Ich war am Samstag 3.5 Stunden auf dem Rennrad in den Bergen. Es war schön und kalt, aber ich kam unbefriedigt nach Hause. Ich brauche eine größere Dosis!
Daher fuhr ich heute eine etwas größere Runde. Da ich eine gute Stunde vor der Zeit wach war, schaltete ich die Glotze über dem Bett an und putschte mich mit der härtesten aller Drogen auf:
Boris Becker 1987 im Davis-Cup gegen die USA – in den USA. Boris Becker lässt einen Ball vom Schläger zu den Balljungen abprallen. Auf der Mannschaftsbank der USA sitzt John McEnroe in Straßenkleidung, fängt diesen Ball und wirft ihn wieder zurück ins Feld. Der geworfene Ball trifft Becker absichtlich von hinten am Körper. Was für eine Unverschämtheit! Eine Rauferei konnte verhindert werden, aber die Stimmung war am Siedepunkt. Becker war richtig sauer, blieb aber äußerlich cool. Daraus entwickelte sich eines seiner besten Matche.
Raus aus den Federn, zwei Toast, ein Kaffee. Bei 0°C auf’s Rad und los. Durch den zähen Nebel ist es die erste knappe Stunde unangenehm. Meine gesamte Vorderseite ist von Tröpfchen und Raureif bedeckt. Über ein steiles, einsames Sträßchen bohre ich mich den ersten Berg hinauf. Das Hinterrad rutscht auf der von Raureif knisternden Straße hier und da kurz durch, aber dann durchstoße ich die Nebeldecke und bin in der Sonne (Bild 1). Perfekt!
Bald bin ich auf 1.000 Meter Höhe und freue mich über Sonne bei 5°C. Es ist herrlich. (Bild 2). Die erste Schussfahrt auf die andere Seite des Berges verzichte ich auf die Windjacke, damit meine Klamotten besser trocknen können. Nach 20 Minuten geht es in den nächsten sonnigen Anstieg und ich fühle mich pudelwohl.
Auf der nächsten längeren Abfahrt trockne ich weiter ab, die Jacke bleibt in der Trikottasche. Ich habe jetzt den Höhenzug des Hochschwarzwaldes überquert und treffe auf der anderen Seite leider auf grimmiges Winterwetter. Alles im Nebel, es ist arschkalt, die Straßen klatschnass. So blieb das leider die nächsten zwei Stunden. Die Sicht war teilweise unter 100 Meter.
Wieder einmal denke ich (zum wievielten Mal eigentlich?), gute Radklamotten zahlen sich aus. Außerdem bin ich froh um mein starkes Rücklicht und den kräftigen Frontscheinwerfer, die auf solchen Touren Gold wert sind. Weniger gut: Ich habe aus unerfindlichen Gründen (heißt übersetzt: aus reiner Blödheit) nur drei Corny-Riegel an Bord. Ich rechne unterwegs, wann ich mir den letzten, eisern aufgesparten Riegel verabreiche, um den letzten Berg noch zu schaffen (für Ortskundige: Das Hexenloch).
Das Hexenloch zählt klimatisch zu Grönland. Es ist schon im Sommer eine Zumutung, dort hinaufzuschlottern. Im Winter kommt die Sonne nicht in dieses steile Tal. Ich leide. Im meinem Gehirn irrlichtern dick bestrichene Nutellabrote herum. Mit letzter Kraft wuchte ich mich über die Kuppe und sehe dort: Sonne, blauen Himmel, 9°C. Verkehrte Welt: Dort oben ist praktisch Sommer. Prima!
Über St. Märgen und St. Peter rolle ich zurück ins neblige Tal. Es ist jedes Mal ein Erlebnis: Vom schönsten Sonnenschein rauscht man in eine Wolke aus eisiger Kälte, Nässe und Dämmerlicht. Als würde am Ende der Tour jemand am Kassenhäuschen sitzen und sagen: "So, jetzt wird bezahlt, Freundchen!".
Zu Hause lag ich dann eine Stunde mit zwei dicken Pullovern unter zwei dicken Decken im Bett und schaute das Boris-Spiel zu Ende. Die Waschmaschine lief, das treue Ross stand abgewaschen und frisch geölt neben der Heizung. Ein gelungener Tag, oder?
