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Zitat von KalleMalle
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Das Christentum könnte heute nicht auf 30 % Christen (der Weltbevölkerung) hinweisen, hätte es neben gleichbleibenden nicht auch variable religiöse Inhalte und liturgische Formen hervorgebracht, welche Urchristen, (aufständische) römische Sklaven, germanische Bauern, Kaiser und Adlige, Bürgerliche, Arbeiter, afrikanische Naturgesellschaften, asiatische Völker, aufgeklärte Europäer und viele andere Völker in ihren unterschiedlichen religiösen Bedürfnissen und Zielen befriedigten.
Gerade der oben zitierte Vatikantext zeigt das im Kleinen sehr gut:
Zum Seelenheil Neugeborener: "aber das Problem war hier einmal mehr nicht Rom oder die Kirche oder irgend ein Papst, es ist
Volksglauben geworden. Und dagegen kann man so gut wie nie ankommen."
Zum Fegefeuer:
"Und all das, was nicht den Glauben und der Liebe und der Würde gemäß ist, wird uns weggenommen, dieser Schmerz, das bezeichnen wir als Fegefeuer. Leider gibt es immer noch zu viele Bilder und Vorstellungen, die sich das als Raum denken, in den Menschen eingesperrt werden. Aber damit hat das nichts zu tun. Es geht darum, dass wir mit unserem Leben dem liebenden und verzeihenden Gott begegnen werden."
Eine der besten Erklärungen für die Existenz von Religionen und unterschiedlichen religiösen Vorstellungen gab IMHO der Philosoph Feuerbach in: "Das Wesen des Christentums"
"Unser Verhältnis zur Religion ist daher kein
nur verneinendes, sondern ein kritisches; wir scheiden nur das Wahre vom Falschen – obgleich allerdings die von der Falschheit ausgeschiedne Wahrheit immer eine neue, von der alten wesentlich unterschiedne Wahrheit ist. Die Religion ist das erste Selbstbewußtsein des Menschen. Heilig sind die Religionen, eben weil sie die Überlieferungen des ersten Bewußtseins sind. Aber was der Religion das Erste ist, Gott, das ist, wie bewiesen, an sich, der Wahrheit nach das Zweite, denn
er ist nur das sich gegenständliche Wesen des Menschen, und was ihr das Zweite ist, der Mensch, das muß daher als das Erste gesetzt und ausgesprochen werden. Die Liebe zum Menschen darf keine abgeleitete sein; sie muß zur ursprünglichen werden. Dann allein wird die Liebe eine wahre, heilige, zuverlässige Macht. Ist das Wesen des Menschen das höchste Wesen des Menschen, so muß auch praktisch das höchste und erste Gesetz die Liebe des Menschen zum Menschen sein. Homo homini Deus est – dies ist der oberste praktische Grundsatz –, dies der Wendepunkt der Weltgeschichte. Die Verhältnisse des Kindes zu den[409] Eltern, des Gatten zum Gatten, des Bruders zum Bruder, des Freundes zum Freunde, überhaupt des Menschen zum Menschen, kurz, die moralischen Verhältnisse sind an und für sich selbst wahrhaft religiöse Verhältnisse. Das Leben ist über haupt in seinen wesentlichen Verhältnissen durchaus göttlicher Natur. Seine religiöse Weihe empfängt es nicht erst durch den Segen des Priesters. Die Religion will durch ihre an sich äußerliche Zutat einen Gegenstand heiligen, sie spricht dadurch sich allein als die heilige Macht aus; sie kennt außer sich nur irdische, ungöttliche Verhältnisse; darum eben tritt sie hinzu, um sie erst zu heiligen, zu weihen."
Aus: Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums, Kap. 28