Moin,
Zitat:
Zitat von Jörn
Dann würde ich gerne versuchen, Dir mein Argument etwas näher zu erläutern.
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ganz ohne Ironie: vielen Dank für die Mühe!
Zitat:
Zitat von Jörn
Die älteren Leute haben, sofern unsere Maßnahmen erfolgreich sind, eine zweifache Chance. Die erste Chance besteht darin, dass sie gar nicht erst erkranken. Die zweite Chance besteht darin, dass sie im Falle einer Erkrankung die benötigten Maschinen erhalten.
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Das ist schon klar. Berufsbedingt kenne ich mich mit Risikoanalysen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen aus. (Oder sollte es zumindest tun;-)
Zitat:
Zitat von Jörn
Wenn wir die Maßnahmen nicht durchführen, nehmen wir den älteren Menschen beide Chancen. Erstens werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit erkranken, wenn sich das Virus weitflächig ausbreiten kann. Zweitens wird eben diese Ausbreitung dafür sorgen, dass sie die benötigten Maschinen nicht erhalten werden, weil wir in einem solchen Szenario nicht genügend Maschinen haben.
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Da habe ich mich wohl nicht deutlich genug ausgedrückt als ich von der "Enkelquarantäne" gesprochen habe.
Die Empfehlung ist ja, dass alte Menschen möglichst wenig Kontakte haben sollten, da sie einer Risikogruppe angehören. D.h das Risiko für sie an einer Infektion auch zu sterben ist sehr hoch.
Nun ist aber das Risiko tatsächlich zu sterben das Produkt aus dem Risiko sich beim Besuch beim geliebten Enkelkind anzustecken und dem (recht hohen) Risiko bei einer tatsächlichen Infektion. Und dieses Gesamtrisiko dürfte bei einem über 80-jährigen Menschen mit einigen Krankheiten und Gebrechen im Vergleich zum Risko eines "natürlichen" Todes noch klein sein.
Das ist jetzt allerdings sehr nüchtern und mathematisch. Für mich geht es da auch um das konkrete Schicksal eines Menschen: Meiner Mutter. Sie wird in ein paar Tagen 83 und ich würde nicht drauf wetten, dass sie 85 wird. Sie ist Witwe, ihre geliebte Haushaltshilfe ist vor zehn Tagen tragisch verstorben. Meine Stiefschwester kauft für sie ein, aber im großen und ganzen hockt sie sehr viel alleine in ihrer Wohnung. Denn meine Schwester und ich wohnen zu weit weg, um öfter nach ihr sehen zu können. Internet, Skypen usw. wird sie in diesem Leben nicht mehr lernen.
Das alles führt in der Summe dazu, dass ich
Verständnis hätte, wenn sie sagen würde, das Risiko (s.o.) wäre ihr gleich, sie will wenigstens ihre Kinder/Enkelkinder ab und zu mal sehen. Was hat sie davon, tatsächlich 85 zu werden, wenn sie dafür monatelang alleine zu Hause hockt?!
Zitat:
Zitat von Jörn
Nehmen wir an, ein älterer Mensch nimmt das Risiko bewusst in Kauf oder wird von seinem Arzt auf diese Fährte geführt. (Es kann sich ja jeder entscheiden, wie er will.) Nehmen wir an, dieser ältere Mensch erkrankt tatsächlich und kann sogar die benötigten Geräte erhalten. Dann fehlen diese Gerätschaften aber womöglich bei anderen Patienten, die nicht so lapidar mit dem eigenen Ableben einverstanden sind. Zudem kann der ältere Patient bis zum Ausbrechen der Krankheit ein paar Pflegekräfte oder Mitbewohner anstecken, die damit ebenfalls nicht einverstanden waren.
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Das ist ein guter Punkt, der mich auch sehr beschäftigt. Wenn das nicht wäre, hätte ich nicht nur
Verständnis für so einen hypothetischen(!) Wunsch meiner Mutter, ich würde ihn erfüllen.
Zitat:
Zitat von Jörn
Insofern finde ich die Idee, man solle eventuell alte Menschen ruhig einer Ansteckungsgefahr aussetzen, geradezu bizarr. Man würde andere Menschen gefährden, ohne sie gefragt zu haben.
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Das gilt doch aber gerade für
alle Kontakte. Mit
jeder Begegnung gefährdet man Menschen, ohne sie gefragt zu haben. Wenn man dieses Argument gelten lassen würde, müssten wir jetzt alle wochenlang alleine in unseren Wohnungen bleiben und dürften im Falle einer Infektion auch keine medizinische Hilfe erwarten, weil wir damit ja die Helfer gefährden würden.
Das tun wir natürlich nicht. Es wird (hoffentlich) abgewogen ob ein Kontakt, ein Einkauf, eine Besprechung dieses Risiko für andere wirklich wert ist.
Zitat:
Zitat von Jörn
Wer seinen Patienten unterstellt, sie würden eventuell eine Ansteckung bewusst in Kauf nehmen, der müsste sie eigentlich unterschreiben lassen, dass sie keinem anderen Patienten die nötigen Gerätschaften wegnehmen werden.
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Wenn man diese Argumentation konsequent fortsetzen würde, würde sogut wie niemandem mehr medizinisch geholfen werden müssen:
Lungenkrebs? Ah, sie haben als junger Mensch geraucht, ja dann..
Krebs? Wie? Sie haben nicht ein Leben lang auf Ihre Ernährung geachtet?...
Herzinfarkt, Diabetes? Sport und regelmäßige Bewegung waren nicht so ihrs!...
Arthrose in der Hüfte oder dem Knie? Na, bei ihrer Figur...
Unfall? Ist denn die Schuldfrage schon geklärt?...
...
Zitat:
Zitat von Jörn
Uns wird schon irgendwas einfallen, um alte Menschen nicht ab sofort bis zum Lebensende komplett allein zu lassen. Im Moment geht es um eine vorübergehende Maßnahme.
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Ich teile Deinen Optimismus die Ideen betreffend (leider) nicht.
Und ich würde die Besuche auf Kinder/Enkel beschränken.
Viele Grüße,
Christian