffee um meine Reserven aufzufüllen und ein bisschen abzutrocknen. Recht frustriert über das Wetter buche ich ein Zimmer in Federika, nur 90km entfernt und damit weit weg vom meinem Tagesziel von 300km. Was soll nur werden, wenn es weiter so regnet? Da komme ich doch nie ans Nordkap. Aber egal erstmal weiterfahren und völlig überraschend legte sich der Regen. Bei bestem Sonnenschein und Rückenwind fliege ich regelrecht zum Hotel in Federika; was ein Unterschied zum Vormittag. Das Jagd-und-Fischerei-Hotel in Federika wird von einem Österreicher geführt, der vor 47 Jahren nach Schweden ausgewandert ist. An diesem Abend war das Hotel fest in der Hand von Radfahrern. Ich war eigentlich doch viel zu früh dort, aber was sollte ich machen. Ich hab die Chance genutzt und ein zweites warmes Essen an diesem Tag bekommen, meine Sache gewaschen und nette Gespräche mit den anderen Radlern geführt.

Auch wenn es im Hotel extra für uns schon um 5 Uhr Frühstück gab, habe ich der Verlockung widerstanden und bin um 4 Uhr auf die nächste 85km lange Etappe nach Lycksele gegangen. Die beiden kürzen Tagen haben aber gerade meinem Hinter gutgetan, so dass es an diesem Tag wieder besser voran ging und die Sitzbeschwerden deutlich nachgelassen hatten. Das Wetter war ok und so war ich nach 316km und einem recht ereignislosen Tag auf dem Campingplatz in Älvsbyn, wo ich ein Zimmer in einer Holzhütte für mich hatte.

Nachdem ich erst recht spät in Älvsbyn war, bin ich auch erst um 5:30 Uhr wieder auf die Straße gerollt. Das große Ziel für diesen Tag war Finnland und der Checkpoint in Rovaniemi. Das erste Teil des Tages lief recht ordentlich, die schwedisch-finnische Grenze war am Nachmittag erreicht. Im Grenzort gab es dann wieder einmal Pizza, Limo und Kaffee und ich fühlte mich gut gestärkt für die verbleibenden 120 km bis Rovaniemi. Ich hatte ein Hotelzimmer ca. 20 km vor Rovaniemi direkt am Weg gebucht, da ich mir sämtliche Sucherei abends in der Stadt ersparen wollte. Eigentlich also keine große Aufgabe, aber diese folgenden 100km war dann so ziemlich die zähesten auf der ganzen Reise. Es ging so gar nichts mehr und mein Hintern tat unfassbar weh. Der Mitstreiter, mit dem ich anfangs noch zusammengefahren war, hat sich dann verabschiedet und ist mit unfassbarer Geschwindigkeit am Horizont verschwunden während ich mich mühsam einen, eigentlich lächerlich flachen, aber langen Anstieg hochgequält habe. Die Strecke zog sich immer länger und als die Sonne dann verschwunden war, wurde es auch noch richtig kalt. Nach 6,5 endlosen Stunden war ich dann völlig fertig in meinem, wirklich schönen und gemütlichen Hotel. Ich beschließe, mir 6 Stunden Schlaf und das Hotelfrühstück zu gönnen, ich brauche einfach ein wenig Erholung.

Tag 9 beginnt mit einem schönen Hotelfrühstück, gemeinsam mit 2 weiteren Mitstreitern. So komme ich erst um 8.30 Uhr auf die Straße, völlig entgegen meiner Strategie. Das Gute daran ist, dass ich dadurch zu den Öffnungszeiten am Checkpoint im Santa Claus-Village in Rovaniemi war. Wer unbedingt will, kann hier den Weihnachtsmann besuchen; ich wollte nicht, sondern nur meinen Stempel und weiterfahren. Das Wetter war gut, warm und sonnig; die Strecke war es leider nicht. Nordfinnland ist sehr langweilig. Das Land ist flach, mit viel Wald, so dass man eigentlich den ganzen Tag nur Bäume sieht. Also außer den Lastern, Wohnmobilen und Autos, die ständig an einem vorbei brausen. Hier im Norden gibt es nicht mehr so viele Straßen und unsere Route ging über die E75 Richtung Norden, Richtung Norwegen. Von Rovaniemi sind es noch 700km an Nordkap, die im mir einteilen muss. Ich entscheide mich für die weniger aggressive Variante und plane 3 Tage ein, es ist schließlich kein Rennen. Nach 238km mache ich einen Übernachtungsstopp in Vuotso bei einer recht strengen Vermieterin. Auf gar keinen Fall darf ich mein Rad mit aufs Zimmer nehmen und meine Bemerkung, dass ich das Frühstück nicht in Anspruch nehmen werde, wurde mit einem tadelnden Kopfschütteln quittiert. Gut sei’s drum, das Zimmer war prima und ich hab gut geschlafen.

Ich starte um 4.30 Uhr in den neuen Tag, endlich bin ich wieder in meinem Rhythmus. Es ist ein schöner Morgen, aber es ist saukalt. Ich ziehe mir alles an und hole sogar die dicken Winterhandschuhe raus, die ich nur für den Notfall eingepackt hatte. So geht es erstmal weiter nach Norden durch die finnische Einöde in Richtung Norwegen. Es ist Tag 10; ich wollte es doch in 10 Tagen schaffen, aber was heißt das jetzt genau. Ich überlege lange hin und her, ob ich die verbleibenden 490 km vielleicht doch durchfahren kann, um die 10 Tage zu unterbieten. Aber dann hätte in von den verbleibenden 28 Stunden 25 im Sattel sitzen müssen. Ich sehe ein, dass das nicht zu machen ist und arrangiere mich mit einem Finish an Tag 11. Die Strecke in Finnland bleibt langweilig, nur dass immer mehr doofe Steigungen dazu kommen, ohne dass jemals eine schöne Aussicht da ist. Ich bin froh, als ich am Nachmittag die norwegische Grenze erreiche. Ich esse in Karasjok einen Lachsburger (eine vegetarische Ernährung ist hier wirklich eine Herausforderung) und buche ein AirBNB in Lakselv. Die 80km bis dorthin sind zwar auch mit Kletterei verbunden, aber die Landschaft wird immer abwechslungsreicher je weiter ich fahre. Es tut gut, endlich eine Abwechselung zu haben. Nach 307 km erreiche in mein AirBNB-Zimmer bei einer sehr netten norwegischen Familie und schlafe prima, bis ich um 3.30 Uhr von alleine aufwache.

Die Sonne steht schon deutlich über dem Horizont und es ist Hell. Wie geil ist das denn? Genau dafür bin ich hergekommen. Schnell einen Kaffee, zusammenpacken und los geht’s. 193km trennen mich noch vom Ziel; nicht mehr viel, aber auch die müssen gefahren werden. Das Wetter ist super, blauer Himmel und angenehme Temperaturen begleiten mich als ich nach wenigen Kilometern das Meer erreiche. Das haut mich total um und ich muss bei dem Anblick ein paar Tränchen verdrücken. Mareen und Hiub, die ich in Berlin getroffen hab, überholen mich. Eigentlich hatten wir uns verabredet, aber ich hab keinen Bock auf Gequassel und lasse die beiden fahren; sie werden 2 Stunden vor mir am Nordkap sein – egal. Ich genieße den Morgen. Mit jedem Kilometer wird die Landschaft aufregender. Der Fjord öffnet sich immer weiter zum Meer hin, die Ausblicke werden immer aufregender. Das ist der mit Abstand beste Tag der Tour, ich hab nur zu wenig zu Essen. Die Supermärkte an der Strecke haben noch zu. Ich bekomme ein Frühstück an eine Raststation, nehme aber nichts mit und verlassen mich darauf, dass es solche Stationen später auch noch geben wird. Das war leider falsch. Ich teile mir meine verbleibende Verpflegung also ein und fahre diese tolle Straße immer am Meer lang weiter Richtung Nordkap. Ich bin nicht sehr schnell, komme aber kontinuierlich voran, hin und wieder überholen mich andere Fahrer. 60km vor dem Ziel steht die vermeintlich letzte Herausforderung an, der berühmt-berüchtigte Nordkap-Tunnel. Wir waren gewarnt, das Ding ist laut, kalt und klamm und es gibt keinen Fahrradweg. Fast 7 km lange und ein krasser Höhenunterschied von 212 Metern warten. Das heißt, man fährt erstmal steil bergab um dann genauso steil wieder hoch zu fahren, während von hinten Fahrzeug mit einer irren Lautstärke ankommen. Eine richtige Fahrrad-Hölle. Da hilft nur Nerven behalten und kräftig treten; irgendwann ist man dann wieder raus. Es geht weiter bis Hönningsvag, der letzten größeren Ansiedlung vor dem Nordkap. Hier würde ich sicher was zum Essen bekommen, aber es ist schon 14 Uhr und noch nach 30km zum Kap. Ich entscheide mich, mit den zwei kleinen Schokoriegeln, die ich noch habe auf die letzte Etappe zu geben. Was soll schon sein, 30 km sind anderthalb Stunden – eigentlich. Hier halt nicht.

Das letzte Stück hat es ordentlich in sich. Mehrere lange Anstiege sind zu überwinden, insgesamt hunderte Höhenmeter, mit denen ich nicht mehr gerechnet habe. Die Stimmung schwindet noch schneller als die wenige verbleibende Schokolade. Ich weiß, dass es am Nordkap ein Restaurant gibt, also quäle ich mich die letzten Kilometer die Steigungen hoch, immer wieder angefeuert von Mitstreitern, die bereits gefinished haben und nun auf dem Rückweg sind. Nach zweieinhalb Stunden Kampf bin ich endlich da. Als Northcape4000-Starter muss ich freundlicherweise kein Parkticket lösen, sehr wohl aber eine Zutrittskarte für das Besucherzentrum in dem das Orgateam auf mich wartet. Der Empfang ist freundlich aber doch etwas unterkühlt. Von italienischem Temperament ist bei den drei Organisatoren wenig zu spüren, aber vielleicht sind die auch nur müde. Ich bekomme meinen Stempel und verabschiede mich erstmal ins Restaurant. Auf den letzten Kilometern hatte ich mich doch tatsächlich in einem veritablen Hungerast gefahren und bin etwas wackelig auf den Beinen. Nach einer Stärkung ging es dann aber wieder ganz gut und ich hab mit dem Fotographen den obligatorischen Fotos an der Weltkugel gemacht.

Mit zunehmender Sättigung kann ich mich auch freuen. Glückwünsche von Leuten, die mir gefolgt sind, trudeln per WhatsApp ein und ich stehe bei bestem Sommerwetter am Nordkap. Dieses Glück haben nicht alle und ich bin vor allem erleichtert, dass ich es geschafft habe. 10 Tage, 8 Stunden und 45 Minuten sind seit meinem Start in Berlin vergangen – eine Zeit, mit der ich wirklich sehr zufrieden bin.
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