Esst mehr Gemüse
Registriert seit: 22.09.2006
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@Trimichi: Hier sind vier Irrtümer bzw. Tricks am Werk:
1. Trimichi spricht nur scheinbar über Moral. Tatsächlich spricht er über Autorität.
Wenn Moral von einer angeblichen Gottheit festgelegt wird, können die Inhalte nicht angezweifelt oder hinterfragt werden. Die Inhalte treten dadurch in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die Frage, wer der Urheber ist.
Das ist das genaue Gegenteil von dem, was wir heutzutage unter Moral verstehen. Moralische Maßstäbe bedeuten, dass jemand, der aufgrund seiner Position, Macht oder aufgrund von Gesetzen formal recht hat, dennoch moralisch im Unrecht sein kann. Moral steht also über der Autorität.
Religion geht jedoch vom Gegenteil aus: Göttliche Autorität steht über jeder Moral; die Autorität ersetzt daher die Moral als oberste Instanz. Es ist das Gegenteil dessen, was normale Leute unter Moral verstehen.
2. Trimichi verwendet unsere Sympathie für moralische Werte, um einen religiösen Hintergrund einzuschmuggeln. Es stimmt, wir wollen eine moralische Welt. Aber was hat Religion mit Moral zu tun? Vor allem: welche der vielen Religionen?
Wenn Wissenschaft moralisch versagen kann, kann es auch die Religion (oder jedes andere System). Dass Religion irgendwas mit Moral zu tun hat, muss erst noch bewiesen werden. Gott, wie er in der Bibel beschrieben wird, ist moralisch völlig ungebunden und desinteressiert. Die Bibel demonstriert das an vielen Stellen, bei denen Gott gegen seine eigenen Gebote und Versprechungen verstößt.
Das zentrale Element der Bibel ist nicht „Moral“, sondern „Unterwerfung“ und „Bestrafung“. Dass die Bibel ein Buch von höchster Moral sei, ist frommer Aberglaube von jenen, die die Bibel nicht gelesen haben.
3. Trimichi fügt die Annahme ein, die Bibel sei ein moralischer Kompass. Aber genau das ist die Bibel nicht und will es auch nicht sein.
Du sollst nicht töten.
Aber was war mit Hitler? Was ist mit Notwehr? Ein simples Gebot ist eben kein moralischer Kompass, wenn es viel zu simpel ist. Ein moralischer Kompass wäre die Bibel, wenn ein paar Kapitel darauf verwendet würden, jene Fälle zu untersuchen, in denen man eben doch töten sollte oder muss. Moral braucht Begründung und Einordnung, eine zusammenhängende Struktur. Eben das unterscheidet Moral von einer plumpen Vorschrift.
Die Bibel begründet keine ihrer zentralen Botschaften. Das ist nicht ihr Anliegen.
Jesus heilte eine kranke Frau; danach schärfte er seinen Jüngern ein, sie sollten niemandem davon erzählen, damit nicht lauter Kranke zu ihm kämen. Danach zog er sich zur Meditation in die Einöde zurück. Ist das ein moralisches Verhalten? Und warum? Auf diese Fragen gibt die Bibel keine Antwort. Ist jemand, der heilen kann, verpflichtet, dies zu tun?
„Christliche Moral“ bedient sich aller nur denkbarer Positionen und deren Gegenteil. Selbst unter den höchsten christlichen Autoritären und gelehrtesten Theologen findet man mühelos welche, die für die Homo-Ehe sind, und welche, die dagegen sind. Manche sind für die Gleichberechtigung der Frauen, manche sind dagegen. Manche sind für Scheidung und Wiederverheiratung, manche sind dagegen. Das zeigt, dass das Christentum kein moralischer Kompass sein kann. Ein Kompass kann nicht gleichzeitig nach Süden und nach Norden weisen, es sei denn, er wäre defekt.
4. Trimichi suggeriert, Wissenschaft könne kein moralisches Urteil fällen. Er zieht daraus den Schluss, Moral sei ein Gegenstand des Irrationalen.
Warum soll Moral irrational sein? Das ist eine rein rethorische Finte. Man kann mit rationaler Logik herausfinden, ob der Abwurf einer Atombombe Leid verursacht, und ob dieses Leid durch andere Vorteile aufgewogen wird.
Es ist nicht zutreffend, dass die Wissenschaft bei der Atombombe nicht imstande war, dies herauszufinden und klar zu begründen. Sondern die beteiligten Wissenschaftler und Politiker haben diesen Aspekt, der ihnen vermutlich völlig bewusst war, einfach ignoriert.
Es gibt Wissenschaftler, die ihre Frauen schlagen. Das bedeutet nicht, dass die Wissenschaft unfähig wäre, über die Folgen dieser Tat etwas auszusagen.
Das ist ja der Witz der Moral: Dass es eine begründete Abwägung darstellt, die möglichst alle Vor- und Nachteile berücksichtigt. Moralisch zu urteilen bedeutet nicht „raten“, sondern „nachdenken“.
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