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Alt 05.12.2020, 11:46   #16302
Jörn
Esst mehr Gemüse
 
Benutzerbild von Jörn
 
Registriert seit: 22.09.2006
Beiträge: 3.499
Wie bei einem guten Zaubertrick sollte man stets jene Hand beobachten, die im Schatten agiert, und die sich nur allzu große Mühe gibt, nicht beachtet zu werden. Dort passieren die interessanten Dinge. Zudem ist es ratsam, die Prämissen zu prüfen, die dem Betrachter als derart selbstverständlich präsentiert werden, dass sie nicht weiter geprüft werden. War überhaupt eine Frau in der Kiste, bevor diese zersägt wurde? Es geht darum, dem Zuschauer die Dinge so zu präsentieren, dass sie nicht hinterfragt werden. Jene Dinge, die offensichtlich zu hinterfragen sind, sind läppisch. Im Verborgenen liegt der Trick.

Wie Arne bereits demonstriert hat, ist nämlich bereits die Prämisse falsch, die Bibel oder "das Christentum" würde stets alles Leben schützen. Diese Behauptung mag man als private Meinung abtun, immerhin gibt es viele unterschiedliche Bibelverse. Aber was ist mit Gott? Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass Gott das Leben nicht schützt, denn sonst würde niemand von uns sterben. Tatsächlich sterben aber alle, ohne Ausnahme. Dies wissen wir sicher. Der Trick besteht also darin, die Zuschauer davon abzulenken, dass wir am Ende alle sterben und dass dies ein Beweis dafür ist, dass Gott das Leben nicht schützt.

Daraus kann man lernen, dass eine völlig offensichtliche Falschbehauptung übersehen werden kann, wenn die Falschbehauptung nur monströs und dreist genug ist; einfach weil das Publikum nicht damit rechnet.

Aber es sind noch weitere Prämissen falsch, die so dreist sind, dass das Publikum es übersieht.

Wer ist überhaupt dieser Theologe, der da eifrig im Gerichtssaal doziert? Vertritt er das Gesetz? Offenbar nicht. Vertritt er das Volk? Offenbar auch nicht. Vertritt er einen Gott? Das hat er weder bewiesen noch behauptet. Dennoch sind alle der Ansicht, er täte es. Tatsächlich vertritt er keine Kirche, keine Konfession, keine alte Tradition. Trotzdem gelingt es ihm, sein Anliegen mit allergrößter Autorität vorzutragen, die es ihm sogar gestattet, sich gegen das Gesetz und den gesunden Menschenverstand zu stellen. Mit anderen Worten: Die Kiste, die er kunstvoll vor aller Augen zersägt, ist leer, aber alle sollen denken, sie sei randvoll.

Ein weiterer Trick: Die Gerichtsszene. Das Publikum erwartet, dass vor Gericht die betroffenen Parteien darüber streiten, wer recht hat. Aber vertritt der Theologe überhaupt eine betroffene Partei? Nein, das ist nicht der Fall. Er vertritt eine angebliche Gottheit, die von dem ganzen Spektakel ausdrücklich nicht betroffen ist (da unsterblich). Diese Gottheit, von der zudem niemand weiß, wo sie ist, woraus sie besteht und was sie will, befindet sich zudem nicht im Gerichtssaal und äußert sich nicht. — Warum diese Gottheit also eine Partei in einem Gerichtsverfahren sein kann, bleibt völlig nebulös.

Dennoch gelingt es dem Theologen, vorzugaukeln, es handele sich um eine faire Gerichtsverhandlung mit strikten und verlässlichen Regeln. Der Theologe trägt aber den Willen einer Partei vor, deren Wille er nicht kennt und nicht kennen kann. Auch der Gegenanwalt und der Richter können diesen unsichtbaren Zeugen nicht ins Kreuzverhör nehmen. Ebensogut könnte man einen Truthahn vor Gericht stellen (auch dies ist eine christliche Tradition). Die ganze Szene ist derart bescheuert, dass man als Zuschauer nicht damit rechnet und es erstmal akzeptiert, um zu sehen, was passiert.

Hat der Theologe wenigstens ein ehrbares Anliegen? Auch das ist eine Grundannahme, die nie geprüft wird. Im Gegenteil, die Reaktion des Gegenanwalts soll suggerieren, dass er trotz juristischer Differenzen dennoch die vorzügliche Persönlichkeit seines gläubigen Gegners wertschätze. Es wird suggeriert, der Theologe sei ein großer Humanist, stets bedacht auf größtmögliche Menschlichkeit.

Aber das Gegenteil ist der Fall. Der Humanismus, also das, was für den Menschen vorteilhaft wäre, spielt beim Theologen überhaupt keine Rolle. Es wird sogar bestritten, dass dies ein mögliches Kriterium sein könnte. Sondern es geht allein darum, den angeblichen Willen Gottes auszuführen, koste es, was es wolle. Mit anderen Worten, der Theologe geht buchstäblich über Leichen. Selbst das größte Leid kann ihn nicht erweichen. Er ist ein Menschenfeind. Er akzeptiert das Leid der Schwächsten zum Lobe seines Gottes. Das Leid und die Menschen sind ihm einerlei. Aber weil dieses charakterliche Defizit derart monströs ist und der zuvor gesetzten Erwartung so krass widerspricht, wird es von den Zuschauern im Gerichtssaal nicht bemerkt.

Doch sobald jemand das Licht einschalten und die richtige Frage stellen würde, flöge der faule Zauber sofort auf. Die richtige Frage lautet: "Stellen Sie den Lobpreis ihres Gottes über jedes menschliche Leid, so furchtbar es auch sein mag, und verlangen sie dieses Opfer vor allem von anderen, sogar von den Schwächsten?" — Die Antwort lautet schlicht und einfach: "Ja". Und damit würde der Theologe seinen Prozess und alle Sympathien sofort verlieren.

Ein weiterer Trick: Warum wurde nur von einem Gott gesprochen? Auch dies ist eine Prämisse, die bewusst in die Irre führen soll. Was wäre geschehen, wenn der Gegenanwalt einfach ein anderes Götterbuch aus dem Hut gezaubert hätte? Irgendeinen "Krishna" oder "Womblebee" oder einen heiligen Affen, der mit der exakt gleichen göttlichen Autorität etwas ganz anderes fordern würde? Dann stünde Aussage gegen Aussage. So kommen wir nicht weiter.

Was der Theologe erreichen will ist, dass wir im Gerichtssaal in Zukunft die Bibel aufschlagen. Wenn man es so klar formuliert, würde es kaum ein Zuschauer akzeptieren. Die angeblich so knifflige Frage stellt sich überhaupt nicht. Die Bibel hat im Gerichtssaal ebensowenig verloren wie sündige Truthähne oder heilige Affen. Dasselbe gilt für den Theologen. Sein Plädoyer scheitert bereits daran, dass er seine Legitimität, es überhaupt in einem Gerichtssaal vortragen zu dürfen, nie bewiesen hat. Sie wurde so selbstverständlich vorausgesetzt, das es niemand in den Sinn kam, danach zu fragen. Warum ist der Theologe nicht kurzerhand als Richter aufgetreten?

Ich will nicht behaupten, dass man keine Argumente pro und kontra Sterbehilfe austauschen könnte. Aber ausgedachte und unsichtbare Märchenfiguren haben nicht den Rang eines Arguments. Nur deswegen war es notwendig, die Szene in einen Gerichtssaal zu verfrachten, um eine intellektuelle Höhe vorzugaukeln, die überhaupt nicht vorhanden ist.
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