Ich habe mir oft vorgestellt, wie das für die Menschen gewesen sein muss, als sie erkannten, dass die Erde, und damit die Menschen auf ihr, nicht der Mittelpunkt des Universums sind.
Nikolaus Kopernikus wies nach, dass die Erde sich um die Sonne bewegt. Die Erde sei einer jener Planeten, welche die Sonne umkreisten.
Kopernikus veröffentlichte dies kurz vor seinem Tod im Jahr 1543. Der christliche Protestant Andreas Osiander hatte dieser Veröffentlichung unerlaubt ein Vorwort vorangestellt, in welchem er versuchte, die Kernaussage zu verfälschen: Dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums sein kann. Es nützte jedoch nichts. Bestenfalls konnte die Sonne für sich beanspruchen, der Mittelpunkt des Weltalls zu sein.
Vierzig Jahre später behauptete Giordano Bruno, dass die Fixsterne am Himmel ebenfalls Sonnen seien, so wie unsere eigene. Das schloss zumindest theoretisch die Möglichkeit ein, dass es viele Welten (Planeten) geben könne. Giordano Bruno wurde am 17. Februar 1600, nach acht Jahren Kerkerhaft durch die Inquisition, öffentlich auf dem Scheiterhaufen hingerichtet.
Noch zu Zeiten Albert Einsteins ging man davon aus, dass unsere Galaxie, die "Milchstraße", der gesamte Kosmos sei. Heute weiß man, dass es allein im für uns sichtbaren Universum mindestens 100 Milliarden solche Galaxien gibt. Der ganze Laden ist unfassbar viel größer, als man bisher angenommen hatte.
Er ist auch viel älter. 13700 Millionen Jahre ist das für uns sichtbare Universum mindestens alt. Von den ersten Millionen Jahren abgesehen, ist seither in jeder Sekunde eine Sonne neu entstanden, und eine Sonne im Weltall explodiert. Jedes einzelne der Atome, aus denen wir bestehen, stammt aus dem inneren Kern einer solchen explodierenden Sonne, mit Ausnahme des Wasserstoffs.
13.7 Milliarden Jahre. Wollte die Menschheit ein Tausendstel dieser Zeit, die das sichtbare Universum bisher existiert hat, ausfüllen, müsste die Menschheit 13.7 Millionen Jahre lang existieren. Davon haben wir noch 13.6 Millionen Jahre vor uns. Das ist die Zeit von Christus bis heute, siebentausendmal hintereinander. Wenn wir irgendwann das Jahr 15.619 n.Chr. schreiben, haben wir ein tausendstel dieser Wegstrecke hinter uns. Auf dem Zeitstrahl des Universums sind die Menschen ein Nichts.
Dasselbe gilt für die Entfernungen. In jenem Jahr 15.619 n.Chr. hätten die ersten Funksignale der Menschheit, das 1910 per Radio übertragene Zeitsignal vom Eiffelturm, erst 7% unserer eigenen Galaxie durchquert. Die nächstgelegene Nachbargalaxie erreicht dieses Zeitsignal im Jahr 2.500.000 n.Chr, also vermutlich viele hunderttausend Jahre nach dem Aussterben der Menschheit. Alle Signale von der Erde, die
heute bei unserer nächsten Nachbargalaxie ankommen, sind zweieinhalb Millionen Jahre alt und enthalten deshalb noch keine Spur der Menschen. Wenn die Wesen von Andromeda etwas von uns mitbekommen, in frühestens 2,5 Millionen Jahren, sind wir höchstwahrscheinlich nicht mehr da.
Die gewaltige räumliche und zeitliche Größe des Universums weckt Zweifel daran, ob tatsächlich der Mensch der Mittelpunkt, das beabsichtigte Ziel, der Seinsgrund und der Sinn des Universums sein kann.
Charles Darwin erschütterte mit seinen Arbeiten über die Entstehung der Arten die Vorstellung, die Lebensformen auf der Erde seien von einem Schöpfer erschaffen worden. Seine Argumente waren so überzeugend und fügten sich derart gut in alle Beobachtungen ein, dass sich aus dieser Richtung heute die schwerwiegendsten Argumente gegen eine absichtsvolle, göttliche Schöpfung ergeben.
Für meine persönliche Entwicklung als Jugendlicher entfalteten diese Erkenntnisse eine entscheidende weltanschauliche Wirkung. Sie passte zu meiner ohnehin bereits vorhandenen Ablehnung des Christentums, welche bis dahin vorwiegend auf moralischen Argumenten fußte: Warum komme ich in die Hölle, wenn es Gottes bzw. Jesu Absicht war, mich ungefragt von irgend etwas zu erlösen? Das Angebot der Vergebung kann gut gemeint sein, aber warum droht mir eine ewige Strafe, wenn ich es ablehne? Ja, ich bin definitiv dagegen, falls ein Unschuldiger zur Vergebung meiner Sünden umgebracht werden soll. Nein, danke! Für meine Sünden stehe ich bitte selber gerade. Bin ich deshalb schlecht?
Falls Jesus von den Toten auferstanden sein soll: Warum ist er dann nicht auf der Erde geblieben? Es hätte wahrlich genug für ihn zu tun gegeben. Ist es moralisch, wenn sich ein allmächtiges Wesen nach 40 Tagen warmer Ratschläge ins Paradies verabschiedet, um später über uns Gericht zu halten? Je mehr ich darüber nachdachte, desto unmoralischer erschien mir diese gesamte Konstruktion. Und desto unglaubwürdiger.
Die Menschen sind von den Astronomen aus dem Zentrum des Universums, in dem sie sich wähnten, vertrieben worden. Die Biologen rüttelten an ihrem Selbstverständnis, Ebenbilder Gottes zu sein. Wir sind Primaten, und schufen unsere Götter nach unserem Bilde. Wir sind von diesem Thron herabgestiegen. Jetzt sollten wir noch den Gott, den wir uns ausgedacht haben, von dem Thron der Moral herab heben, und uns selber darum kümmern.
Danke an alle für die Diskussion.
