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Alt 29.04.2019, 10:45   #14395
Helmut S
Szenekenner
 
Registriert seit: 30.10.2006
Beiträge: 9.707
Da vom Laufen meine rechte A-Sehne schmerzt und vom radeln mein linkes Knie ... verbringe ich meine Zeit halt anders ...

Zitat:
Zitat von merz Beitrag anzeigen
Also nichts zu holen bei Kant?
Ein klares Jein. Was hat Kant versucht?

Er wollte eine wissenschaftliche Metaphysik entwickeln um Rationalismus und Empirismus zusammen zu bringen. Ergebnis: Zonk!

Er wollte eine letztgültige Pflichtethik begründen. Ergebnis: Zonk!

Was hat er aber erreicht? Wir sprechen im Prinzip in der Erkenntnistheorie über eine Zeit vor Kant und eine Zeit nach Kant. Man nennt das auch "kopernikanische Wende in der Philosophie". Er stellt das Subjekt in das Zentrum der Erkenntnis (im Gegensatz zu vorher das Objekt). D.h. er sagt: Wir tragen bereits durch Anschauung und Nachdenken Eigenschaften in die Dinge hinein, die die Dinge an sich nicht haben und was wir zunächst den Dingen nicht ansehen. Das ist diese Sache mit "Wir können nichts über das Ding an sich wissen". Darüber is man sich auch einig, das is aber kein Problem, auch nicht für die Empiristen, den ein wesentliches Kriterium im Naturwissenschaftlichen ist die Intrasubjektivität von Phänomenen. Und irgendwie scheint die Evolution in uns die Prinzipien der Fähigkeit zur Anschauung und zum Nachdenken gleich angelegt zu haben. Also alles gut.


Typische, einsichtige Analogie zu dem was Kant meint: Farben. Man ist sich heute einig, dass Farben keine Eigenschaften des Dings an sich sind (sondern sog. sekundäre Qualitäten), sondern in uns durch Wechselwirkung der Oberfläche des Dings, dem Licht und unseren Rezeptoren. Der Mensch ist Trichromat (drei Rezeptoren), es gibt aber auch Tetrachromate (z.B. mit UV Licht Rezeptoren) Tiere. Übrigens kann man die Anlaogie "Farbe" auch gut (vielleicht etwas holprig, ok ) dazu verwenden um zu verstehen was Kant mit "a priori" meint: Wenn euch n Kumpel anruft und sagt, ich habe mir ein neues Auto gekauft, dann fragt ihr nicht: "Hat das Auto eine Farbe?" sondern ihr fragt: "Welche Farbe hat das Auto?" Ihr wisst a priori, dass Autos Farben haben. Dazu müsst ihr das Auto nicht sehen und das muss logisch auch nicht geprüft werden.

Kant hat jedenfalls mit der subjektzentrierten Erkentnisstheorie eine große Veränderung herbeigeführt. Moderne Bewusstseinsphilosophen (wie Metzinger), die interdisziplinär arbeiten und empirische Belege für das Phänomenale liefern (ich habe vor einem oder zwei Jahren mal das Buch "Der Ego Tunnel" von Metzinger empfohlen) profitieren heute davon.


Zitat:
Zitat von Zarathustra Beitrag anzeigen
Aus Deinem Beitrag lese ich, wenn ich Dich richtig verstehe, in der Hauptsache drei Kritikpunkte (meiner Wiedergabe Kants) heraus:
1. habe ich die Grenzen der Vernunft zu eng gesetzt; und
2. habe ich eine menschliche Unzulänglichkeit anstelle einer logischen Unmöglichkeit gesetzt.
3.'und'
[...]
Vor allem das "und" hat mich gestört, setzt es doch eine Unterscheidung und impliziert deshalb die engere Sichtweise von Vernunft (wie du in 1. ja anmerkst). Wo ich ebenfalls sehr große Schwierigkeiten hatte, war, dass sich mir der Verdacht aufdrängte, dass keine saubere Unterscheidung des Begriffes "Gott" als Idee und dem "Ding" Gott gemacht wird.

Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
Man kann aus irgendeiner Erkenntnis heraus verabreden, so zu tun, als gäbe es Gott, oder auch nicht
Ich weiß nicht genau, was du mit "verabreden" meinst? Wenn Du zum Beispiel meinst, dass ich mich mit Keko darauf verabrede, dass es einen Gott gibt und wir nun deshalb am Sonntag in die Kirche gehen um zu ihm zu beten, dann stimme ich dir zu.

Wenn "verabreden" meint "behaupten im erkentnisstheoretischen Diskurs", kann man das leider nicht, zumindest nicht lange Denn das würde sofort widerlegt werden. Man kann so tun als gäbe es den Gottesbegriff. Freilich.

Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
Rechtfertigungen dienen dazu, konkrete Handlungen zu legitimieren.
Nunja. Es ging um die Rechtfertigungen der Behauptung ("Rede") der All-Eigenschaften eines existierenden Gottes gegenüber dem Übel in der Welt (Theodizee). Rechtfertigung im philosophischen Sinne meint da schon was anderes als im Sinne eines wie auch immer gearteten Regelwerks/Gesetzes. Es meint eine Begründung, keine Legitimation von Handlungen.

Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
Für eine Rechtfertigung bringen mir alle philosophischen Denk-Experimente nicht genügend Gewicht auf die Waage. Im Grunde bringen sie überhaupt kein Gewicht auf die Waage.

[... Rede über die Eigenschaften von Gott oder Göttern uw.]
Es ist völlig korrekt, dass die philosophischen Argumente bezüglich göttlicher Eigenschaften nicht nur wenig, sonder gar kein Gewicht auf die Waage bringen. Um philosophisch über Eigenschaften von etwas zu debattieren, muss erst bewiesen werden, das etwas auch ist. Man kann freilich rein formal über den Begriff diskutieren, weil den können wir denken.

Mal ehrlich: Mir persönlich ist nicht bekannt, dass irgendein lebender, ernst zunehmender Philosoph (ausgenommen Religionsphilosophen wahrscheinlich, von denen ich aber nichts weiß) auch nur Ansatzweise der Meinung sei, einen Beweis für die Existenz Gottes zu kennen. Im Gegenteil: M.E. ist das Thema sowas von durch.

Zitat:
Zitat von Jörn Beitrag anzeigen
"Erkenntnis über die Existenz Gottes" maximal tragen?

Nehmen wir an, die Philosophie würde uns ohne jeden Zweifel darlegen, dass es einen einzigen wahren Gott tatsächlich gibt: Was weiter könnten wir daraus ableiten?
Ja gar nix. Ich habe oben ja schon geschrieben, dass Existenz keine Eigenschaft ist. Aus ihr kann man gar nix ableiten. Deshalb wird die Existenz z.B. in der Mathematik als Existenzquantor geschrieben und nicht als Prädikat.

Was mir wichtig erscheint: Möchte man selbst diese Dinge denken, hilft es sehr, dass man weiß, welche Gedanken schon einmal gedacht wurden, sich die Argumentation ansieht um dann zu sehen, ist es Wert nochmal in diese oder jene Richtung zu denken oder ob das vielleicht schon erledigt ist. Was mir heute für die Philosophie wichtig scheint ist, dass sie in der Praxis ankommt. Das sie raus geholt wird aus den Elfenbeintürmen (der Sprachphilosophie) rein in die Gesellschaft. Hier bin ich der Meinung - Vorwurf des philosophischen Populismus hin oder her - hat gerade Richard David Precht viel geleistet. Keine Ahnung ob es philosophische Bücher gibt, die mehr gelesen wurden als seine. Mir persönlich ist das unmittelbar im Leben mehr Wert als viele große Gedankengebilde, mögen sie noch so wichtig sein.

Was mich persönlich betrifft: Die Diskussion darum ob es einen Gott gibt oder nicht, holt mich nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Es gibt Stand heute mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit schlicht Keinen. Schon gar nicht finde ich die Frage spannend, ob man Gott beweisen kann oder nicht. Spätestens seit Popper ist auch diese Frage längst beantwortet mit: Nein, kann man nicht. Auch nicht die Frage ob das was in der Bibel steht wahr ist oder nicht: Einen besseren Blick auf das Offensichtliche als das zu analysieren gibt es kaum.Natürlich stimmt das so nicht wie das da steht. Das ist frei verfügbares und belastbares Wissen.

Die wirklich interessante Frage ist m.E. doch, warum gibt es immer noch (gebildete und intelligente) Menschen, die das alles trotzdem Glauben oder anderer Meinung sind?

Jörn hat irgendwann mal gefragt, warum denn die religiösen Aussagen nicht einfach mal vernünftig geprüft werden? Er fragt, wenn man immer und immer wieder auf Widersprüche stößt, muss man doch mal an den Annahmen zweifeln? Dem stimme ich völlig zu. Insbesondere meine ich auch: Wenn man sieht, dass alles argumentieren nicht zum Ziel führt und trotz der Wahrheit und Korrektheit der Argumente der Gesprächspartner nicht überzeugt werden kann, dann muss man sich doch mal fragen, an was das liegt? Liegt es evtl. am Wesen des Menschen? Hier schneiden wir dann Themen an, die den Menschen direkt betreffen wie z.B. positives Selbstbild, kognitive Dissonanz und kognitive Verzerrungen.

Ich bin übrigens auch der Meinung, dass Religionskritik im (teilweise) säkularisierten Staat nur eine Seite der Medaille ist. Die andere Seite muss Staatskritik sein. Das Kirchen wie besessen um den Machtanspruch und gegen den Machtverlust kämpften und kämpfen ist klar. Das kann man ihnen streng genommen nicht mal verübeln meine ich. Wer gibt seine Macht freiwillig auf? Die Frage ist doch nun, wie kann der Staat in 2019 immer noch zulassen, dass die Kirchen Macht und Einfluß haben? Muss nicht der Staat den Weg der Säkularisierung konsequent weiter gehen? Er hat mit den Staatsgewalten alle Werkzeuge in der Hand. Und: Alles was dann im Machterhaltungskampfe an Handlungen unternommen wird soll und muss einer Prüfung durch eine einzige Instanz standhalten. Diese Instanz m.E. ist der Rechtsstaat.

In diesem Sinne

Geändert von Helmut S (29.04.2019 um 10:50 Uhr).
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