In der
biologischen Evolution haben wir es mit einem einfachen Mechanismus zu tun, Mutation und Selektion.
Auch in der
chemischen Evolution finden wir einen einfachen Mechanismus: Der Fortbestand des Stabilen. Die
physikalische Evolution, beispielsweise die Entwicklung von Wasserstoffgas hin zu komplexen Galaxien, folgt ebenfalls einfachen Grundprinzipien, etwa, dass jedes System einem Zustand geringstmöglicher Energie zustrebt.
Auch in der
kulturellen Entwicklung gibt es einfache Grundprinzipien (und keinen Sack voll komplizierter Theorien, aufgeteilt in diverse Teilgebiete der Sozialwissenschaften).
Beispiel: Städte sind zweifellos ein Ergebnis der kulturellen Entwicklung des Menschen. Warum haben sie überall auf der Welt die gleiche Struktur?
Überall finden wir die Angebote des täglichen Bedarfs (Bäckereien, Lebensmittelgeschäfte etc.) in den Zentren und Subzentren, während die Angebote des gelegentlichen Bedarfs (Möbelhäuser, Tennisplätze) an den Rändern platziert sind. Tankstellen haben typische Lagen an den Ausfallstraßen. Postämter, Parkhäuser und Kinos sind wiederum im Zentrum. Strukturell sind alle Städte der Welt mehr oder weniger gleich.
Hat sich das jemand so ausgedacht, oder vollzieht sich hier eine einfache Gesetzmäßigkeit der kulturellen Entwicklung?
Ich bin der Meinung, dass die strukturelle Aufteilung einer Stadt ein Bündel der jeweils erfolgreichsten Strategien darstellt. Früher oder später findet man die Bäckereien genau dort, wo sie von den Menschen täglich gut genutzt werden können. Das gilt für alle Geschäfte, die den täglichen Bedarf der Kunden decken sollen. Hingegen wird ein großes Möbelhaus eher am Stadtrand mit seinen günstigen Mieten erfolgreich sein können. Wenn das peripher gelegene Möbelhaus und die zentral gelegene Bäckerei die Lage tauschen, gehen beide unter. Die Bäckerei am Mangel an Kundschaft in direkter Nachbarschaft, das Möbelhaus an den horrenden Mieten des Zentrums.
Gesteuert wird das durch die Balance von Kosten und Nachfrage etc. blabla, das kennt Ihr ja alles. Auf einer abstrakteren, grundsätzlicheren Ebene erkennt man, dass sich erfolgreiche Strategien durchsetzen gegenüber weniger erfolgreichen Strategien. Eine Krawatten-Fachgeschäft im Zentrum ist eine erfolgreichere Strategie als eines am Güterbahnhof.
Jetzt kommt’s: Diese Struktur einer Stadt würde sich auch dann von selbst realisieren, wenn sie ausschließlich von Menschen bevölkert wäre, die den Intellekt eines Grünkohls haben. Zwar würden sie zunächst ihre Geschäfte an den unmöglichsten Stellen eröffnen. Doch nur dort, wo zufällig ein Geschäft an einer günstigen Stelle zu liegen käme, hätte es dauerhaft Erfolg und damit Bestand. Die erfolglosen Geschäfte gehen pleite und das Spiel beginnt von vorne. Nach und nach, im Sinne einer kulturellen Evolution, ergäbe sich eine sinnvoll strukturierte Stadt. Fast alle Geschäfte liegen dann an günstigen Stellen. Nicht weil die Geschäftsleute und Stadtplaner besonders klug wären, denn sie sind in diesem Beispiel dumm wie Grünkohl. Die sinnvolle Struktur der Stadt ergibt sich von selbst, durch das Wirken eines einfachen Prinzips.
Städte sind ein bauliches Spiegelbild menschlicher Interaktion. Wenn uns die strukturelle Gleichförmigkeit aller Städte stutzig macht, können wir uns dafür interessieren, ob menschliche Interaktionen auch an anderer Stelle Strukturen hervorbringen, die einfachen Grundprinzipien folgen. Das Grundprinzip lautet hier, dass erfolgreiche Strategien sich durchsetzen und ausbreiten.
Zur Moral ist es dann nur noch ein kleiner Schritt: Erfolgreiche Strategien sind beständig und prägen unsere Gewohnheiten. Sie setzen dadurch auch die Normen unseres Umgangs miteinander. Wir nennen das dann "Moral" und halten es für unsere eigene Erfindung.