Zitat von Klugschnacker
Ich bin heute spontan beim einsamen Radtraining Richtung Flüchtlingscamp in Hartheim abgebogen. Das liegt nahe an einer meiner Hausstrecken. Etwa 750 Personen leben dort am Rand eines Gewerbeparks in auf- und nebeneinander gestapelten Containern, einen mittleren Fußmarsch von einem kleinen Dorf entfernt.
Ich wollte mir das mal näher anschauen. Mir sind bei früheren Ausritten die südländisch oder schwarzafrikanisch aussehenden Menschen bereits aufgefallen, die mit Einkaufstaschen entlang des ansonsten recht einsamen Radwegs marschierten. Überwiegend Männer, aber auch junge Frauen. Wenn ich sie beim vorbeiradeln grüßte, grüßten sie stets sehr freundlich zurück. Auch ein Lächeln wird erwidert. Ganz nett eigentlich.
Heute bin ich also von meiner eigentlichen Route zum Containerpark abgebogen. Vor dem Areal, das eingezäunt ist, erblickte ich ein Pförtnerhäuschen samt Pförtner. "Anmeldung erbeten" stand auf einem Schild. Das war mir irgendwie zu offiziell, ich wollte ja nur mal schauen. Also drehte ich vor dem Eingang auf meinem Rad zwei ratlose Kreise.
"Hello!" spricht mich jemand an. Ich drehe mich um und bremse. "How are you?" werde ich gefragt. Ich sehe einen etwa fünfzigjährig aussehenden Mann, der mich freundlich anschaut. "Hello", sage ich, "you speak english?" - "Just a little" sagt er. Ich gebe ihm die Hand, halb stehend, halb auf dem Rad sitzen. Ich habe meine Handschuhe noch an und entschuldige mich während unseres Handschlags dafür.
Er hat einen Zehntagebart, schwarze und graue Haare und freundliche braune Augen. Er fragt kurz was zu meinem Training, kann aber mit "Triathlon" nicht viel anfangen. In seinem nächsten Satz verstehe ich die Worte "Barcelona" und "Messi" und sehe ein Fragezeichen in seinem Gesicht. Wir reden ein paar Sätze über Fußball. Bayern München kennt er. Woher er käme, frage ich ihn. Aus Syrien. Er sei verheiratet und habe zwei Kinder, von denen eines bald heiratet. Ob ich verheiratet sei. Nein, habe aber eine Freundin und ein Kind. Ich überlege kurz, ob ich das erläutern muss und entscheide mich dagegen. Er lächelt mich an und fragt erneut, ob ich verheiratet sei. Offenbar hat er meinen letzten Satz nicht verstanden. Wir blicken uns beim Sprechen in die Augen und sind uns sympathisch.
Er sagt, er lerne fleißig Deutsch und hoffe, später Arbeit finden zu können. "Difficult" sage ich, und er nickt ernst. Die Sprachbarriere ist bedrückend, ich würde gerne mehr Anteil nehmen können. Wie er Deutschland findet, will ich ihn fragen, doch dann lasse ich es. Es ist nieselig nass und kalt, zwischen den Containern viel Kies und Schlamm, drumherum eine menschenleere Industriebrache, Grau die einzige Farbe. Sicher ist er froh, hier sein zu können, aber es ist auch ein Ort für furchtbares Heimweh.
Wir stellen fest, dass wir auf den Monat genau gleich alt sind. Er sieht viel älter aus als ich. Fast schäme ich mich für mein unverdient leichtes Leben und weiß nicht, was ich sagen soll. Ich müsse weiter, erkläre ich ihm, obwohl ich gerne bleiben würde. "Good luck for you an your family", sage ich und gebe ihm erneut die Hand. Diesmal ziehe ich den Handschuh vorher aus. Er blickt freundlich und sagt etwas auf syrisch, während wir die Hände schütteln. Dann fahre ich weiter und er bleibt zurück.
Den nächsten Kilometer fühlte ich mich gleichzeitig leicht und schwer. Es ist gut und fühlt sich gut an, diesen Menschen zu helfen. Aber was tue ich schon? In jedem Fall zu wenig.
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