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Szenekenner
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Ein Marathon mach San Bartolomeo...
Tag 26
10. August 2012
Agriturismo Le Noci – Refrontolo – Collalto – Priùla – Salettuol – Maserada – Candelù – Saletto – San Bartolomeo
Zum Glück weist mir die nette Bio-Bäuerin den Weg hinab über ihre Wiesen auf den richtigen Weg, sonst hätte das Verlaufen vermutlich gleich wieder nach dem Verlassen des Hauses begonnen. Auf dem Weg angekommen, bin ich keine zehn Minuten unterwegs, als ein junger Bengel mit einem unglaublich großen Rucksack zu mir aufschließt und fragt, ob ich auch nach Venedig laufe. Alle Leute, die hier mit großen Rucksäcken unterwegs sind, gehen nach Venedig.
Wir gehen zusammen weiter und innerhalb kürzester Zeit weiß ich unglaublich viel über ihn. Mir ist ja meine Quasselei oftmals unangenehm, deshalb bin ich immer beruhigt, wenn ich feststelle, dass es noch viel größere Quasselstrippen als mich gibt.
Der Bengel heißt jedenfalls Marco, war 6 Jahr bei der Bundeswehr, studiert BWL, ist seit Oktober von seiner Freundin getrennt, lebt in Norddeutschland, ist geschäftstüchtig, schleppt mehr als 20 kg auf dem Rücken, ist nicht unsympathisch und hat ein Navi auf seinem Handy! Grund genug, erst mal mit ihm weiter zu gehen, zumal ich über Gesellschaft ganz froh bin.
Ich wollte eigentlich nur bis Priùla gehen, aber Marco fängt an davon rumzuspinnen, wie es wäre, die restlichen ca. 100 km am Stück zu gehen oder zumindest die ca. 80 km bis zum Meer. Ich sehe mich eher nicht 80 oder 100 km am Stück marschieren, weil ich noch gut die Tage in Erinnerung habe, an denen ich 32 und 37 km gegangen bin und wie ich mich da am Abend gefühlt habe. Ich frage ihn, ob er selbst schon mal so lange Strecken am Stück gegangen ist, aber seine längste war ein Halbmarathon in ca. 2 Stunden. Aha...
Aber in Priùla machen wir eine längere Pause, essen warm und schütten kalte Cola in uns hinein und ich beschließe, die nächste Tagesetappe bis Bocca Callalta noch mitzugehen, weil’s noch früh am Tag ist und die Orientierung auf der nächsten Etappe im Wanderführer als „nicht ganz einfach“ bezeichnet wird und Marco schließlich der Mann mit dem Navi ist.
Ca. 21 km sind wir bis Priùla gegangen, bis Bocca Callalta sindes noch mal 26 km. Weil wir dort aber keine Unterkunft kriegen, gehen wir am Abend nur bis San Bartolomeo und kommen so auf die Distanz eines Marathons.
Kurz nach der Pause in Priùla zieht es mich erst mal wieder ins Wasser, diesmal in den schönen Piave. Es ist herrlich erfrischend und ich wünschte, ich könnte hier bleiben. Marco ist entweder verklemmt oder steht nicht auf Wasser, jedenfalls bleibt er draußen. Ich aber beneide mal wieder die Menschen, die an Flüssen leben, die so sauber sind, dass man mit Genuss darin schwimmen kann, denn das Schwimmen in Flüssen hat für mich einen ganz besonderen Zauber. Im Wasser treibend denke ich zum wiederholten Male auf dieser Reise an mein Lieblingsgedicht von Brecht:
Vom Schwimmen in Seen und Flüssen
Im bleichen Sommer, wenn die Winde oben
Nur in dem Laub der großen Bäume sausen
Muss man in Flüssen liegen oder Teichen
Wie die Gewächse, worin Hechte hausen.
Der Leib wird leicht im Wasser. Wenn der Arm
Leicht aus dem Wasser in den Himmel fällt
Wiegt ihn der kleine Wind vergessen
Weil er ihn wohl für braunes Astwerk hält.
Der Himmel bietet mittags große Stille.
Man macht die Augen zu, wenn Schwalben kommen.
Der Schlamm ist warm. Wenn Kühle Blasen quellen
Weiß man: Ein Fisch ist jetzt durch uns geschwommen.
Mein Leib, die Schenkel und der stille Arm
Wir liegen still im Wasser, ganz geeint
Nur wenn die kühlen Fische durch uns schwimmen
Fühl ich, dass Sonne überm Tümpel scheint.
Wenn man am Abend von dem langen Liegen
Sehr faul wird, so dass alle Glieder beißen
Muss man das alles, ohne Rücksicht, klatschend
In blaue Flüsse schmeißen, die sehr reißen.
Am besten ist’s man hält’s bis Abend aus.
Weil dann der bleiche Haifischhimmel kommt
Bös und gefräßig über Fluss und Sträucher
Und alle Dinge sind, wie’s ihnen frommt.
Natürlich muss man auf dem Rücken liegen
So wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen.
Man muss nicht schwimmen, nein, nur so tun, als
Gehöre man einfach zu Schottermassen.
Man soll den Himmel anschauen und so tun
Als ob einen ein Weib trägt, und es stimmt.
Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut
Wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt.
Schweren Herzens reiße ich mich los und weiter geht es, zunächst entlang des Piave, dann entlang Landstraßen und als sich der Himmel immer mehr verdunkelt und Regentropfen fallen und wir eh schon ziemlich erschöpft sind, machen wir – ich glaube in Maserada – eine Pause in einer kleinen Bar, wo wir wieder erhebliche Mengen Cola in uns rein schütten. Ansonsten ist die Bar neben den Betreibern und dem für diese Gegend Italiens offenbar obligatorischen fetten, kleinen, hässlichen Köter nur von italienischen Rentnern bevölkert, die hier Karten spielen und dabei alkoholische Getränke in den Farben des Regenbogens trinken
Marcos Gehlaune schwankt stark und in kurzen Wellen. Eben noch total platt und demotiviert, plappert er Augenblicke später munter davon, wie cool es doch wäre, die Nacht durchzulaufen und am nächsten Mittag am Meer zu sein. Ich will nur noch Bocca Callalta erreichen und das ist noch weit genug entfernt.
Nach der Pause ist’s mit Regen schon wieder vorbei, es hätte mich auch gewundert, wenn der ergiebig gewesen wäre, denn die Gegend ist total trocken und die Felder werden gesprengt.
Bei Saletto telefoniere ich mit meinem Vater, der für mich in dem Hotel in Bocca Callalto anruft, wo ich ja eigentlich erst morgen ankommen wollte und ich erfahre, dass dort heute nichts frei ist. Ich telefoniere mit einem Hotel in San Bartolomeo und habe dort Glück. Doppelt Glück, denn nach San Bartolomeo sind’s 5 km weniger und das Hotel ist günstig und gut. Marco spricht nicht mehr davon, die Nacht durchzulaufen, sondern entscheidet sich ebenfalls für eine Nacht in San Bartolomeo.
Damit ist auch klar, dass wir einen zweiten Tag miteinander wandern werden und ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das finde...
Die Bilder:
- seltsame Vorstellung haben italienische Bio-Bauern von artgerechter Haltung ihrer Nutztiere: Kaninchen in grauenhaften Minikäfige mit Drahtböden...
- Das Agritursimo Le Noci von innen...
- ... und außen.
- Ein Huhn im Restaurant in Priùla hatte es jedenfalls besser...
- ... als die Hasen auf'm Bio-Hof!
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