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Nächster Teil, wieder lang und hart:
10 Tage nach der 3. OP begann dann also die Chemotherapie. 5-Fluorouracil, Epirubicin und Cyclophosphamid hiessen die drei Zellgifte, die für die nächsten Monate meine Freunde werden sollten. 6 Mal, in dreiwöchigen Abständen, gab es einen sog. Zyklus dieser Medikamente, begleitet von gefühlten Tonnen an Kortison und diversen anderen hammerharten Medikamenten, die nur dazu dienten, die Nebenwirkungen der Zytostatika zu ertragen. Vorgewarnt wurde ich vor Übelkeit, Haarausfall, Müdigkeit, Gewichtszunahme und am gefährlichsten, der Schädigung des Knochenmarks und damit der Blutbildung und der Immunabwehr.
Im Nachhinein kann ich sagen, ich hatte alle Nebenwirkungen durch aber kein Zyklus glich dem anderen. Nach dem ersten war noch nicht viel zu merken, etwas flau im Bauch, müder und weniger leistungsfähig als normal aber alles in erträglichem Rahmen. Die Blutwerte hatten sich noch nicht von den Operationen erholt und waren dementsprechend nieder, aber noch nicht gefährlich nieder. Erst nach ca. 2 Wochen machte sich eine sehr unangenehme Auswirkung der Zytostatika bemerkbar. Haarausfall! Und zwar überall. 3 Tage und einen Friseurbesuch später hatte ich statt meiner Wallemähne die Frisur von Skunk Anansies Frontfrau... Um nicht so sehr aufzufallen trug ich in der Öffentlichkeit meistens eine Perücke, nicht hässlich aber im Hochsommer ganz schön nervig. Aber noch weniger schlimm als die Glotzaugen der Leute im Supermarkt oder am Strand.
Der 2. Zyklus war im Wesentlichen von Übelkeit geprägt. Irgendwelche Gerüche und ich hätte ko...können. Nicht nur Küchengerüche, auch manche Duschgels und andere harmlose Gerüche lösten dieses Gefühl aus. Und die Müdigkeit wurde schlimmer. Zum Glück war der Spuk nach einer Woche wieder so gut wie vorbei. Ein paar Tage später traten dann die ersten Löcher in der Mundschleimhaut auf. Zyklus Nr. 3 führte zu einer Steigerung der Übelkeit, und zu noch mehr Schlafbedürfnis. Für Zyklus Nr. 4 gab es andere Begleitmedikamente gegen das Erbrechen. Das war dann zwar weg, dafür kamen aber die Geschmacksverwirrungen und wirren Gelüste. Übelkeit und gleichzeitig Appetit auf Bratwurst mit Pommes und andere Schweinereien waren an der Tagesordnung. Ich hatte schon gehofft, zumindest von der Gewichtszunahme verschont zu bleiben. Aber nein, jetzt kam auch das noch dazu. Und immer stärker werdende Beinödeme. Die seltsamen Symptome verschwanden immer recht pünktlich nach 7 Tagen, die Ödeme und die Gewichtszunahme blieben hartnäckig.
Jeweils 1 Woche nach den Zyklen 1-3 konnte ich eigentlich ganz nett Sport machen. Eine Stunde walken und joggen im Wechsel, mit dem Rad durch die Sommerlandschaft kurven, im Watt und am Strand lange Spaziergänge unternehmen usw. Nach Zyklus 4 war joggen erst mal vorbei. Die Beine waren so voll Wasser, dass ich sie kaum noch hoch bekommen habe. Und walken oder wandern war auch entsprechend mühsam. Radfahren war soweit ok, aber ziemlich anstrengend. Ein Hügelchen auf dem Weg zum Strand wurde zum Gradmesser meiner Fitness. Wenn ich dort noch die Touristen auf ihren Hollandrädern (ich selbst saß auf meinem Cyclocrosser) überholen konnte war alles in Ordnung.
Zyklus Nr. 5 war im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend. Noch im Krankenhaus bekam ich Kreislaufprobleme und musste dort bleiben. Ich hatte über 30 Stunden geschlafen und von meiner Umgebung kaum etwas mitbekommen. Zuhause ging es dann ähnlich weiter. Aufstehen zum Essen, ein paar Bissen und wieder hinlegen, weiter schlafen. Nach und nach wurde das zwar wieder besser aber die jetzt 5 Zyklen waren sehr deutlich zu merken. Da sich diese Reaktion niemand wirklich erklären konnte gab es für Nr. 6 einfach noch mehr Kortison. Und während der 6 Stunden, die die Infusionen liefen, saß fast ständig eine Krankenschwester bei mir im Zimmer zur Beobachtung. Und es ist nichts passiert. Keine Müdigkeit, keine Nebenwirkungen, keine allergische Reaktion. Die geringsten Nebenwirkungen spürbaren hatte ich zum Schluss. Jetzt war allerdings mein Konochenmark soweit hinüber, dass sich ein echter Mangel an weißen Blutkörperchen zeigte. Also hieß es zuhause bleiben und in den wenigen unvermeidlichen Menschenansammlungen einen Mundschutz aufzusetzen. Immerhin setzte im Oktober 09 auch gerade die große Schweinegrippe-Panik ein.
Danach kehrte wieder etwas Ruhe ein. Im November stand dann die erste große Nachsorge auf dem Programm, die gleichzeitig auch der Start der Antihormontherapie war. Eine unscheinbare weiße Tablette täglich und eine Spritze/Monat von denen man die wildesten Storys hören und lesen kann. Von Gewichtszunahme (warum denn schon wieder?) über Hitzewallungen bis zur sexuellen Unlust standen mal wieder wüste Nebenwirkungen auf den Beipacktexten. Die Nachsorge ergab keine pathologischen Befunde und fast genauso wichtig wie die Tatsache, dass der Tumor weg ist war der Befund vom Kardiologen. Das als herzschädigend bekannte Epirubicin hat keine Spuren hinterlassen. Uff.
Auch im November begann die Anschlussheilbehandlung. 3 Wochen in einer Rehaklinik in Bad Schwartau. Gedacht um sich zu erholen, wieder zu Kräften zu kommen und Bewegung zu machen in der geschützten Umgebung der Klinik, wo man sich um nichts anderes kümmern muß als sich selbst. Das hat soweit gut funktioniert, die Nähe zu Lübeck war in der Vorweihnachtszeit auch sehr nett. Pünktlich zu Beginn von 100/100 habe ich es während der Reha auch wieder geschafft, 30min am Stück laaaaaangsam zu laufen. Mit etlichen Kilos mehr auf den Rippen und noch nicht wieder verschwundenen Beinödemen nicht so einfach. Das Rad hatte ich dort aber leider umsonst mit.Von 21 Tagen war an 18 Regenwetter.
Die Katastrophen der Antihormontherapie sind übrigens nicht eingetreten, * holzklopf* bis heute nicht.
Im Laufe des Winters verschwanden die Neben- und Auswirkungen der Chemotherapie zusehends. Die Haare wuchsen wieder, das Schlafbedürfnis sank und das Gewicht auch. Im Januar war eine Stunde joggen schon wieder ok. Im Februar begann dann auch die Wiedereingliederung in den Beruf, arbeiten im Schonwaschgang für 6 Wochen. Und danach war erst mal Urlaub in Spanien.
Huch, es gibt so viel zu erzählen...
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