Zitat:
Zitat von FuXX
Was die Kirche dann als Sünde bezeichnet ist ja für außenstehende egal, man muss ja nicht nach deren Regeln spielen.
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Ich verstehe was Du meinst. Aber ganz egal sind die Standpunkte der Kirchen IMO nicht, da sie immer noch einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss haben.
Religiöses Wissen ist immer geoffenbartes Wissen. Mit anderen Worten: Hinter der Bibel und ihren Aussagen stehen Offenbarungen. Ein Busch spricht, ein Engel erscheint im Traum, ein Gott offenbart zehn Gebote. Diese Offenbarungen wirken entweder direkt normensetzend ("Du sollst keine Götter neben mir haben"), oder die theologische Weiterverarbeitung der Offenbarung führt zur Formulierung von Verhaltensnormen.
Letzteres ist bei der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch von Belang. Ob ein winziger Zellklumpen, der noch keinerlei Nervensystem besitzt, bereits ein vollwertiger Mensch sei, wurde von den Kirchen in ihrer Geschichte unterschiedlich beurteilt. Die meiste Zeit galt die Vorstellung von der Sukzessivbeseelung. Das bedeutet, mit dem Anwachsen des Fötus zieht die unsterbliche Seele nach und nach in ihn ein. Dazwischen gab es Phasen, bei denen man von der Spontanbeseelung überzeugt war. Die befruchtete Eizelle sei sofort, vom ersten Moment an, als vollwertiger Mensch zu betrachten. Dies ist auch der gegenwärtige Standpunkt der Kirchen.
Ich finde es hilfreich, sich anzuschauen, worin im Einzelfall die Offenbarung bestand, auf die man sich heute bezieht, wenn kirchliche Normen allgemein gültig sein sollen. Etwa, auf welche Offenbarungen oder theologische Ableitungen beziehen sich die kirchlichen Standpunkte zur Stellung der Frau?
Heute sind wir in den fortschrittlichen Gesellschaften gewohnt, dass moralische Fragen in einem gesellschaftlichen Diskurs ausgehandelt werden. Was ist eine angemessene Strafe für Mord? Die Antwort ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Übereinkunft. Bei uns: Todesstrafe nein, lebenslanges Gefängnis ja, Chance zur Wiederintegration in die Gesellschaft: kommt darauf an.
Im Kontext dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, bei denen wir unterschiedliche Standpunkte verhandeln, geraten auch kirchliche Standpunkte auf den Prüfstand. Sie sind Gegenstand von Rede und Gegenrede, von Pro und Contra. Religiöse Standpunkte müssen sich legitimieren, indem sie Menschen überzeugen.
In diesem Kontext ist es legitim, danach zu fragen, worauf diese Standpunkt sich stützen. Sind es Offenbarungen, dann möchte ich wissen, welche es sind, um ihre Überzeugungskraft zu prüfen. Das sollten, finde ich, auch religiöse Menschen tun.
