Ich hatte weiter oben gesagt, dass das fiktive System der Religionen (Götter, Teufel, Jenseits, Hölle, Engel, Sünden) sich seines fiktionalen, mythologischen Charakters nicht mehr bewusst ist und dadurch zu Unsinn verkommt. Ich möchte diesen Standpunkt nochmals verdeutlichen. Denn ich sehe für die Religionen die Chance, durch diese Erkenntnis wieder mehr zur Spiritualität unserer Zeit beitragen zu können, anstatt sich in Kuriositäten wie etwa am intakten Jungfernhäutchen Marias zu verfangen.
Der Wert von Geldscheinen besteht in unserer gemeinsamen Übereinkunft, so zu tun, als sein ein Papier mit dem entsprechenden Aufdruck der Bundesdruckerei 500 Euro wert. Der Geldschein hat diesen Wert nur so lange, wie wir alle daran glauben. Zur Zeit der großen Inflation vor dem Zweiten Weltkrieg schwand dieser Glaube, und es zeigte sich, dass selbst 1-Million-Mark Scheine keinen Wert mehr hatten. Die Kaufkraft dieses Geldes war praktisch Null. Buntes Papier ist eben nichts wert. Geldscheine sind Symbole, aber haben keinen wirklichen eigenen Wert.
Im Brauchtum der Christen wird eine Oblate symbolisch mit dem Leib Jesu Christi gleichgesetzt. Ein Schluck Rotwein symbolisiert sein Blut. Sagte ich symbolisch? Die Lehre der "Realpräsenz" der Kirche legt fest, "dass in der Substanz von Brot und Wein Jesus Christus mit seinem Leib und seinem Blut
real gegenwärtig" sei (
Wikipedia).
Dies wird päpstlicherseits konkretisiert (
Wikipedia):
„Durch die Konsekration [das Weihen] des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt.“
Hier wird also der symbolische, fiktive Charakter der Weizenmehloblate aufgelöst. Die Oblate ist nicht ein Symbol für den Leib Christi, sondern der Leib Christi.
Dieser offensichtliche Unsinn führte meines Wissens nach zu den größten Massakern an Andersgläubigen in der Geschichte der Menschen vor Adolf Hitler, lediglich übertroffen durch die Massenmorde in der
Batholomäusnacht (Katholiken ermordeten in einer Nacht 15.000 Protestanten).
Denn es wurde vornehmlich Juden unterstellt, sie hätten die Oblate geschändet und zu erdolchen versucht, woraufhin diese geblutet hätte. Ferner sei versucht worden, die bereits geweihte Oblate zu verspotten. Um diese Hostienschändung zu sühnen, "zog ein halbes Jahr lang [eine] Bande von Totschlägern durch über 140 fränkische und schwäbische Ortschaften. Sie vergewaltigten, folterten und verbrannten bis zu 5000 Juden und Jüdinnen und töteten deren Kinder" (
Wikipedia).
Die Verwandlung einer Oblate in den vor 2000 Jahren verstorbenen Körper des Jesus von Nazareth ist für einen aufgeklärten Menschen nicht spirituell, sondern Unfug. Dasselbe gilt für die Jungfräulichkeit seiner Mutter und ihre leibliche Fahrt in den Himmel (wo mag sie da wohl angekommen sein?). Religiöse Symbolik verwandelt sich in eine Menge Unsinn und Albernheiten, wenn sie ihre Symbolhaftigkeit vergisst und das sich entwickelnde Wissen unserer Gesellschaft ignoriert.
Es liegt daher im Interesse der Religionen selbst, wenn außenstehende Personen immer wieder auf den Unterschied zwischen Wahrheit und Mythos verweisen.