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Zitat von Plasma
"Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein"
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Zitat von tandem65
Gefundenes Fressen für Arne & Jörn und auch ich halte es hier für deplaziert.
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Ich fand den Spruch lange Zeit gut. Für mich ist er einer der Höhepunkte im neuen Testament. Er ist ein Grund dafür, dass ich Jesus aus Nazareth lange positiv gegenüber stand, als ich die Bibel und das Christentum bereits mit Skepsis, später mit Ablehnung sah.
Zwei Dinge würde ich aus meiner heutigen Sicht daran kritisieren:
Erstens, der Spruch wirkt wohltuend vor allem aufgrund des extrem niedrigen ethischen Niveaus der flankierenden Geschichten in der Bibel. Schon für läppische Kleinigkeiten wird verbannt, verflucht, ausgerottet, gesteinigt und zerrissen. Dafür sind bereits kleine Vergehen ausreichend, etwa Ungehorsam gegenüber den Eltern oder Trinkerei. Ebenfalls grausam bestraft werden Gedankensünden: Der Delinquent tut niemandem etwas, denkt aber etwas falsches. Vor diesem Hintergrund tut es dem Leser gut, wenn jemand die bereits fest eingeplante Steinigung eines Menschen verhindert, noch dazu mit Verweis auf die Scheinheiligkeit der Vollstrecker.
Leider spielen Gedankensünden auch bei Christus eine wichtige Rolle. Das schmälert die Freude an dem obigen Spruch. "Reiße Dir das Auge heraus, das Dich verführt, und hacke Dir Hand ab!", sagt er in der Bergpredigt. Ich möchte niemanden beleidigen oder verletzen, aber das sind für mich die Worte eines Fanatikers und eines Psychopathen. Auch wenn man davon ausgeht, dass niemand sich tatsächlich das Auge herausreißen soll, sondern andere Formen der Selbstzensur gemeint sind: dann halte ich das dennoch für eine inhumane Selbstverstümmelung aus Furcht vor einem strafenden Gott, der weit schlimmere Strafen bereithält als eine abgehackte Hand oder ein ausgerissenes Auge. Die Menschen haben jedoch viel besser mit den Verführungen des Lebens umzugehen gelernt, als sich seelisch oder körperlich zu verstümmeln. Der Schönheit der Frauen beispielsweise kann man mit Freude und Respekt begegnen, ohne die eigene Seele in Gefahr zu sehen.
Zweitens stellt der Spruch eine ethische Unmöglichkeit dar. Kein Gemeinwesen kann auf diese Weise funktionieren. Niemand von uns ist ohne "Schuld", aber deshalb können wir dennoch Anklage erheben. Man muss nicht erlittenes Unrecht klaglos akzeptieren, nur weil man selbst gelegentlich Fehler macht.
Eine nicht durchführbare Ethik ist wenig hilfreich und sollte nicht von den Menschen verlangt werden. Das gilt aus meiner Sicht auch für das Gebot, die eigenen Feinde zu lieben oder auf alle Formen materieller Vorsorge zu verzichten. Man ahnt ungefähr, auf was diese Sprüche hinauswollen. Wir heutigen Menschen haben diesen Zweig der Ethik jedoch viel feiner entwickelt, etwa in Form unseres Rechtssystems, in dem weder gekreuzigt noch gesteinigt wird, und den Systemen zur Altersvorsorge und der Sozialfürsorge.
Gut bleibt aus meiner Sicht der Vorschlag von Jesus, keine Rache zu üben. Das ist für mein Verständnis ein erfreulicher Querschläger in der Bibel, in der permanent Rache verübt wird. Man denke nur an die entsetzliche Rache im Neuen Testament an jenen, welche die Kreuzigung Jesu ermöglicht hatten (Judas, die Juden), obwohl diese Kreuzigung Gottes Wille war: Judas kommt unter furchtbaren Qualen zu Tode. Das Volk der Juden wurde verflucht auf alle Zeit.
Jesus, der Jude war, ebenso wie alle seine Jünger, würde sich vermutlich wundern, dass das Christentum sich auf ihn beruft...
