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Alt 28.02.2016, 22:43   #72
formliquide
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Benutzerbild von formliquide
 
Registriert seit: 19.09.2014
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Tagträumerei

Ich denke darüber nach ob es eine gute Idee war, in diese Richtung loszufahren – das sonnige Wetter täuscht, und ein paar Höhenmeter machen temperaturmäßig viel aus. Der Wind ist schneidend, und die Luft hier oben fühlt sich klirrend kalt an. -1°C zeigt die Wetterapp. Immerhin trösten die Leere der Straßen und die scharfen, platinfarbenen Lichtstrahlen über die klammen Zehen hinweg. Außer einem alten Tourenfahrer vor 20km habe ich noch keinen anderen Menschen gesehen, solche, die in Blechdosen umherrollen mal ausgenommen. Das wird sich bald ändern, da ich in die Nähe des Skigebiets hier komme. Dort sind noch ein, zwei Lifte und die Rodelbahn auf. Merkwürdiges Zusammentreffen: Ein dick eingemummter Rennradfahrer gegenüber leger gekleideten Snowboardern, ihre Bretter auf dem Rücken, der eine das erste Mal, die anderen das letzte Mal für diese Saison auf dem Berg…

Die Wiesen hier oben sind nicht braun oder matschig, sondern wirken unter dem löchrigen, 10-15cm hohen Schnee knallgrün, als hätte jemand frischen Rollrasen verlegt. Die Stoppelfelder leuchten Altgold, wo die Bauern schon unterwegs sind riecht es streng nach Jauche. In den Gräben links und rechts der Straße murmeln und glitzern Tauwasserbächlein; ihr glasklares Wasser, in dem die grellen Lichtstrahlen tanzen und sich brechen schießt teilweise noch unter einer dünnen Eisschicht dahin, die aussieht, als wäre sie aus altem, sehr dünnem Strukturglas gegossen. Wenn man aus der Sonne in einen Abschnitt einfährt, in dem zu beiden Seiten hoch der Fichtenwald aufragt, wird es schneidend kalt. Die Lichtstrahlen der wärmenden Sonne streifen hier nur die Wipfel und schießen dort Eis- und Schneekristalle herunter, so dass die Straße darunter nass und voller weißer Tupfen ist. Aus den Fichten rieselt wie Kristallstaub der tauende Schnee herunter, bis in meinen Nacken, und wenn ich im Gegenlicht fahre, in die scherenschnittartige Kathedrale aus zackigen Bäumen hinein, bricht sich das klare Licht oben in vielen Farben.

Ich fahre einen Streckenabschnitt, den ich sonst wegen des Verkehrs eher meide. Aber ich erinnere mich, ich bin schon einmal hier hochgefahren, vor etwas mehr als 20 Jahren. Das war in dem Jahr, in dem ich Abitur geschrieben habe, zusammen mit einem der sportlichsten Jungs der Stufe. Wir wollten alle gemeinsam zelten, und wir hatten irgendjemandem einfach alle unsere Sachen in den Kofferraum geworfen, weil wir mit den Mountainbikes bis zum Zeltplatz fahren wollten. Und wir Zwei hatten uns bereits am frühen Nachmittag oben mit den hübschesten Mädchen der Stufe verabredet. Eigentlich mehr er, denn obwohl wir uns natürlich kannten, hatte ich keinen so engen Kontakt zu ihnen.

Ich war immer einer der unsportlichsten Jungs in der ganzen Runde – nicht etwa weil ich grundsätzlich keinen Sport gemacht hätte, nur halt keinen, der irgendwie im Schulunterricht hätte vorkommen können. Beim Laufen habe ich mich fürchterlich angestellt, bei allem was mit Bällen zu tun hatte ebenso, da bleibt nicht mehr viel. Nur beim Schwimmen konnte ich kurzfristig mal glänzen, das half aber nicht wirklich dagegen, dass mich die überwältigende Mehrheit als völlige Null wahrgenommen haben muss. Die Auswahlprozeduren für jegliche Mannschftszusammenstellung sprachen Bände.

Und dieser genauso schlaue wie sportliche Typ hatte damals gerade mit etwas Neuem angefangen, mit „Triathlon“. Ich wusste nicht genau, wie das ablief, nur dass man am Ende dabei weit laufen musste, weshalb es ja wohl für mich nicht in Frage kam, klar. Ich hatte auch mal eine Fernsehübertragung von diesem Dings in Hawaii gesehen, mir schien aber logisch, dass mein Mitstreiter unmöglich 11 Stunden unterwegs sein konnte, weshalb ich annahm, dass es auch zahmere Varianten dieses Sports geben müsse. Die Bilder aus Hawaii hatten mich schwer beeindruckt, und ebenfalls tat dies nun der Umstand, dass der Kerl fühlbar mehr Radtraining praktizieren musste als ich zu der Zeit (nämlich mehr als gar keines), das jedenfalls war schon in der Ebene bei der Anfahrt zu spüren.

Eines der Mädchen aus der Clique, die wir oben treffen wollten, war mein absoluter Schwarm, und nicht nur meiner. Sie hatte einen IQ von 140 mindestens, immer die Beste, aber ohne jede Spur von Anstrengung oder Streberei. Hüftlange, glatte, goldenbraune Haare, die Sie so anstrengungslos wie die Erledigung schwierigster Differentialgleichungen mit einer rollenden Bewegung unter Zuhilfenahme von nichts als einem Bleistift hochsteckte. Von Zeit zu Zeit glitt sie in völlig belanglosen Unterhaltungen ins Französische, das sich bei Ihr im Gegensatz zu uns wie eine zweite Muttersprache anhörte – nicht aus Prahlerei, sondern aus Koketterie, einfach so, weil sie’s halt konnte.

Mein Kumpel zog jetzt an, die heftigeren Steigungen lagen vor uns. Ob des hohen Tempos waren wir früh dran, ich hätte gut eine Pause gebrauchen können, die er aber offensichtlich lieber erst oben machen wollte. Er fuhr schon damals ein auch für heutige Verhältnisse schickes Bike, Alu-Formrohr in Raceoptik, mit Federgabel und Klickpedalen. Meines war simpel schwarz mit silbernem Schriftzug und aus Stahl, und ich fuhr mit Körbchen, offen, weil ich nicht darauf vorbereitet war, dass es hier irgendwie zur Sache gehen würde. Ca. 10km vor dem Zeltplatz fing er an, gelegentlich in einen schnellen Wiegetritt zu gehen, gar nicht konkurrenzmässig, eher wollte er die letzten Kilometer als wirklich ernsthaftes Training nutzen und sich wohl so richtig verausgaben. Er wog bestimmt ein Viertel weniger als ich, bei geschätzt mehr Muskelmasse. Wenn er mich hier, in den Kurven eines kleinen Ortes mit Fachwerkhäusern, abhängen würde, käme ich eine geschlagene Viertelstunde nach ihm oben an. Oder gar noch später. Ich verfluchte die Körbchen. Was auch immer weiter geschehen würde: So etwas ginge gar nicht.

Die letzten Kilometer. Aus Orten und den schattigen Waldgebieten raus, auf eine almartige Wiesenlandschaft, durch die die gerade, steil ansteigende Straße wie ein rissiger Asphaltfluss hindurchschnitt. Die Sonne brannte heiß, und bis hierher habe ich noch seinem Hinterrad folgen können. Meine Lungen brennen, platzen; ich muss dringend Luft holen und komme mir doch bei jedem Atemzug asthmatisch vor: Der honigartige, sonnenwarme Sauerstoff der Wiesen will einfach nicht meine Kehle hinunter. Meine Beinmuskulatur und meine Knie schreien von Spannung, aber ich will nicht wieder einmal nur der Dödel sein. Nicht hierbei auch noch. Verdammt, bis vor 4 Jahren bin ich doch regelmäßig Rad gefahren…

Wieder hinein in den Wald, er hat ein wenig Vorsprung, aber ich bin noch immer nicht weg, komme wieder ein wenig näher. Die letzten paar hundert Meter gehen über Trail bergauf, nur nicht hinfallen jetzt. Wir biegen nach rechts auf den Zeltplatz, ich direkt an seinem Hinterrad, und bleiben vor einer braun lasierten Hütte stehen. Die Mädchen sind schon da, ihr anthrazitfarbener Zweier-Golf steht mit offenen Türen auf der Wiese. Sie kommen auf uns zu, wir begrüßen uns, wir Zwei klatschnass geschwitzt. ich sitze mit ausgestreckten Beinen mittig auf dem Oberrohr. Das sieht lässig aus, aber ich kann gerade einfach nicht absteigen. Die Wahrheit ist: Wenn mich eins von den Mädchen anstieße, fiele ich seitwärts um. Eine halbe Stunde und anderthalb Liter später, wir stehen mit den Mädels bei den Rädern. „Darf ich mal raten welches wem gehört?“ fragt die Schöne. Klar. Sie hält mein schwarzes für seines – „Hätt ich jetzt nicht gedacht“ sagt sie. „Sah edler aus“. Ich grinse innerlich.

Am Abend stehen wir ums Lagerfeuer, braten Würstchen, die zweite Sportskanone der Stufe (Volleyball) spielt Gitarre. Noch so was Cooles, das ich nicht kann. Wir singen „Hotel California“, die Schöne steht schräg hinter mir. Sie tritt neben mich. „Bist Du das, der da grad singt?“ fragt Sie, „Hammer Stimme, das hätt ich jetzt gar nicht von dir gedacht! Du bist ja echt für Überraschungen gut!“ Wir sitzen im Dunklen auf einem Stamm am Feuer, zum ersten Mal in meinem Leben schmerzen meine Knie so sehr, dass ich nicht ordentlich aufstehen kann, aber ich fühle mich gerade unbeschreiblich. Die Schöne sitzt neben mir, Mr.Volleyball spielt immer noch, wir singen zusammen „Country Roads“.

Die Straße ist gesäumt von Apfelbäumen, die in diesem Licht ungewohnt schwarz und knorrig wirken. Aus einem fliegt plötzlich 50 m vor mir ein großer Mäusebussard auf. Er ist bestimmt so groß wie mein aufgestellter Unterarm mit Hand. Ausgesprochen schöner Vogel, schmutzig cremeweiss auf der Unterseite der Schwingen, mit einer interessant braun-grauen Zeichnung. Ich bin mir sicher, dass er wegen mir aufgeflogen ist, aber er dreht leicht ab und landet kurz in einer nahegelegenen Furche neben dem nassen Schnee. Er berührt den Boden nur für 2, 3 Sekunden, bevor er mit einem weiteren lässigen Flügelschlag wieder aufsteigt. In seinen Fängen baumelt etwas Kleines, wohl eine Maus.
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