Ludwig Thoma:
Die Abenteuer des Gymnasiallehrers
(Teil 2 von 5)
Ein Rausch kommt über Josefs Sinne,
Und ihn ergreift ein Schönheitsdurst.
Mit einmal sind ihm deutsche Minne
Und deutsche Treue ziemlich wurst.
Er stürzt sich in die Freudenwoge
Und fragt ein Mädchen: "Wisst auch du?"
Sie sagt: "Sie sind wohl Philologe?
Mann kennt's am abgelatschten Schuh;
In ihrem Barte hängen Reste
Von Linsen und von Sauerkohl!
Ich danke Ihnen auf das beste,
In mir – da täuschen Sie sich wohl?"
Mein Josef konnte es nicht fassen,
Was seiner Tugend widerfuhr;
Er wollte sie herunterlassen –
Und dem Geschöpf mißfiel es nur!
Schon fühlt' er Ekel vor dem Treiben
Und fühlt' sich von Moral umweht;
Man kann ja niemals reiner bleiben,
Als wenn ein Mädchen uns verschmäht.
Indessen war im Schicksalsfügen
Für Josef Härtres aufgespart.
Er stürzte nochmals ins Vergnügen
Und kämmte vorher seinen Bart.
Das zweite Mädchen – angesprochen –
Hatt', etwas minder preziös,
Mit manchem Vorurteil gebrochen
Und sagte bloß: "Ach, Sie sind bös!"
Sie hatte einen, der bezahlte,
Er hatte einen Domino,
Mit dessen Gunst er sichtlich prahlte,
Und beide waren herzlich froh!
__________________
Das Leben ist ein Zeichnen ohne die Korrekturmöglichkeiten des Radiergummis.
|