|
Szenekenner
Registriert seit: 08.05.2008
Beiträge: 1.805
|
Sister Ahab
Beim Auschecken an der Rezeption bedanke ich mich bei der jungen Dame.: schön sei es bei ihnen im Hotel gewesen und mein erster, wenn auch kurzer, Winterurlaub habe mir richtig Spaß gemacht. Sie fragt, ob meinem Sohn das Snowboardfahren gefallen habe. "Ja, total", antworte ich, "und mir auch. Das war echt super." Es dauert ein bisschen, bis sie versteht, was ich meine. Ihr Blick ist eine Mischung aus Überraschung, Skepsis und Amüsement: "Ach, Sie auuuuch???"
Die erste Klatsche hatte ich bereits vom 30-jährigen Skilehrer bekommen. "Ich finde es immer gut", hatte er gemeint, "wenn sich Ältere dem Neuen gegenüber nicht verschließen." Was, hatte ich mich im Stillen gefragt, ist die Alternative? Zuhause sitzen und Kuchen backen? Basteln? Kröten retten?
Im Übungsgelände für Kinder meint später ein Skilehrer in meinem Alter: "Mama, des lernst Du schon ah noah." Und nach getaner Arbeit sitzen wir in einer kleinen Hütte, die fürs Personal bestimmt ist, und bekommen aus dem Kühlschrank Cracker, Käse und Schokolade. Mir wird kommentarlos eine Flasche Obstler gereicht. Wir haben das gesamte Skigebiet für uns. Wie und breit kein Mensch.
Auch im Hotel sind wir die einzigen Gäste. Service ist uns sicher. Und beim Kuchen bekommen wie grundsätzlich die doppelte Menge von dem, was wir bestellt haben.
Die Rückreise gestaltet sich interessant. Wir sollen den berühmten Schienenersatzverkehr nehmen. Die beiden netten Herren am Bahnhof nehmen unsere Koffer und empfehlen uns, beim fünfzig Meter entfernten Metzger in der Hauptstraße einzukehren, um die Wartezeit von ca. einer Stunde zu überbrücken, die der Bus noch benötige, der als nächstes das hübsche Bayrischzell verlassen wird.
Wir also zum Metzger. Kind isst Leberkäse pur mit Ketchup, ich trinke einen Cappuccino. Und nachdem wir dem munteren Treiben an der Theke der sehr gut besuchten Metzgerei eine ganze Weile zugesehen haben, drehe ich mich zur Fensterfront des Ladens und sage zu meinem Sohn: "Eigentlich können wir ja von hier sehen, wenn der Bus zum Bahnhof hinfährt. Oder wir sehen, wenn er wieder wegfährt." Und während wir beide rausgucken, fährt der Bus vorbei. Weg ist er. Fort auf dem Weg nach Holzkirchen. Mein Sohn springt auf, reißt die Ladentür auf und spuckt einen ganzen Mund voll Apfelschorle in den Schnee. Ich hinterher.
Erstmal bekommen wir uns eine ganze Weile vor Lachen nicht ein. Dann stapfen wir zum Bahnhof, wo wir freundlich begrüßt werden. Bei den beiden Bahnbeamten sitzt mittlerweile ein älteres Ehepaar um die siebzig, das den Weg von München nach Bayrischzell auf sich genommen hat, um bei besagtem Metzger einzukaufen. Die beiden waren uns schon im Laden aufgefallen, weil der Blonde meinte: "Guck mal, Mama, die haben für 80 Euro eingekauft."
Wir fragen lachend, ob wir den Bus denn jetzt verpasst hätten. Nee, wieso, hier sei kein Bus gewesen. "Da ist aber eben einer vorbeigefahren, der nach Holzkirchen fährt", sage ich. "Welche Farbe hat der Bus gehabt? War der rot?", fragt einer der Beamten. "Neues aus Büttenwarder", denke ich. Die in Norddeutschland spielende Serie wurde nach Bayern verlegt. Genau so muss das sein oder hier kommt gleich die versteckte Kamera.
Ich gebe die Antwort an einem Resopaltisch sitzend und in alten Tabakrauch gehüllt: "Das weiß ich nicht." "Wissen Sie, was drauf tand?" "Ja, klar," antworte ich, "Schienenersatzverkehr Holzkirchen." "Ich hab´ das auch gesehen", meint der Junior.
Es wird lebhaft. Während die beiden Herren telefonieren, bekomme ich einen Kaffee. Die Einsatzleiter haben keinen Kontakt zu den Fahrern. Das wundert mich tatsächlich nicht, denn der Busfahrer auf der Hinfahrt hatte auch alle Hände voll zu tun: Erst hat er eine Butterbrezel gegessen und dann eine geraucht. Die über ihm hängenden Schilder lauteten: „Der Verzehr von Speisen ist im Bus nicht erlaubt.“ und daneben ein Verbotsschild als Piktogramm mit einer qualmenden Zigarette darauf, die rot durchgestrichen ist. Wer, bite, soll dabei noch telefonieren können?
Der Beamte mit der norddeutschen Färbung in der Stimme hat mal in Husum gearbeitet hat und erhält eine Taxi-Freigabe für uns bis nach Schliersee, Leider findet sich kein Taxi. Sein aus Nordrhein-Westfalen stammender Kollege beschließt daraufhin kurzentschlossen, uns mit seinem eigenen Auto zu fahren. Sagenhaft. Wie bedanken uns überschwänglich.
Ab da ist die Heimfahrt ein Kinderspiel. In Schliersee in den Bus nach Holzkirchen und dann in die Bahn bis München. In Holzkirchen fällt mein Blick auf ein Angebot der Volkshochschule Holzkirchen-Otterfing „Selbstverteidigung gegen Messerangriffe“. Im letzten Sommer hatte ich Otterfing eigentlich sehr friedlich erlebt.
Im ICE kann ich noch verfolgen, dass es beim Handball für die deutsche Nationalmannschaft mit komfortablem Vorsprung gegen Brasilien in die Halbzeitpause geht. Kurz vorm Aussteigen in Frankfurt komme ich mit den schräg hinter uns sitzenden jungen Eltern ins Gespräch, die mit einem unzufriedenen 8 Monate altem Baby unterwegs sind. Mein Sohn ist schon vorgegangen und ich kann sagen, wie es bei uns war: genau so, aber noch schlimmer, wenn ich ehrlich bin. Ich erzähle ihnen ein paar Dinge, und ich meine, die Erleichterung spüren zu können, die beide empfinden. Zum Abschied schenken sie mir strahlend ein Duplo und ich wünsche ihnen viel Spaß mit dem kleinen Kerl.
Nicht ganz so strahlend bin ich heute Morgen um 6 Uhr aufgewacht. Ich befürchte, mein linkes Auge ist ein bisschen schneeblind. Schwimmen heute fällt aus. Glück im Unglück: Ich kann mich irgendwie selbst behandeln. Das klappt so gut, dass ich sogar (endlich, endlich) die Bremse an Sohnemanns Fahrrad repariert habe. Da lacht sich jetzt die verehrte Leserschaft kaputt, aber ich bin stolz wie Bolle, dass mir das gelungen ist. Und das in meinem Alter. Alles besser als Kröten retten, würde ich sagen.
Den Rest des Tages werde ich jetzt mit selbstkonstruierter Augenklappe verbringen.
Schönen Sonntag von
Sister Ahab
PS: Ich bitte, Rechtschreib- und sonstige Fehler zu entschuldigen. Ich habe ja nur ein Auge zur Verfügung und das hat -4,25 Dioptrien …
|