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Szenekenner
Registriert seit: 15.01.2009
Ort: Rhein-Neckar-Dreieck
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Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Wie erklärst Du Dir, dass die Ausrufe "schwul!" und "Schwuchtel!" zu den am häufigsten gebrauchte Schimpfwörtern auf Schulhöfen gehören? Offenbar ist die soziale Randständigkeit homosexueller Menschen den Kindern schon sehr früh geläufig, lange bevor sie eigene sexuelle Erfahrungen machen.
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Es gibt verschiedene Gründe, warum gewisse Worte zu Schimpfworten werden; oft sind es Bezeichnungen für soziale Gruppen, die eben als andersartig wahrgenommen werden. Übrigens, ähnlich häufig sind "Jude" oder "Kartoffel" als Schimpfwort, früher war "Penner" oder "Schlampe" auch gängig. Keine dieser Gruppen verdient es, als Schimpfwort benutzt zu werden. Les mal den differenzierten Artikel zum Thema in der Süddeutschen; Schimpfwörter wird es immer geben, es kommt darauf an, wie Erwachsene damit umgehen - verstärken, oder ins Leere laufen lassen.
Zitat:
Wir haben festgestellt, dass die Sechstklässler sehr wohl wissen, was die Begriffe in Wirklichkeit bedeuten. Wer so etwas auf dem Schulhof ruft, nimmt aber in der Regel nicht wahr, dass er damit Diskriminierung ausübt. Wir haben auch mit offenen Fragen die gängigen Schimpfwörter erforscht, oft beziehen sie sich im entferntesten Sinne auf soziale Gruppen - Hurensohn, Schlampe, Spast, Schwuchtel, Opfer, Penner, Jude. "Schwuchtel" geht flott über die Lippen, ganz gedankenlos. Dahinter steckt erst mal keine homophobe Absicht. Allerdings hat es dennoch eine homophobe Wirkung. Das ist fatal für Schüler, die vielleicht gerade ihre sexuelle Identität entdecken. Sie stellen fest, dass sich die möglicherweise eigene Gruppe in der Breite nur als Objekt der Beschimpfung eignet.
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Kinder sind sehr stark an Geschlechtsstereotypen orientiert, beispielsweise in dem Schema: Jungen sind stark, Mädchen sind schwach. Schwul wird in erster Linie mit weiblich assoziiert - also mit einem Verhalten, das nicht männlich genug ist, um in der eigenen Bezugsgruppe zu bestehen. Ein Kind hat vielleicht nichts gegen Schwule, es will aber geschlechtskonform sein, nicht von seiner Gruppe abweichen - und wertet deswegen den Gegensatz ab, zeigt seine Rolle bei jeder Gelegenheit. Das wird mit zunehmendem Alter weniger wichtig, generell wächst dann ja auch die persönliche Reife. Homophobe Ausdrücke haben wir bei Schülern der zehnten Klasse deutlich seltener festgestellt.
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Zitat:
Zitat von Klugschnacker
Wenn Kinder sich gegenseitig als "Krüppel!", "Mongo!" oder "Spasti!" beschimpfen, was ebenfalls vorkommt, ist das für mich ein Zeichen, dass man mit Kindern vermehrt über Behinderungen reden sollte. Dasselbe denke ich im Fall sexueller Minderheiten.
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Diese Schimpfworte sehe ich ähnlich wie der Artikel oben, bis zu einem gewissen Alter wird vieles gesagt; wenn es mit zunehmendem Alter und Einsicht abnimmt, ist schon mal gut. Wirklich problematisch ist es, wenn die Begriffe nicht als bezugloses Schimpfwort einem anderen Gesunden gegenüber benutzt werden, sondern wenn Behinderte beschimpft werden, die sich nicht wehren können. Und wirklich abwertende Denkweise wird leider auch nicht weniger, nur weil wir gewisse Worte ächten (wie die zunehmende Vermeidung sogar des Wortes "behindert" in einigen Bereichen). In meiner Kindheit wurden wirklich schwer körperversehrte Menschen schlicht als Krüppel bezeichnet, ohne daß es als Beleidigung angesehen wurde - obwohl es auch schon als Schimpfwort anderen gesunden gegenüber verwendet wurde. War irgendwie entspannter, und nicht mehr diskriminierend, als heute, wenn sich Behörden weigern, integrative Schulklassen einzurichten. Wirkliche Diskriminierung wird nicht in der Nutzung von bestimmten Worten, sondern vor allem im gesellschaftlichen Umgang sichtbar und relevant.
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“If everything's under control, you're going too slow.” (Mario Andretti)
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