Zitat:
Zitat von Flow
Ferner lese ich aus diesen Zeilen, "was sich über lange Zeit entwickelt und etabliert ist nicht mehr unbegründet". Naja ...
Wie siehst du dies zum Beispiel in Hinblick auf ethische Normen zur Sexualität, nimm "Homosexualität". Was sich diesbezüglich über lange Zeit als ethische Norm herausgebildet hat, gilt ja mittlerweile auch als "unbegründet" und "falsch" ...
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Ein gutes Beispiel.
Ich sprach von den Ursachen, die zu moralischen Normen führen. Eine solche Norm wäre, alle Katholiken sind Bürger erster Klasse, Juden Bürger zweiter Klasse. So war das im Mittelalter und den meisten unserer Städte und Gemeinden. Ich kann jetzt nach den Ursachen fragen, die zu dieser Bewertung geführt haben. Es geht nicht darum, ob die Zweitklassigkeit jüdischer Bürger faktisch zutraf.
In gleicher Weise kann ich nach den Ursachen fragen, die zu einem moralischen System führten, welches Minderheiten ausgrenzt, etwa homosexuelle Menschen. Es bedeutet nicht, dass die behauptete Minderwertigkeit eine Tatsache gewesen wäre.
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Stell’ Dir zwei Gesellschaften vor, etwa Dorf 1 und Dorf 2. Beide haben unterschiedliche moralische Normen. Dorf 1 hält jede Form von Gewalt für falsch. Dorf 2 erlaubt das Töten von Bewohnern anderer Dörfer.
Irgendwann werden die Bürger von Dorf 2 das andere Dorf überfallen und die meisten ihrer Einwohner totschlagen. Das moralische System von Dorf 2 überlebt und wird zur Norm.
Das Dorf prosperiert und wird zur Stadt. Ringsum bilden sich neue Dörfer. Alle leben nach dem moralischen System, welches das Ermorden anderer Dorfbewohner erlaubt. Es dauert nicht lange, bis überall Mord und Totschlag herrscht, denn im Unterschied zu Dorf 1, das unbewaffnet war und auf Gewalt verzichtete, sind die jetzigen Dörfer aufgerüstet und im Kampf geschult. In jedem Konflikt gibt es bewaffnete Gegenwehr.
Solche Schauplätze gibt es viele im ganzen Land. Nur einige wenige Landstriche lernen, dass sie die Gewalt beschränken müssen. Angriff ist ab sofort verboten. Erlaubt ist nur die Verteidigung. Das ermöglicht es den Bürgern, sich wieder mehr um ihre Arbeit zu kümmern. Die Gegend blüht wirtschaftlich auf, während die Dörfer vom Typ 2 sich gegenseitig abschlachten.
So breitet sich ein neues moralisches System aus. Es kennt Gewalt, unterwirft die aber Regeln. Es ist erfolgreicher als die beiden anderen moralischen Systeme. Bald wird es zur Norm im ganzen Land.
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Das Beispiel soll modellhaft zeigen, wie sich moralische Systeme durch ihren Erfolg etablieren können. Es geht nicht um richtig oder falsch, wie bei Deiner Frage nach der Bewertung gleichgeschlechtlicher Liebe. Sondern um den Ausbreitungserfolg.
Der Erfolg eines moralischen Systems kann biologisch-evolutionär sein, er kann kulturell sein (z.B. arbeitsteilige Gesellschaft und Kooperation versus Egoismus und Aggression) und er kann wirtschaftlicher Natur sein.
So ungefähr meinte ich das.