Zitat:
Zitat von Jörn
Das kann ich leicht erklären. Du fragst, warum wir trotz Evolution nur Dummköpfe bei RTL2 sehen. Müssten wir nicht Intelligenz sehen, wenn durch die Evolution alles immer fortschreitet? Warum ist es nicht fortgeschritten?
Evolution braucht Evolutionsdruck, also etwas, was nicht gut funktioniert, weil es nicht optimal angepasst ist. Durch Variation (kleine Kopierfehler) entstehen dann laufend neue Entwürfe. Was schlechter ist als zuvor, stirbt aus. Was besser ist als zuvor, erzielt mehr Nachkommen; und das Spiel beginnt von vorne. Es wird so lange variiert und ausgelesen, bis Schritt für Schritt das Optimum erreicht wurde.
Das Optimum wovon? Von Intelligenz? Keineswegs. Gesucht wird das Optimum an Anpassung an den jeweiligen Lebensraum. (Siehe Arnes großartiges Posting zuvor.) Ein Bakterium braucht keine Intelligenz. Ein Raubtier durchaus. Deswegen wird das Bakterium niemals intelligent werden, solange sein Lebensraum es nicht erfordert. Raubtiere und ihre Beute werden sich gegenseitig hochschaukeln. Wenn die Antilope klüger wird, wird auch der Löwe klüger, und umgekehrt. Wenn der Löwe so klug und schnell geworden ist, dass er alle Antilopen erlegt, sterben beide aus. Das Optimum ist etwas anderes als das Maximum.
Solange sich die Zuschauer von RTL2 fortpflanzen, gibt es keinen Druck für Veränderungen. Man könnte sogar die These aufstellen, dass eine gewisse Doofheit förderlich ist für die Zahl der Nachkommen. Wenn diese Nachkommen ebenfalls doof sind, wächst das Publikum von RTL2. Es handelt sich also um die Anpassung zweier Systeme aneinander.
Jedoch ist unsere Spezies so jung, dass die Evolution noch keine Gelegenheit hatte, weitere Verfeinerungen vorzunehmen. Dazu bräuchte man viel längere Zeiträume.
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Ich kann diese Argumentation nachvollziehen, wonach es sich hier um die Anpassung zweier Systeme handelt und daher Evolution nicht unbedingt bedeutet, dass in einem der beiden Subsysteme die Intelligenz immer größer wird.
Ich sehe allerdings in dieser Argumentation auch einen Schwachpunkt. Die zentrale Frage bei dieser Argumentation ist meiner Meinung nach, wie abgeschlossen Systeme sind und wirken. Wenn ich mehr oder weniger willkürlich zwei Teilsysteme heranziehe und die Wechselwirkungen als Evolutionsprozess verstehe, dann ist das in sich logisch und nachvollziehbar.
Dummerweise ist der RTL2-Zuschauer aber nicht nur RTL2-Zuschauer. Er hat Familie, Freunde und hoffentlich einen Arbeitsplatz. Er spielt Fußball und verirrt sich vor der Bundestagswahl vielleicht auch mal in eine Diskussionssendung. Usw ...
Auch RTL2 kann nicht mit allen Mitteln Zuschauermaximierung betreiben. Zumindest gibt es gesetzliche Einschränkungen, vielleicht gibt es auch den ein- oder anderen Mitarbeiter, dem bestimmte Sendungsformate dann doch zu tief sind, obwohl sie hohe Zuschauerzahlen versprechen.
Was ich damit sagen will: das Modell der Evolution zwischen RTL2 und seinen Zuschauern veranschaulicht zwar das Prinzip, ist aber viel zu einfach um es ins Allgemeine zu übertragen. Oder anders formuliert: Ein Modell, das tatsächlich umfassende Erklärungen für diese gesellschaftliche Evolution liefert, müsste viel zu viele Subsysteme und Variablen berücksichtigen.
Und damit bin ich schon bei einem zweiten Punkt: ich kann wenig damit anfangen, wenn hier (zumindest nach meinem Eindruck) mittlerweile praktisch alles mit Evolution erklärt wird. Natürlich gibt es eine lange Liste mit Bedeutungen des Begriffs Evolution in verschiedenen Sachgebieten (Chemie, Systemtheorie ...). In dieser Diskussion hier kann aber nach meinem Verständnis doch nur die biologische Evolution gemeint sein. Die ist doch der Ausgangspunkt der Religionsdiskussion. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendein verbohrter Bibelfreund sich jemals gegen die Evolution im mathematischen Fach-Sinn gewandt hätte.