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triathlon-szene.de | Europas aktivstes Triathlon Forum - Einzelnen Beitrag anzeigen - Rechtsruck in Deutschland?
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 27.09.2018, 11:08   #1758
Helmut S
Szenekenner
 
Registriert seit: 30.10.2006
Beiträge: 9.721
Servus N.

Zitat:
Zitat von Nobodyknows Beitrag anzeigen
Da muss ich mich ja jetzt seeeehr weit aus dem Fenster lehnen,[...]
Herzlichen Dank für die sehr ausführliche Antwort - Wow!

Zitat:
Zitat von Nobodyknows Beitrag anzeigen
[...]Denn sonst geraten wir zu sehr ins OT.
Ich denke, dass ist nicht der Fall, sondern das Gegenteil trifft zu. Ich versuche zu erklären aus welchem Grunde ich das denke. Der Threadersteller hat im ersten Post gefragt (Zitat) "Wie geht es weiter mit Deutschland ? Steuern wir Richtung Rechts?"

Das in Deutschland, in Europa und in der Welt seit Jahren ein Drift hin zu Populismus (um jetzt nicht gleich mit dem Brecher "Extrem/Extremismus" zu kommen) im Allgemeinen und an den politischen Rändern im speziellen existiert ist ja unstrittig würde ich sagen.

Was genau denn "Rechts" ist, ist schon viel schwerer zu greifen, wenn man sich die Mühe macht differenziert hinzusehen. Da gibt es Dinge, die sind ganz klar "rechts" zu verorten - du hast einige hier im Thread genannt. Das "Zurück ins Nationale", zurück ins "Früher" ... ist dagegen eher bzw. oft im "interpretatorischen" Graubereich zu finden, meine ich. Da kommt es darauf an was konkret für Inhalte gemeint sind, und: Welche Geisteshaltung dahinter steckt. Die Forderung nach geschlossenen, nationalstaatlichen Grenzen muss nicht zwangsläufig rechts sein - kann sie aber. Möglicherweise ist sie nicht ethisch, nicht freiheitlich oder in der in der Konsequenz nicht zu Ende gedacht. Aber es kommt auf die "Geisteshaltung" an.

Deshalb halte ich es für eine Beurteilung ob wir in Deutschland nach rechts driften und wie es weiter gehen soll sehr wichtig, dass man nicht nur mit einem simplen "ja" oder "Nein" antwortet bzw. die Frage "wie es weitergehen soll" völlig unbeantwortet lässt. Die Debatte hierzu ist eine Wichtige, um nicht zu sagen, die allerwichtigste überhaupt: In welcher Gesellschaft wollen wir in Zukunft Leben?

Die Frage, wie man Menschen, die AfD wählen wieder abholen kann, zwingt einen, sich mit den Gründen, den Motiven auseinender zu setzen, die solch eine Wahlentscheidung hat.

Ich finde es sind sehr gute Ansätze in deinem Post. Du versuchst einen Konsens zu Grundwerten herzustellen und dann über Argumentation die Menschen zu überzeugen. Das ist nicht falsch. Allerdings ist es sehr mühsam, denn Menschen sind Argumenten gegenüber, insbesondere solchen, die ihren eigenen Sichtweisen widersprechen, sehr schlecht zugänglich. Das liegt im Wesentlichen daran, dass Fakten, die sich nicht mit der eigenen Sichtweise decken, Spannungen im positiven Selbstbildnis erzeugen - sog. kognitive Dissonanzen. Der Mensch an sich ist viel weniger rational als man vermuten möchte und viel stärker von Emotionen getrieben als man denkt. Um unangenehme, kognitive Dissonanzen aufzulösen, hat der Mensch allerlei Strategien entwickelt: Verdrängen, Scheinlösungen, Illusionen, Ausreden und all sowas. Viele dieser Strategien sind uns als "kognitive Verzerrungen" bekannt. Der Back-Fire Effekt (Argumente gegen die eigene Position werden als Verstärkung für die eigenen Position gesehen) oder der Confirmation-Bias (aus einer Menge an Informationen wird nur diejenige ausgewählt, die die eigene Position scheinbar bestärkt) oder oder ... die Liste der kognitiven Verzerrungen ist lang.

Kurz: Mit Argumenten wird man kaum bis keinen Erfolg haben. Viel besser ist dein Ansatz, zuzuhören und versuchen zu ergründen "warum". Sozialwissenschaftler haben das getan und oft sind Emotionen der Grund - weniger sachlichen Argumente: Es ist das Gefühl nicht teilzuhaben an der allgemeinen Wohlfart (z.B. Harz IV), es ist die Angst Wohlstand zu verlieren (breite Mittelschicht), es ist die Enttäuschung unerfüllter Versprechen (Menschen aus Ostdeutschland nach der Wende), es ist das Gefühl der Überforderung in der komplexen Welt (Ältere Menschen), die Unsicherheit in der modernen Welt der Digitalisierung, des Nudging, der Filterblasen, der GAFAs Informationen nicht trauen zu können und für "dumm" verkauft zu werden (Bildungsbürgertum), das Gefühl, dass im Sinne von "shifting Baselines" unsere Freiheit, unsere individuelle Autonomie, unser Recht auf Selbstbestimmung immer weiter ausgehöhlt wird (Intellektuelle), das Gefühl der Ohnmacht, Neid oder Missgunst usw. usw. Die Liste auch hier lang und sicher nicht vollständig.

Wenn dann Flüchtlinge als Projektionsfläche dieser Ängste genommen werden (der Mensch fürchtet tiefenpsychologisch gesehen das Fremde von aussen und in sich selbst per se) und das gepaart mit einfachen, populistischen Lösungen ("Grenzen dicht") für komplexe Probleme (Fluchtursachen; Ungleichverteilung der Lebenschancen auf der Welt, Wohlstand in den Industrieländern auf Kosten anderer, "Outsourcing" des Proletariats in arme Länder usw) auftritt, dann wird es in Kombination mit der "falschen" Geisteshaltung sehr schnell sehr unappetitlich. Das ist das was wir auch sehen. Die Symptome dessen.

Das es einen Drift hin zu den Rädern oder darüber hinaus gibt und das die meisten Menschen (ich gehe jetzt mal von mir aus) sich damit nicht besonders Wohl fühlen ist recht einfach festzustellen glaube ich. Wenn man aber nicht nur der "Kunst der Debatte ohne Ergebnis" frönen will, wenn man nicht nur Schuldige oder Dumme sucht, sondern echte Lösungen und echte Verbesserung für unsere Gesellschaft, dann ist die Frage, wie man Menschen "abholt" und was sie bewegt, sicher nicht OT. Viel mehr ist sie zenteral und die sofortige Konsequenz aus einer Analyse: "Ja, es gibt einen "Rechtsruck".

LG H.

Geändert von Helmut S (27.09.2018 um 11:16 Uhr).
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