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Was ist aus der Sozialdemokratie geworden?
Sie stand einmal für große Ideen, Visionen, Utopien. Für die Arbeiter, die Benachteiligten, für mehr Demokratie und Frieden. Und jetzt? Innerhalb von zwanzig Jahren hat die SPD ihren Stimmenanteil halbiert. Und vor einer Woche – Höhepunkt einer monatelangen Komödie – einer neuen Großen Koalition zugestimmt. War es das für die Sozialdemokratie? Endgültig?
Jakob Augstein
Jakob Augstein | Bild: BR
"Ich glaube, das bedeutet für die SPD, dass wir jetzt sozusagen ihrem Ende beiwohnen", sagt Jakob Augstein, Verleger von "der Freitag". "155 Jahre – war auch schön gewesen, Genossen, vielen Dank! Aber ich glaube, jetzt ist bald fertig, denn diese Große Koalition wird – also meiner Meinung nach jedenfalls – die SPD nicht überleben."
"Kompromisszwerge" der SPD
Claus Peymann
Claus Peymann | Bild: BR
"Vielleicht hat dieses Land auch nichts anderes verdient", sagt Claus Peymann, der ehemalige Intendant des Berliner Ensembles. "Also auf der einen Seite die erfolgreiche Mutti, die gerne ins Theater geht – auch ins BE, und auf der anderen Seite diese Kompromisszwerge auf Seiten der SPD. Und irgendwie manifestiert sich in dieser Kopf- und Herz- und Visionslosigkeit wirklich auch ein kritischer Augenblick unserer Demokratie: dass es eigentlich nur noch um die Verteilung von Posten und den Mehrwert geht. Keiner wagt zu träumen."
Die Agenda 2010 - Verrat am Wähler?
Der entscheidende Wendepunkt der jüngeren SPD-Geschichte: Gerhard Schröder setzt gegen landesweite Proteste die Agenda 2010 durch, dereguliert den Arbeitsmarkt, zwingt Millionen Menschen in prekäre Verhältnisse. Die Sozialdemokraten verraten ausgerechnet die Wähler, die ihr immer die Treue gehalten haben.
Kevin Kühnert
Kevin Kühnert | Bild: BR
"Es wird ja gerne abgewunken in der SPD, wenn es um das Thema Agenda-Politik oder Ähnliches geht", sagt der Jusos-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert. "Aber man muss sich nur eine Stunde an einen SPD-Infostand stellen. Und dann kriegt man ganz genau mit, dass es wie ein Grauschleier über unserer Politik liegt, und dass ganz viele Menschen uns darauf ansprechen, was wir denn damals gemacht haben. Und dass sie seither enttäuscht sind von der SPD."
Geschichte einer Preisgabe ihrer Ideale
Die europäische Sozialdemokratie entstand aus der Arbeiterbewegung, war geprägt von marxistischen Ideen, wurde in vielen Ländern vom Staat verfolgt. Ihre Geschichte ist die Geschichte einer Preisgabe ihrer Ideale. SPD-Reichspräsident Friedrich Ebert entschied sich 1919 gegen eine revolutionäre Rätedemokratie und ließ rechte Freikorps den Spartakus-Aufstand niederschießen.
Quelle: http://www.daserste.de/information/w...ratie-100.html
http://www.daserste.de/information/w...video-186.html