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Szenekenner
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Notizen aus Indien - Teil 1: Vom Hinreisen und Ankommen
Am Horizont, an dem ich mir einbilde, die Erdkrümmung zu sehen, glüht es in intensivem Dunkelorange, das in ein wunderschönes, helleres Orange übergeht, bevor es sich gelb in einem helleren Blau verliert, das wiederum dunkler und dunkler wird, bis es ein Schwarz ist, in dem Sterne funkeln.
Unten war lange Zeit Wüste zu sehen und jetzt gerade leuchtet eine Stadt inmitten des endlosen Nichts und in diese Stadt scheinen keine Straßen hineinzuführen, denn um sie herum ist nur absolute Dunkelheit. Ganz scharf abgegrenzt scheint sie zu sein, von der sie umgebenden Wüste. Die Stadt selbst aber ist unglaublich hell erleuchtet.
Es ist Saudi Arabien, das wir da überfliegen und ich muss an den Film "Das Mädchen Wadja" denken, den ich zuletzt im Kino sah, der erste Kinofilm, der in diesem fremden, archaischen, geschlossenen Land produziert wurde, in dem Frauen nur tief veschleiert aus dem Haus gehen und ihnen ohne männliche Begleitung viele Dinge, die für mich alltäglich sind, nicht möglich sind. Ich fühle mich selbst tausende von Metern über diesem Land, im Flugzeug, fremd hier. Da unten leben Menschen in diesen leuchtenden Städten und für sie ist dieses Leben, das sie führen und das so stark von Religion und von uralten Sitten und einem archaischen Rollenverständnis geprägt ist, ganz normal. Viele, vielleicht die meisten, werden dieses Leben nicht in Frage stellen. Wie könnten sie auch, wo doch die Mehrzahl derer, die am meisten Grund dazu hätten, die Frauen, keine Möglichkeit haben, ein selbstbestimmtes und autonomes Leben zu führen. Sie könnten nicht einmal das Land verlassen, da sie keinen Pass bekommen, ohne dass ihr männlicher Vormund - erst der Vater, später der Ehemann - sein Einverständnis gibt. Eine bizarre Welt ist das...
Ankommen in Indien! Um ca. 4 Uhr Ortszeit landen wir in Kochi und nachdem ich die Zwischenlandung in Abu Dhabi erstaunlich gut vertragen hatte, wird mir bei der Landung in Kochi mal wieder ordentlich schlecht und das verheißt nichts Gutes für die Fahrt zum Hotel...
Unsere Freundin Franziska und ihr indischer Mann Soji, die hier zu treffen der Anlass für unsere Indien-Reise war, wenn nun auch leider die geplante Hochzeits-Feier doch noch nicht stattfinden kann, konnten glücklicherweise doch noch ein Zimmer für ein paar Tage in dem Ayurveda-Ressort buchen, in dem sie sind. Ich habe es sehr begrüßt, dass wir uns nicht erst mal um ein Hotel kümmern müssen, wenn wir mitten in der Nacht in einer uns fremden Welt ankommen.
Dass das nun doch klappt, Björn hatte auf seine Frage, ob ein Aufenthalt für nur drei Tage möglich ist, eine negative Antwort bekommen, haben wir erst unmittelbar vor dem Abflug in Düsseldorf erfahren und mussten dann erst mal unsere Buchung im Nachbarhotel stornieren, die Björn ersatzweise auch erst in der Nacht vor der Abreise vorgenommen hatte.
Zum ersten Mal in meinen Leben werde ich jedenfalls nun an einem Flughafen von einem Mann erwartet, der ein Schild mit Björns und meinem Namen hochhält. Toll! Immer, wenn ich an Flughäfen ankomme, beneide ich nämlich die Menschen, die mit Namensschildern erwartet werden.
Die Fahrt mit dem sehr freundlichen und rücksichtsvollen Fahrer ist dann wie erwartet übel. Es dauert ca. 1,5 Stunden bis zum Hotel, das in Nattika Beach in der Nähe der Stadt Thrissur liegt und auf der Fahrt geht es steil bergab mit meinem Befinden.
Weil mir nach einem Drittel der Fahrt so schlecht ist, wende ich überwiegend meine einigermaßen bewährte Strategie an: Augen schließen und hoffen, dass es bald vorbei ist und sehe deshalb nur noch wenig von der Umgebung.
Als wir um kurz vor 5 Uhr losfahren, ist es noch stockdunkel. Es sind aber schon einigermaßen viele Leute unterwegs. Zu Fuß, auf Motorrädern, auch natürlich unbeleuchteten Fahrrädern und in LKWs, viele von ihnen auch unbeleuchtet.
Im Reiseführer wird der indische Verkehr als blanker Horror beschrieben und Indien als das Land mit den meisten Verkehrstoten, gemessen an der Fahrzeugdichte oder so, aber jetzt, in den frühen Morgenstunden und abseits großer Städte, geht es gut.
Rechts und links liegen geschlossene Läden, Wohnhäuser und immer wieder auffallende, christliche Kirchen, groß und teilweise bunt beleuchtet. In manchen Durchgängen von Häusern oder ihren Eingangsbereichen sehe ich schlafende Menschen liegen und frage mich, warum die da liegen: Ist es draußen kühler? Haben sie kein Zuhause? Als mir kurz darauf so schlecht ist, dass ich den Fahrer bitte, kurz anzuhalten, stelle ich fest, dass die Leute bestimmt nicht da liegen, weil es da kühler ist, denn als ich aus dem klimatisierten Auto steige, erschlägt mich die feuchte Hitze förmlich.
Um ca. 6:30 Uhr erreichen wir das Nattika Beach Ressort, wo wir mit einer Girlande aus unglaublich intensiv duftenden Blüten begrüßt werden, die man uns um den Hals hängt. Kurz darauf können wir schon in unser hübsches Zimmer. Die Zimmer in diesem Ressort sind in kleinen Steinhäusern mit Holzdächern und einer Terrasse davor.
Die ganze Anlage ist sehr hübsch. Wir gehen kurz ans Meer und zum ersten Mal in meinem Leben umspült das Wasser des indischen Ozeans meine Füße. Wie überall ist das Meer auch hier wunderschön.
Dann gehen wir erst mal ins Bett, denn wir sind nun seit mehr als 24 Stunden fast ununterbrochen wach, haben im Flugzeug nicht mehr als je eine Stunde pro Flug geschlafen. Ich schlafe unruhig und zwischendurch wache ich kurz auf und höre starken Regen. Die Ausläufer des Monsums.
Um 12 Uhr wachen wir auf, ich fühle mich aber immer noch gerädert. Wir duschen und fühlen uns dann fit genug für einen ersten Strandspaziergang. Der Strand ist nahezu menschenleer. Wir sehen ein paar Fischer und nach einer Weile kommen wir an eine Stelle, an der ca. 50 Inder am Strand und im Wasser sind. Die Frauen gehen in Saris baden, die meisten Männer auch mit Shirt und Hose. Ich nehme mir die Ratschläge des Reiseführers zu Herzen und krempele mir die Hosenbeine wieder herunter, um keine nackte Haut an den Beinen zu zeigen und vermeide es, den Männern ins Gesicht zu schauen, was sie als "Anmache" missverstehen könnten. Das ist komisch und es fällt mir eher schwer, zumal wenn man von einigen sehr freundlich begrüßt wird. Manchmal grüße ich dann auch nett zurück und schaue die Männer dann auch an und denke, dass es hoffentlich einen Unterschied macht, ob ich auf sie reagiere oder sie schon vorher anschaue.
Vor meiner Reise hatte ich noch mit einer Freundin gesprochen, die vor vielen Jahren in Indien war und dort zwei Frauen getroffen hatte, die mit einem Freund unterwegs waren, es war der Partner der einen Frau, und die von sieben Männern vor den Augen des Freundes vergewaltigt wurden. Da dachte ich: wie furchtbar! Aber man kann sich ja gar nicht vorstellen, selbst Opfer solch brutaler Gewalt zu werden. Ich hoffe, dass wir keine gefährlichen Situationen erleben werden, wenn wir spätestens am Mittwoch die geschützte Umgebung dieses Ayurveda-Ressorts verlassen werden und durch Kerala reisen...
Franzi erzählt beim Abendessen von ihrer Zugreise weiter in den Süden, wo sie einen Freund ihres Mannes besucht haben, zu dem wir auch noch fahren werden. Während der Zugreise wurde sie von einem Mann belästigt, der Körperkontakt zu ihr suchte. Sie war sich erst nicht sicher, ob es Absicht war oder an der Enge lag und Soji, der sich später wutentbrannt mit de Typen angelegt hat, hat ihr gesagt, dass sie immer sofort reagieren müsse. Das will mich mir merken für die Zeit hier. Soji sagt, man soll auch ruhig aufdringliche Männer schlagen. Naja, ob ich das mache...?
Das erste Abendessen ist ein Hochgenuss! Hier gibt es ausschließlich vegetarische Speisen. Ich esse gerne indisches Essen und hier ist aus Rücksicht auf die fast europäischen und russischen Gäste fast alles absolut mild.
Es ist lustig: Soji, der hier in Kerala zu Hause ist, ist hier in seiner Heimat in diesem Hotel als indischer Gast ein Exot.
Vorhin am Strand dacht ich noch, dass es komisch ist, dass wir aus unserer heutigen Sicht die Kolonialzeit und die Besetzung von weiten Teilen der Welt durch europäische Mächte verurteilen, andererseits aber bis heute davon profitieren, weil nur aufgrund dieser Vergangenheit in vielen Ländern europäische Sprachen gesprochen werden und uns das das Bereisen dieser Länder ja eigentlich erst möglich macht...
So "profitieren" wir heute noch einem der dunkelsten Kapitel europäischer Geschichte...
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