Szenekenner
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Mein ganz persönlicher Bericht: Radfahren
Wie gesagt, man steigt aufs Rad und es geht bergauf. Zunächst durch ein enges Spalier an Zuschauern und anderen Radfahrern, dann aber nach wenigen Kehren nur noch alleine mit den anderen Teilnehmern und das waren doch so Einige. Meine letzten LDs waren alles eher kleinere Events, der Gipfel letztes Jahr Hannover mit 50 Startern. Dagegen ist in Embrun die Hölle los und ich merkte schell, wie mich das beflügelte. Ich überholte stetig und musste mich immer wieder gehörig bremsen. Ich sagte ja schon, Demut war angesagt und ich wusste, der Tag wird noch lang. Überraschend war für mich auch die Stille und Ruhe mit der alle so in den ersten Berg fuhren. Mein Französisch ist nur unwesentlich besser als mein Schwimmen, so daß es mir fern lag, von mir aus andere Teilnehmer anzusprechen. Einzelne suchten dann doch mal den Kontakt zu mir, und bestätigten, daß es sie auch verwunderte, daß alle Anderen so still sind. Es gibt wohl zwei verschiedene Gruppen von Sportlern: die Schweiger und Redner. Irgendwann war der erste Berg dann auch geschafft und es ging in die erste Abfahrt. Vorher hielt ich jedoch kurz an, um die Windweste anzuziehen, denn richtig warm war es leider nicht. Auf der Abfahrt bemerkte ich schnell, daß meine Fähigkeiten im Abfahren weit hinter denen von bergauf hinterherhinken. Als ich dann aber sehr früh am zweiten Krankenwagen sowie einem dritten verunfallten Mitstreiter vorbeifuhr, sagte ich mir, daß sich zu viel Risiko sicher nicht auszahlt!
Oft hatte ich mir im Training die Fahrt über die Brücke über den Stausee vorgestellt. So toll war es dann in Realität gar nicht. Ich hatte damit zu kämpfen, nicht an jedem anderen Radfahrer vorbeizurauschen, dennoch faire Abstände einzuhalten und darüberhinaus wollte der Rest des ersten von sechs Powerbars ausgewickelt und gegessen werden. Nach wenigen Kilometern im Flachen ging es dann rechts ab in Richtung Barratier. Dort standen noch einmal all die Zuschauer und Angehörigen, die uns schon im See und aus der Wechselzone heraus angefeuert hatten. Auch hier wieder eine Wahnsinnsstimmung.
Von Baratier zieht sich die Strecke mit leichtem Auf und Ab am Hang der Durance durch Wald und Wiesen. Pfeile auf der Straße in beide Richtungen zeigten mir, daß wir hier auch wieder zurückfahren werden. Dann würden wir aber immer noch „la derniere difficulté“ -den Col de Chalvet- vor uns haben. Ich baute mich aber mit der Erkenntniss auf, daß der Rückweg bis Embrun netto bergab gehen wird, denn jetzt ging es erstmal häufiger hinauf als hinunter. Irgendwann erreichte ich die D 902, die nach Guillestre führt. Die Stimmung hier, wo der längste Anstieg des Tages beginnen sollte, war unbeschreiblich. Ich war ja nun schon lange nicht mehr in Roth gewesen aber meiner Meinung nach braucht sich der Hotspot hier hinter dem Solarer Berg nicht zu verstecken! Spalier, die Welle, Geschrei alles was das Herz begehrt. Ich merkte, wie mir nun schon zum dritten Mal an diesem Tag die Tränen in die Augen schossen. Diesmal liess ich sie einfach fließen, Sch*** drauf!
Hinter Guillestre geht es erstmal sehr flach am Fluss der Guil entlang. Hier wurde ich durch „ah noch ein Hamburger“ aus meinen Gedanken gerissen. Christian und ich unterhielten uns eine Weile und verloren uns dann aber alsbald wieder aus den Augen. Langsam wurde die Straße steiler und an einer Kehre rief uns ein Zuschauer etwas von „deux et demi kilomètre“ zu. Nein, er meinte nicht, daß wir dann schon oben sind, sondern daß dann der Spaß erst richtig beginnt. Nach diesen 2,5 km erreichten wir nämlich die Abzweigung nach Arvieux, wo der echte Pass beginnt. Ab dann standen auch die noch zu überwindenden Kilometer bis zur Passhöhe an den kleinen Schildern, die extra für die Radfahrer überall in der Gegend an den Straßen stehen.
Am Anstieg nach Arvieux fiel mir dann auch Bart auf. Er fuhr praktisch genau mein Tempo und ich dachte mir noch, mit dem Namen kommt der auch nicht von hier. Bart ist Holländer und freute sich sehr über meinen Kommentar, er passe gut in die Reihe guter niederländischer Bergfahrer. Gemeinsam überholten wir fleissig unsere Mitfahrer. Ich im steten Wechsel von 38/27 im Sitzen und zwei Ritzel höher im Wiegetritt für jeweils 200-300m, Bart mit ähnlicher Strategie aber ohne die Gänge zu wechseln. Ausserdem fuhr er glaube ich Kompakt. Ich geb zu, den „geschenkten Kilometer“ im Casse Desert, es geht kurz mal bergab, hab ich echt gebraucht, bin aber anscheinend sehr schnell in den Gegenanstieg reingegangen, denn Bart hatte ich ab da verloren. Noch zwei oder drei Kehren und der Izoard war geschafft. Hier kamen zwar auch ein paar Tränen aber insgesamt hab ich da oben nicht viel mitbekommen. Ich hatte ja keinen Beutel abgegeben, brauchte mich also nicht anzustellen. Ich zog mir dann nur die Windweste über, alles andere hatte ich ja bereits an. Leider waren gerade Bananen alle. Die hätte ich gerne gehabt. Statt den dritten Powerbar hier oben auszuwickeln, stürzte ich mich gleich in die Abfahrt, wobei hinunterstürzen nicht ganz richtig ist, denn zunächst wurde ich von den Autos ausgebremst. In perfektem Französisch schimpfte ich „ce n´est pas vrais“ vor mich hin, bevor ich bemerkte, daß um mich herum gar keine anderen Radfahrer sind. Die standen wohl noch um ihre Beutel an. Etwas später wurde mir meine Unfähigkeit beim Bergabfahren wieder vor Augen geführt aber auch hier ließ ich Vorsicht walten und rollte gen Laus – lustiger Name! Ja es war echt kalt und allein schon deshalb zog ich das ein oder andere Mal an den Bremsen, denn weniger Tempo bedeutete auch weniger Fahrtwind! Hinter Laus fing dann wieder einer der vielen Kämpfe mit den Powerbarverpackungen an. Immer wieder den dreiviertel Riegel im Mund musste ich bremsen, wollte aber doch auch schlucken. Hoffenlich gibts davon keine Photos wie ich mit dem klebrigen Riegel im Mund nach Briancon einfuhr. Muss eklig ausgesehen haben, so ungefähr wie eine sehr große zweite Zunge die mir da aus dem Mund hing.
Durch Briancon und daran vorbei ging es recht verwinkelt und mir fehlt auch die genaue Erinnerung daran. Den Aufschwung nach Les Vigneaux hatte ich in meiner Planung nie so richtig auf dem Zettel aber Bart meinte am Izoard, daß der auch zu den „difficultés“ gehöre. Ich hab den aber kaum wahrgenommen, es ging halt wie so oft mal wieder hoch und runter. Irgendwann kam dann aber eine sehr lange steile Gerade, die so gar nicht enden wollte. Da standen dann auch wieder massig Zuschauer und einer bejahte meine Frage „c´est la Cote de Pallon?“ mit einem freundlichen „oui“ und „courage“. Auch hier wieder das bekannte Wechselspiel aus 38/27 pressen und Wiegetritt nur das ich hier dann nur noch ein Ritzel nach oben schalten konnte.
Auch der Pallon war irgendwann geschafft und nun erwartete uns ja noch die aussergewöhnliche Schiebepassage! Bei der Wettkampfbesprechung wurden wir sehr eindringlich darauf hingewiesen, daß ein Stück der Radstrecke wegen Bauarbeiten gesperrt sei. Nur durch die Auflage, alle Radfahrer würde absteigen und ca. 30m ihr Rad überdie Baustelle schieben, wurde das Rennen genehmigt. Bis dahin war es dann aber noch eine Steigung, die ich nun gar nicht auf dem Schirm hatte, die mir aber auch egal war. In Embrun gehts halt immer mal wieder hoch, da wird man irgendwann recht phlegmatisch! Die Schiebepassage war dann recht witzig, denn alle um mich herum meinten wohl, daß man genau hier das Rennen gewinnen könnte und rannten schiebend über die Brücke als gebe es kein Halten mehr. Erinnerte mich verdammt an die Worldcup Jungs und Mädels in der Wechselzone am Hamburger Rathausmarkt! Ich bin aber natürlich mitgerannt, man gibt sich ja keine Blöße vor der „Grande Nation“. Außerdem war es ein schöner Test, wie sich das Laufen in einer guten Stunde anfühlen wird. Dann gings irgendwann an einem Flugplatz lang, da hätte man tatsächlich nen Aufleger brauchen können, zum zweiten mal heute nach der Brücke über den Stausee. Insgesamt war für mich spätestens hier klar, daß meine Materialwahl, klassisches Rennrad ohne Auflieger aber mit Heldenkurbel, ideal war. Meine betagte, dänische Schönheit könnte vielleicht etwas leichter sein, das gilt für mich aber genauso.
Nach dem Flugplatz gehts dann auch schon bald auf die andere Seite der Durance und man fährt das Stück durch Wald und Feld zurück an dem man morgens nach Guillestre rollte. Und richtig, netto ging es bergab und rollte entsprechend gut. Ein von hinten aufrollender Mitstreiter zeigte mir, daß man hier mit wenig Krafteinsatz massig Plätze gut machen kann. Die kleinen Buckel lassen sich gut raufpressen und wenn man Bergab nicht nur die Beine hängen lässt, fliegt man an den Mitstreitern nur so vorbei. Tja und dann geht es über die Pont Neuf und man kreuzt die Laufstrecke. Danach geht es über einige Kehren nach Embrun rein und hier sah ich auch schon die ersten Läufer auf der Strecke. Die waren auch nicht mehr ganz frisch! In Embrun gleich nach dem Salle du Fete kommt dann die für mich sagenumwobene Rechtskurve zum Colle de Chalvet. Ja, der hat es dann aufgrund der Länge der Steilheit noch einmal so richtig in sich. Meine alten Kumpels aus Regensburg hatten einmal mit und einmal ohne Chalvet in Embrun mitgemacht. Zu Beginn schien dieser Scharfrichter im Programm noch zu fehlen! Für die war die zweite Teilnahme daher ein richtiger Schock, weil der Chalvet unerwartet kam. Ich wusste ja, daß etwas auf mich zukommen würde, es war dann aber doch härter als ich gedacht hatte. Das Ding ist echt lang und auch nicht wirklich flach! Nico hatte mich ja noch mal vorgewarnt. Dennoch, den Mitstreitern ging es nicht besser und mit bekannter Technik und Strategie fuhr ich noch an allem was vor mir war vorbei. Der Anfang der Abfahrt ist vom Belag etwas gewöhnungsbedürftig, zum Ende wird es dann noch mal recht winklig (man beachte das Wortspiel, das mir nach 186km in den Sinn kam!). Klar, die soeben Überholten, flogen auch in dieser Abfahrt wieder an mir vorbei. Ich glaube ich hab vergessen zu erwähnen, daß es seit Briancon nicht mehr aufgehört hat zu regnen und die Straßen entsprechend nass und rutschig waren. Ein Sturz direkt vor der Wechselzone wäre es dann noch gewesen. Radfahren war dann nach 7h 30 vorbei, punktgenau im Plan.
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