Szenekenner
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Gern geschehen
Gestern fiel die Schule aus. Das Kind wollte gern an einer Leichtathletiksichtung für die Carl-von-Weinberg-Schule in Frankfurt teilnehmen. Zwei Tage vorher hatte ich noch mal nachgehakt: "Bist du dir sicher, dass du zu Leichtathletik möchtest?" Die Antwort hätte knapper nicht ausfallen können: "Ja."
Wir sind zur Abwechselung also sogar mal pünktlich. Also fast. Die Halle ist eine richtige Leichtathletikhalle mit einer 200-Meter-Bahn rundherum. Weitsprunggrube, elektronische Zeitnahme, alles da. Der Dicke und ich sind mächtig beeindruckt. Da ich Schlimmes befürchte, hatte ich auf dem Hinweg noch beiläufig gesagt: "Bin gespannt, was da für Kinder sind. Bestimmt so richtige Leichtathletikfreaks." Dabei hatte ich aus den Augenwinkeln zum Blonden rübergeschielt, um zu gucken, wie er reagiert. Zumindest äußerlich hatte er sich nichts anmerken lassen. "Nimm´s locker," hatte ihn dann noch ungefragt zwangsberatschlagt und hinzugefügt: "Egal, was kommt."
Nach einer kurzen Begrüßung durch den Leichtathletiktrainer der Schule wird gefragt, wer von den Eltern sich wohl als Riegenführer zur Verfügung stellen möchte. Klar, mache ich. Ich bekomme also die erste Riege, die aus drei Kindern besteht. Meine Aufgabe ist es, die Ergebnisse der Kinder an den einzelnen Stationen zu notieren und nach jeder Station zur Erfassung an den Computertisch zu bringen. Mein eigenes Kind ist in einer anderen Gruppe. Genau so hatte ich mir das auch vorgestellt: Er soll mal schön machen, und wenn was ist, bin ich da. Aber ich werde ihn nicht die ganze Zeit von der Tribühne aus beobachten. Mal gucken, wie das klappt.
Ich bringe also meine Riegenjungs (mittlerweile sind es vier) von Station zu Station und frage die jugendlichen Helfer der Schule, in welchen Disziplinen sie denn so unterwegs seien. Die Mädels sind nett und erzählen ein bisschen. Besonders begeistern kann ich mich für Mehrkampf und bin voll der Bewunderung. Dass sie super mit den Kindern umgehen, ist natürlich ein dicker Pluspunkt obendrauf.
Zwischendurch treffe ich den Dicken. Er lacht. "Mama," meint er, "die fragen mich alle, wie ich heiße. Warum?" "Keine Ahnung," antworte ich, "vielleicht machst du irgendwas besonders gut oder besonders schlecht oder sie fragen einfach alle?" Dann erkundige ich mich noch, ob´s Spaß macht, und wir gehen unserer Wege. Später wird er mir noch sagen, dass er beim Werfen grottenschlecht war (wie immer) und beim Weitsprung Pech gehabt hat. Trotzdem ist er fröhlich und freut sich, dass er zumindest beim Laufen schnell war. Dass das mit dem Werfen nichts würde, hatten wir uns ja bereits am frühen Morgen gedacht. Als ich den Blonden morgens weckte, waren seine ersten Worte: "Sch****, ich kann nicht werfen". Ich hatte gelacht und gemeint: "Ist doch egal, ist ja nicht das Einzige, was die sich angucken".
Die Abschlussübung besteht in einem 7-Minuten-Lauf, den alle Kinder gemeinsam starten. Bei allen Kindern reden wir von insgesamt 18 Kinder (Jg. 2005 + 2006, m + w), was ja wirkich wenig ist. Zum Vergleich: Für die Fußballsichtung haben sich 80 Kinder angemeldet. Jetzt muss ich dem Kind zugucken, ob ich will oder nicht. Da in diesem Lauf alle Erwachsenen alle Kinder anfeuern, rufe ich auch meinem aufmunternde Worte zu. Bis ein Bengel aus meiner Riege weinend vor meinen Füßen zusammensackt, weil er so Seitenstechen hat. Ich nehme ihn in den Arm und versuche ihn aufzumuntern. Ob er nicht vielleicht doch noch zumindest ein bisschen weitergehen könne? Nein, er will nicht mehr. Erst nach einer ganzen Weile steht er wieder auf und trabt langsam los. Ich lobe ihn dafür, dass er es noch mal versucht und lächle ihn aufmunternd an. Ob seine Eltern mittlerweile da sind, weiß ich nicht. Der Junge war morgens mit Anmeldebogen von einer Frau abgegeben worden, obwohl die Anmeldefrist schon längst vorbei war. Der Orgnisator hatte den Jungen zu meiner Minigruppe durchgewunken. Die Frau erklärte mir, dass die Eltern des Jungen ihn gegen 13 Uhr abholen abholen würden. Zum Glück hatte ich aufgepasst und bitte sie, dass die Eltern doch ab 11 Uhr kommen sollen, da die Sichtung dann wegen der wenigen Kinder schon vorbei sein kann. Für den Lütten war der ganze Tag schon nicht so gut gelaufen und am Ende hatte es Tränen gegeben. Für den wäre heute wahrscheinlich ein ganz normaler Schultag die bessere Alternative gewesen.
Am Ende des Vormittages gibt es eine Mini-Siegerehrung. Der Dicke darf aufs Podest und ist vollkommen verblüfft und freut sich deshalb wohl um so mehr. Er ist jetzt zu ein paar weiteren Trainings eingeladen. Ein Vater meiner Riegenjungs kommt vorbei und bedankt sich, weil ich das so nett mit den Kindern gemacht hätte. Sein Sohn ist ein bescheidener, zurückhaltender kleiner Kerl, der sich in der Riege gegen zwei Alphatierchen behaupten musste. Zwischendurch war ich immer mal wieder zu dem Jungen geschlendert und hatte ihm gesagt, dass ich finde, er mache das genau richtig und wirklich toll. Ruhig und konzentriert, da würde man einfach merken, dass er das wolle und das fände ich richtig super. Irgendwas davon muss wohl bei seinem Vater gelandet sein. Freut mich aber umso mehr, wenn das Kind sich wohlgefühlt hat.
Ich spreche dann noch mal mit dem Leichathletiktrainer und frage, worauf denn die ganzen Trainer mit ihren Klemmbrettern so bei den Kindern geachtet hätten. Und dann kommen u. a. so weiche Faktoren wie "Wille" und "Anstrengungsbereitschaft". Damit ist der arme Mann geliefert: Ich frage ihm Löcher in den Bauch. Er hält das gelassen aus und antwortet freundlich auf jede noch so naive Frage von mir. Die subjektiven Einschätzungen der einzelnen Trainer waren heute fast alle deckungsgleich und korrelieren in der Regel mit den objektiven Messergebnissen. Und ich erfahre, dass auch Eltern gesichtet werden, weil das Umfeld für ein Kind stimmen muss. Irgendwann habe ich ein schlechtes Gewissen, und ich höre auf mit der Fragerei, obwohl ich mir das eigentlich stundenlang anhören könnte.
Als wir im Auto sitzen, lassen wir den Vormittag erst mal sacken. Dass eine Sichtung in dem Alter noch gar nicht wirklich Sinn macht, hatte ich erfahren, und vieles mehr, was wir uns jetzt mal überlegen sollten. So fahren wir denn still mit dem Auto nach Hause, nur das Radio dudelt vor sich hin. In die Stille hinein meint der Junior unvermittelt: "Danke, Mama, dass du da heute mit mir hingefahren bist!" "Oh," antworte ich total überrascht, "gern geschehen. Hat mir Spaß gemacht." "Mir auch," meint er nur und dann dudelt wieder das Radio.
Wieder hängt jeder seinen Gedanken nach und ich fange an zu überlegen, ob ich eine schlechte Mutter bin, weil mein Kind sich für Dinge bedankt, die doch eigentlich selbstverständlich sind.
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