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Szenekenner
Registriert seit: 08.05.2008
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Wenn die Zeit reif ist
Wenn ich ehrlich bin, hätte ich es ja schon gern gehabt, dass der Dicke einmal die Woche schwimmen geht. Einfach nur so viel, dass er ein bisschen lernt, wie man gut schwimmt. Hat man doch sein Leben lang von gut, oder nicht? Aber er wolllte nicht und wir hatten ihn nicht gezwungen.
Bei den diesjährigen Stadtmeisterschaften wollte er dann trotzdem mitmachen. Und ist ziemlich hinterhergeschwommen. Tja, was willste da sagen. Bevor du was Falsches sagst, sagste mal besser nichts. Hatte ihn schon etwas gewurmt, aber das war´s dann auch.
Als Nächstes hatte das Kind dann in den Ferien den Kiel-Triathlon mitmachen wollen. Leider durfte er mit seinem Weihnachtsgeschenk (ein Crosser!) nicht starten und musste auf ein zu kleines Mountainbike ausweichen. Daran lag es aber nicht. Es lag am Schwimmen und am Nicht-in-die-Schuhe-kommen in der Wechselzone. Der Dicke wurde strahlend Vierter und war völlig euphorisiert, wie viele Kinder er auf dem Rad überholt hat. Wir freuten uns, dass es keine Tränen gab, sondern dass wir ein glückliches und heiles Kind in die Arme schließen und küssen konnten und gratulierten ihm herzlich zum vierten Platz.
Erst Stunden später sagte ich dann doch das, was ich mir eigentlich verbeißen wollte: "Wenn ich dir was sagen darf", beginne ich zögerlich, "ich glaube, du wärest ganz schön gut, wenn du mal richtig schwimmen lernen würdest." Und dann sage ich nichts mehr dazu und habe trotzdem ein schlechtes Gewissen.
Am einem regnerischen Ferientag beschließen mein Mann, der Dicke und ich, dass wir ins Rebstockbad nach Frankfurt fahren. Mann und Kind tummeln sich geschlagene drei Stunden im Wasser. Spielen im Wellenbad, große Rutsche rutschen und Schwimmen üben. "Papa," hatte das Kind gemeint, "kannst du mir mal zeigen, wie man richtig krault?" Und mein Mann, der eine größere Spannweite als Michael Phelps, wenn auch eine kleinere als Michael Groß hat, hatte nichts lieber getan. Er selbst war ja als Kind ums Verrecken nicht in irgendeinen Verein gegangen. So richtig Kraulschwimmen hatte er sich im zarten Alter von Ü40 selbst beigebracht. Mit dem Lütten auf dem Schoß hatte er sich Schwimmvideos angesehen und das Kind hatte ausnahmsweise mal nicht geschrien. Und weil Mann und Kind ähnlich ticken, hatte mein Mann dem Kind dann das Wissen so vermittelt, wie er es selbst gelernt hatte: Bewegungsabläufe zerlegen, einzelne Bewegungen ausführen und immer wieder erklärt, warum und wieso man die Dinge so macht, wie man sie macht. Das Kind hatte an den Lippen seines Vaters gehangen und gefragt, wenn er etwas ganz genau wissen wollte und ansonsten gemacht.
Am Ende des Nachmittags hatte das Kind 25 Meter am Stück kraulen können. Niemand war glücklicher als er selbst. "Ich bin ja nicht so der Brustschwimmer", hatte er zu meinem schmunzelnden Mann gemeint, um sich dann mit einem: "Mama, ich geh noch mal eine Bahn schwimmen. Also, Kraul schwimmen ..." einmal mehr Richtung Schwimmbecken verabschiedet.
Sechs Tage später: Mein Mann ist laufen, das Kind und ich sind bei hochsommerlichen Temperaturen im hiesigen Freibad. Das Kind schwimmt aus purer Begeisterung 100 Meter. Kraul versteht sich. Ein Bekannter kommt, gibt dem Dicken ein paar Tipps und schwimmt noch mal zusammen mit ihm 100 Meter. Danach sitzen der Junior und ich am Beckenrand und lassen die Beine im Wasser baulen.
"Mama," meint das Kind, "eigentlich würde ich ja gern 1000 Meter kraulen". "Ist das nicht ein bisschen viel?", frage ich, schließlich habe ich es hier mit einem zu tun, der nicht im Schwimmverein ist und für den das eben kein Klacks ist. "Finde ich nicht", antwortet er, um dann zu fragen: "Kannst du mit schwimmen, Mama?" "Klar", sage ich und wir schwimmen los. Wir machen Pausen und wir haben Spaß. Wir strengen uns an und nach 975 Meter möchte er dann noch mal "Vollsprint" schwimmen. Also, gut, denke ich. Sehe ich halt zu, dass wir ungefähr gleichzeitig ankommen. Dürfte pädagogisch vertretbar sein. Tja, einen Sch*** tu ich. Der Dicke zieht mich ab. Aber sowas von, dass ich es gar nicht glauben kann. Klar bin ich keine gute Schwimmerin, aber mit so einer Klatsche (wir reden hier leider nicht von ein oder zwei Armlängen) habe ich nun wirklich nicht gerechnet.
Als mein Mann später ins Freibad nachkommt, muss er raten, wieviel das Kind wohl geschwommen sei. Mein Mann beginnt seine Schätzung mit hoffnungsvollem Ton in der Stimme: "50 Meter?" und der Junior hat einen Heidenspaß daran, den Blondschopf zu schütteln und die Zahlen immer höher zu treiben. Mein Mann glaubt uns erst kein Wort und ist dann ganz verblüfft.
Wie der Vater, so wird auch der Dicke sicherlich nie in einen Schwimmverein gehen, aber das macht auch nichts. Und bei so viel Freude auf Kinderseite habe ich auch kein schlechtes Gewissen mehr, dass ich dann doch mal was gesagt habe.
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