Zitat von Klugschnacker
Nein. Die meisten Demokratien verfolgen durchaus übergeordnete Ziele. Darum geben sie sich eine Verfassung.
Im Unterschied zu normalen Gesetzen und Verordnungen sind die Artikel einer Verfassung weit schwerer durch eine demokratische Wahl zu ändern, etwa durch Zwei-Drittel-Mehrheiten. Ein Gesetz in die Verfassung zu schreiben bedeutet, sie dem Wählerwillen ein Stück weit zu entziehen.
Daneben gibt es noch weitere Schutzmechanismen, die die unmittelbare Macht der Wählerinnen und Wähler beschränken. Beispielsweise wählen wir Parlamente. Der Bundestag teilt sich wiederum die Macht mit dem Bundesrat.
Doch, solche Modelle kennst Du. Wir haben beispielsweise ein Lieferkettengesetz und Zölle. Die USA sind eine Demokratie und sagen den Autofirmen wie VW oder BMW klipp und klar, wo sie zu produzieren und wo sie einzukaufen haben, wenn sie auf dem amerikanischen Markt Fahrzeuge verkaufen wollen.
Ein viel stärkeres Beispiel sind jedoch die Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank oder die Bundesbank. Dort wird der Leitzins festgelegt, was die weitreichendste wirtschaftspolitische Maßnahme überhaupt darstellt. Der Leitzins bestimmt, zu welchem Preis Firmen Kredite bekommen können.
Jetzt kommt’s: Die Zentralbanken unterliegen keinerlei politischer oder demokratischer Kontrolle. Niemand dort wird gewählt, und selbst der Kanzler hat dort überhaupt nichts zu melden. Die Stabilität unserer Währungen wird ganz bewusst dem Einfluss der Wähler und der Politik entzogen. Trotzdem sind wir eine Demokratie.
Die Stabilität der Währung stellt also ein der Demokratie übergeordnetes Ziel dar. Wenn wir wollten, könnten wir dieses Instrument klimapolitisch weiterentwickeln. Etwa, indem Kredite für klimafreundliche Investitionen günstiger, und solche für fossile Investitionen teurer werden. Trotzdem blieben wir eine Demokratie und wären keine Diktatur. – Das ist nur ein Beispiel für viele Dinge, die wir tun könnten.
Die Verfassung.
Ja, das darf sie. Aber Verfassungsziele sind gegenüber Wahlen recht robust. Sonst könnten wir einfach per Wahl die Demokratie abschaffen. In ähnlicher Weise könnten wir nicht nur die Demokratie schützen, sonder auch unsere Lebensgrundlagen.
Ich wäre dafür offen, das Wahlrecht zu überdenken. Wir sind eine überalterte Gesellschaft mit sehr vielen älteren Menschen. Wir müssen aber heute über Entscheidungen abstimmen, die sich erst in 30 Jahren auswirken. Etwa die Abgase unserer Heizungen oder die teure Modernisierung der Bahn.
Wir sehen bereits heute, dass die Altersgruppe 18-30 deutlich mehr Klimaschutz wählt als die Altersgruppe 60-80. Die Alten sind bei uns aber in der Mehrheit. Das war früher nicht so. Die heute notwendige Weichenstellung für eine Zukunft, die mehrere Jahrzehnte entfernt liegt, ist eine neue Herausforderung für unsere Demokratie. Sie kann sich weiterentwickeln, indem sie dieser Situation Rechnung trägt. Beispielsweise könnte man Wählerstimmen gewichten: Junge Menschen haben 1.5 Stimmen, alte wie bisher 1 Stimme.
Das ist nur ein Beispiel. Ich bin Kompetent als Triathloncoach, aber nicht als Volkswirt oder Staatskundler. Auf welche Weise man unsere Demokratie weiterentwickelt, müssen schlauere Leute entwerfen. Ich sehe lediglich die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung.
Ich bin dagegen, unsere Demokratie und unser Wirtschaftssystem in ihrer heutigen Ausprägung per Dogma unverändert zu lassen, bis beide im Klimawandel den Heldentot sterben. Wir müssen uns gegen die fortschreitende Umweltzerstörung wehren. Das tun wir ja auch bei den inneren Feinden der Demokratie, Stichwort "wehrhafte Demokratie", indem wir Freiheitsrechte für die Feinde der Demokratie begrenzen. Das ist nicht undemokratisch, sondern notwendig. Beim Umweltschutz muss es genauso sein. Die Demokratie muss in die Lage versetzt werden, etwas gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu unternehmen.
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