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Szenekenner
Registriert seit: 30.05.2010
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Ein Lauf in die Vergangenheit...
Das Ruhrgebiet ist durchzogen von alten Bahntrassen, auf denen früher die Kohle und sonstiges Zeug für die hier beheimatete Schwerindustrie auf Güterzügen transportiert wurde. Heute sind das überwiegend Rad- und Fußwege, auf denen man schnell und fern des Autoverkehrs durch den ganzen Pott kreuzen kann. Herrlich!
Als ich heute um ca. 17 Uhr zum Laufen aufbreche, laufe ich ca. 300 m die Straße hinauf und biege dann rechts auf die Bahntrasse ab in Richtung Gruga-Park. Gruga ist die Abkürzung für Große Ruhrländische Gartenbau Ausstellung. Der Park ist einer der größten in Deutschland und ich bin in seiner unmittelbaren Nähe aufgewachsen und habe seit jeher eine enge Verbindung zum Park. Als Kinder waren wir oft dort und er kam mir unüberschaubar groß vor. Wenn wir zu dem ganz großen Spielplatz im Park wollten, der unterhalb der Gruga-Halle, einer Konzerthalle, in der früher der legendäre "Rockpalast" statt fand und alle Rock-Größen auftraten, dann war das eine fast tagesfüllende Aktion. So schien es mir zumindest. Wenn ich heute mit unseren Patienten durch die Gruga laufe oder ganz selten mal da durch jogge, dann kommt mir der Park gar nicht mehr groß vor.
Ich laufe auf der Trasse entlang, an der Grugahalle vorbei, an einem Eingang zum Park, rechts liegt das Uni-Klinikum und die psychiatrische Klinik, in der ich arbeite, bzw. das Hauptgebäude unserer Klinik, das gerade kernsaniert wird, weshalb wir ausgelagert sind.
Ich laufe am Hundertwasserhaus der Ronald Mc Donald Stiftung vorbei. Dort können Eltern von kranken Kindern wohnen, während ihre Kinder im Uni-Klinikum in Behandlung sind. Das Haus ist wunderschön und ein großartiges Angebot ist es ohnehin.
Ich laufe weiter Richtung Margarethenhöhe, wo ich aufgewachsen bin. Laufe am Wald entlang, durch den ich in meiner Kindheit unzählige Waldläufe mit dem TUSEM gemacht habe und wo alljährlich die TUSEM Winterlaufserie statt findet.
Dann biege ich links in diesen Wald ein, jetzt ist es schon dunkel. Ich kenne die Wege wie meine Westentasche und laufe zum ehemaligen See. Jetzt wird der Mühlenbach renaturiert und der Mini-Stausee ist weg, der Bach mäandert wieder auf natürliche Art und Weise.
Ich laufe am Elternhaus eines Klassenkameraden vom Gymnasium vorbei und alte Erinnerungen steigen in mir auf, an andere Klassenkameraden und an die Zeit damals.
Ich verlasse den Wald und laufe hinauf nach Haarzopf, vorbei am Elternhaus von meiner Schul- und Pferdefreundin Ina und dem eines Mädchens aus der Nachbarklasse, die schon als Jugendliche starb, aber ich weiß bis heute nicht woran.
Dann stelle ich fest, dass sie die Grundschule von Haarzopf abgerissen haben. Wo wird jetzt wohl Sabine arbeiten, mit der ich Abi gemacht habe und die dort unterrichtete?
Ich biege an der Baustelle links ab und laufe im Dunkeln am Bach entlang, an dem ich mit meiner besten Freundin aus Kindergarten- und Grundschulzeiten ein Picknick nach einer Radtour veranstaltet habe. Auf dem Wasser schwamm fieser Schaum und ich sagte, dass wir besser ein Stück weiter gehen sollten, anstatt das Wasser hier zu trinken. Wir gingen bachabwärts und tranken dort. Am nächsten Tag konnten wir nicht in die Schule, weil wir uns die Seele aus dem Leib gekotzt haben...
Ich laufe durch eine kleine Senke und dann hinauf zur Eststraße. Da dann links und hinauf zur Reitfarm.
Die Reitfarm! Ich habe Jahre meiner Kindheit hier verbracht, ich könnte endlose Geschichten darüber erzählen, was wir hier alles erlebt haben!
Tausend Erinnerungen werden wach und ich laufe die Straße durch die Felder entlang und genieße den Wind im Gesicht und die Erinnerungen im Kopf.
Dann links hoch zur Meisenburgstraße und am Wetteramt rechts hinunter in die Wallneyerstraße, in Richtung zweier Pferdehöfe, auf denen ich noch länger verkehrte als auf der Reitfarm.
Beim Tierarzt biege ich links ab. Der Tierarzt ist im letzten Jahr an einem Gehirntumor gestorben. Als Teenager waren wir alle in ihn verknallt, aber er war verheiratet und hatte eine Affäre mit seiner Helferin, wie wir später erfuhren, als alles heraus kam. Er blieb bei seiner Frau und wirkte fortan nie mehr glücklich.
Ich laufe nun in eine steile Senke hinunter und oben sehe ich schon die Häuser der sehr reichen Menschen, unter anderem von einem der Aldi-Besitzer. Wie haben wir uns damals geärgert, als er sein Haus dorthin baute und sein Grundstück einfach über unseren Reitweg führte, den wir fortan nicht mehr benutzen konnten.
Ich laufe durch die Siedlung, in der die reichsten Menschen Essens leben und an einigen meiner Lieblingshäuser vorbei. Sie sind unfassbar groß, liegen wunderschön und ich stelle mir neidisch vor, wie es wäre, wenn ich dort leben würde. Was ich mit all dem Geld täte, das ich dann hätte.
Ich laufe durch einen kleinen Wald, vorbei an der Schule, die mein Bruder besucht hat und dann durch Bredeneys Zentrum und die Bredeneyer Straße entlang nach Rüttenscheid. Ich komme beim Elternhaus meiner besten Freundin Annika vorbei und überlege kurz, ob ich anschelle, um zu sehen, wie es ihrer Mutter geht, die vor ca. zwei Jahren einen schweren Schlaganfall hatte.
Vorbei an Pedro's Cuba Lounge, wo ich eine Zeitlang Salsa tanzte und dann am Krupp Krankenhaus vorbei zurück nach Hause.
1:45 h war ich unterwegs, in Gedanken oft in der Vergangenheit. So viel Vergangenheit schon in meinem Leben...! - Eine schöne Laufstrecke, überwiegend ohne Verkehr.
Es ist so schön, in Essen zu laufen!
Gute Nacht. J., müde.
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