Man darf nicht unterschätzen, dass in den Neunzigern mit Epo ein Dopingmittel zur Verfügung stand, welches im Ausdauersport bis dahin unbekannte Leistungssteigerungen ermöglichte. Es gibt eindrucksvolle Berichte von Spitzenradprofis, die erahnen lassen, wie stark das Niveau im kompletten Peloton dadurch anstieg.
Zehn bis elf Jahre lang gab es keinen Nachweis für Epo. Für die damals aktiven Radprofis bedeutete das: Friss oder stirb.
Peter Winnen, Mehrfacher Etappensieger nach Alpe d’Huez: "Seit der Einführung von EPO war ich sofort chancenlos. Die größten Bauerntölpel ließen mich stehen. Das Niveau war mit einem Schlag wahnsinnig gestiegen. Seit dem Moment war Talent nicht mehr entscheidend. … Ich konnte meinen Beruf nicht mehr ausführen, wie es sich gehört." Quelle
Entweder Du machst da mit, oder Du bist raus. Das war die Zeit, in der man von Team-Trainern nichts mehr hörte, nur noch von Team-Ärzten und Team-Pflegern. Die Sponsoren, die Teamleiter, Ärzte, Pfleger und natürlich auch die Fahrer – alle machten da mit. Quittierte ein Fahrer den Job, wurde er vielleicht sogar wegen Dopings gesperrt, stand sofort der nächste Fahrer bereit und rückte nach. An der Dopingkultur änderte sich überhaupt nichts. Es wurden stets nur einzelne Fahrer ausgetauscht. Sobald sie als Sündenböcke herhielten, gingen alle, das gesamte System, wieder zu Tagesordnung über. Ein bedauerlicher Einzelfall.
Eine nicht nachweisbare Substanz mit enormen Leistungssteigerungen. Praktisch alle Profis nahmen sie, und das Umfeld spielte mit. So sah der Radsport aus, als Jan Ullrich dort als einer der Jüngsten eintraf.
In diesem Kontext muss man Ullrichs Darstellung verstehen, er habe niemanden betrogen. Ich teile sie nicht. Doch ich habe Verständnis dafür, dass er die Sache so sieht.